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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Die kleine Laube an der Kirchenhecke ist kahl gezaust mit dem übrigen Garten. Es kann jetzt Niemand in ihr sitzen und im stillen, friedseligen Hinträumen, oder – beim hastigen Aufstehen vom Buche auf die Unruhe im Thurme horchen. Dem Räkel und seiner Brut, die sich weder um Wind und Wetter, noch um die Unruhe im Kirchthurme im Geringsten kümmern, geht es ausgezeichnet, und mit diesem Worte sind wir auf dem Wege zum Dorfkrug, wo wir den Räkel, den Forstwart Volkmar Fuchs, von seinem Behagen in der Welt erzählen und von manchem Andern, was seit Sommersende geschehen ist, in seinem Kreise reden hören können. Sie haben oben im Gebirge ebenso gut das Wort hinter ihren Gästen her, wie drunten im Thal; – wir aber, wir in der Zeitlichkeit, wir ändern es leider nicht, daß wir zu viel angewiesen sind auf das, was die Menschen sagen. –

Ja, dem Räkel geht es gottlob jetzt sehr gut. Seine Verhältnisse haben sich seit Herbstesanfang recht verbessert – merkwürdig verbessert. Er hat Geld, und nach der Anschauung des Dorfes sogar mächtig viel Geld, und schreibt das selbstverständlich ganz seinem eigensten Verdienste zu. Er hat seinen Aufenthalt wieder im Dorfe genommen, und Vorsteher und Gemeinderath haben ihn gern willkommen geheißen. Er stopft nicht mehr Nußblätter in die Pfeife, sondern schmaucht Portoriko. Wenn er seinen Krug trinkt, zahlt er ihn, und wenn er dabei auf den Tisch schlägt und seine Meinung kund giebt, hindert ihn Keiner mehr dran. Er zahlt auch seiner Kinder Schulgeld und behauptet, Bildung und daß man was auf sich halte und lerne, mit Leuten, und zwar hohen vornehmen Leuten umzugehen, sei doch die Hauptsache – sackerment! – Wenn er’s auf die Länge aushält, ist er geborgen; denn hohe Protektion hat er in reichlichem Maße genossen. Nicht bloß andere Leute, sondern auch er selbst hätten wohl Grund gehabt, sich darüber zu verwundern, wie die „Regierung“ dazu kam, ihm die Forstwartstelle, die er bis jetzt ja ganz passabel versieht, anzubieten und auf sein unverfroren Zugreifen, vom ersten Oktober an, anzuvertrauen. – –

(Fortsetzung folgt.) 


Blätter und Blüthen.

Seltene Kraftleistungen. Die deutschen Turner haben seit jeher ihr Bestreben mit vollem Recht darauf gerichtet, durch die Turnkunst eine gleichmäßige Pflege aller Kräfte und die harmonische Entwickelung des ganzen Körpers zu erlangen. Specialkunststücke sind bei uns nicht Mode. Dafür schwärmen Engländer und Amerikaner, bei denen neben anderem Sport auch die Athletik in Blüthe steht. Recht interessante Einblicke in die Leistungen der Sportsmänner dieser Art gewährt uns das soeben erschienene Buch des bekannten Wiener Schriftstellers Viktor Silberer: „Der Athletik-Sport“. Silberer hat in demselben die besten, durch unverdächtige Zeugen beglaubigten Leistungen der Welt auf allen einzelnen Gebieten dieses Sportes zusammengestellt, und man muß sagen, daß diese zuweilen geradezu verblüffend wirken.

Im Springen gebührt nach dieser Zusammenstellung die Palme P. Davin, der am 5. Juli 1880 189¾ Centimeter hoch sprang, natürlich ohne Sprungbrett, da bei dem sportlichen Sprung kein Sprungbrett gestattet ist. Den besten Hochsprung der Welt aus dem Stande, ohne Anlauf, leistete der Amerikaner E. A. Johnson am 20. Mai 1878, indem er 160 Centimeter rein sprang. Im Weitsprung steht der bereits genannte P. Davin mit 7,06 Meter ebenfalls unerreicht da; aus dem Stande sprang E. W. Johnson 3,377 Meter weit.

