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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 37.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Unterm Birnbaum.

Von Th. Fontane.
(Fortsetzung.)


10.

Die Verhaftung Hradscheck’s erfolgte zehn Tage vor Weihnachten. Jetzt war Mitte Januar, aber die Küstriner