Im Schnelllauf über kurze Distanzen steht der Amerikaner G. Seward als unerreichtes Phänomen da. Er durchlief am 30. September 1844 die Strecke von 100 englischen Ellen 91,4 Meter in 9 1/4 Sekunden. Das war vor mehr als 40 Jahren, und seither haben sich alle passionirten Läufer vergeblich bemüht, ihn zu übertreffen; sie haben ihn nicht einmal erreicht. Es giebt in Amerika fünf namentlich bekannte Läufer, welche dieselbe Strecke in 10 Sekunden zurücklegen können, in England keinen einzigen! Der Läufer, die das in 10 1/5 Sekunden fertig bringen, giebt es sehr viele.

Auch im Gehen leisten die Anhänger des Athletik-Sportes Außerordentliches. W. Perkins ging acht Meilen (engl.) in der Stunde und J. Meagher dieselbe Strecke sogar in 58 Minuten 37 Sekunden. W. Perkins hat noch eine andere sensationelle Leistung aufzuweisen, er ging 22 Meilen in drei Stunden; gelaufen wurde dieselbe Strecke in 2 Stunden, 12 Minuten und 48 Sekunden von A. Dunning. Nun haben wir noch einige Geh-Leistungen zu registriren, die allerdings erstaunlich sind, aber gleichzeitig den Eindruck machen, als sei der, der sie unternimmt, nicht recht bei Troste. Kapitän Barclay machte einen Marsch von 1000 (engl.) Meilen in 1000 auf einander folgenden Stunden, und zwar in der Weise, daß er in jeder Stunde eine Meile ging und den ersparten Rest an Zeit jedesmal zu Schlaf und Erholung benützte. In derselben Zeit und unter denselben Modalitäten legte Gale 1500 Meilen, also 1½ Meile in jeder Stunde zurück. Das Tollste leistete aber derselbe Gale im Frühling des Jahres 1878. Er ging 4000 Viertelmeilen in viertausend auf einander folgenden Zeitabschnitten von je 10 Minuten. Er hat also in nahezu 28 Tagen immer nur ratenweise und immer nur wenige Minuten ruhen und schlafen können! Selbst Silberer, der sonst für den Athletik-Sport mit Eifer einzutreten sucht, nennt solche Leistungen sportliche Verirrungen. Die großartigsten Leistungen bei den sogenannten Sechs-Tage-Rennen haben George Hazael mit 600 und der Ex-Alderman Patrik Fitzgerald mit 610 Meilen in sechs Tagen zu verzeichnen. Es gehört ein eigener Geschmack zu solchen Wettkämpfen, denn sie haben eine jahrelange anstrengende Trainirung zur Voraussetzung. Ueberhaupt spielt bei diesen sportlichen Uebungen die Trainirung eine äußerst wichtige Rolle, und auch nur der Gedanke, daß Einer ohne vorhergehendes Training im Athletik-Sport erfolgreich mitthun könnte, wäre schon absurd.

Ziehklimmen aus gestrecktem Hang so hoch, daß das Kinn über die Hände hinaufragte, machte F. S. Clark in Boston am 9. December 1876 29 Mal. Das wird vielleicht mancher deutsche Turner auch können; dann sollte er aber dem Amerikaner die „Meisterschaft der Welt“ streitig machen. Schwieriger scheint uns schon die Leistung, die A. Cutter in Louisville am 18. September 1878 vollführte: Ziehklimmen mit einer Hand 12 Mal, und schier unbegreiflich eine zweite Leistung desselben Turners, die er an demselben Tage zum Besten gab: Ziehklimmen aus dem Hang am kleinen Finger einer Hand 6 Mal!

Wie weit es die menschliche Kraft zu bringen vermag, zeigt sich am deutlichsten im Gewichtheben und Hantelstemnmen. In Wien giebt es mehrere Amateurs, die fünf Centner mit einem Finger heben. Einer dieser, Herr Stühr, stemmt, das heißt hebt hoch von der Schulter aufwärts, bis der Arm vollständig gestreckt ist, eine Hantel im Gewicht von 90 Kilo. W. B. Curtis in New-York hat am 20. December 1868 eine wahre Riesenarbeit im Heben geleistet; er hob „im Geschirr“, mit Gurten, welche die Last auf den ganzen Körper vertheilten, 1469,18 Kilo. G. Robinson in San-Francisco stemmte 100 englische Pfund = 45,36 Kilo zwanzig Mal.

Wir können hier abbrechen. Die angeführten Beispiele dürften genügen, um darzuthun, wie weit durch Energie und ausdauernde Uebung menschliche Kraft entwickelt werden kann. Die Lorbeern auf diesem Gebiete werden wohl im Großen und Ganzen auch fernerhin Engländer und Amerikaner einheimsen, denn der Athletik-Sport wird die hoch entwickelte rationelle Turnkunst in Deutschland schwerlich verdrängen können. B. G.     


Das hundertjährige Jubiläum der Geographischen Anstalt von Justus Perthes in Gotha. Am 11. September feiert die weltbekannte geographische Anstalt Justus Perthes in Gotha das Fest ihres hundertjährigen Bestandes. 1785 gründete Justus Perthes aus Rudolstadt mit der Uebernahme des Hofkalenders und Almanach de Gotha, welche im Verein mit den später hinzugetretenen gräflichen und freiherrlichen Taschenbüchern noch heute einen der wichtigsten und bekanntesten Verlagsartikel der Firma bilden, ein selbständiges Verlagsgeschäft. Aber erst unter der Leitung seines Sohnes Wilhelm (1816–53) wurde die geographische und speciell die kartographische Richtung die herrschende. Vor allem erfolgreich erwies sich die Verbindung mit dem damaligen Legationssekretär Adolf Stieler in Gotha († 1836), dessen Name auch heute noch von allen, die sich mit geographischen Dingen beschäftigen, von Groß und Klein gekannt ist. Seit nahezu 70 Jahren steht sein Handatlas (1. Ausgabe 1817–31) unerreicht da, denn in beständiger Verjüngung begriffen spiegelt er alle Fortschritte der geographischen Wissenschaft auf das getreueste wieder. Wesentlich trägt dazu der Umstand bei, daß alle Karten in Kupfer gestochen sind, denn dieses Metall eignet sich am besten für Aenderungen, Verbesserungen und Zusätze. Außerdem werden noch fortwährend neue Karten gezeichnet und gestochen, so daß die Gesammtsumme aller Blätter des Handatlasses bereits 197 beträgt. Demselben Reproduktionsverfahren unterliegt Stieler’s Schulatlas, der seit 1820 sich nicht bloß in den deutschen, sondern auch in den französischen, italienischen, ungarischen, schwedischen und finnischen Schulen eingebürgert hat.

Die hervorragendsten Autoren Wilhelm Perthes’ waren neben Stieler noch Heinrich Berghaus, dessen unvollendeter Atlas von Asien und physikalischer Atlas zuerst den Weltruf der Firma begründeten, ferner Karl von Spruner, der Schöpfer des großen, aus 118 Karten bestehenden historischen Handatlasses und endlich Emil von Sydow, der in seinen Wandkarten, in seinem methodischen Handatlas und in seinem Schulatlas zum ersten Mal die orographische Gestaltung des Festlandes in markanten Zügen darzustellen wußte. So war durch vereinte und von glänzenden Erfolgen begleitete Bemühungen von Autoren und Verleger der Boden vorbereitet, auf dem Bernhardt Perthes, der im Jahre 1853 seinem Vater in der Leitung des Geschäftes folgte, durch die Heranziehung geeigneter Kräfte als fest angestellte Mitarbeiter die Verlagshandlung in eine geographische Anstalt umschaffen konnte. Von größter Bedeutung war die Uebersiedelung Petermann’s von London nach Gotha und die Begründung der seit 1855 erscheinenden „Mittheilungen“, an der Petermann und Behm fast in gleichem Maße betheiligt waren. So wurde Gotha für ein paar Jahrzehnte der Mittelpunkt aller geographischen Bestrebungen in Deutschland; die Afrika- und die Polarforschung erhielten von hier aus die mächtigsten Impulse. Leider starb Bernhardt Perthes schon 1857 im blühendsten Mannesalter, aber die umsichtige Leitung Rudolf Besser’s und Adolf Müller’s, welcher die Interessen des nachgeborenen Sohnes des Besitzers vertrat, führte die Anstalt auch über

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_595.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2024)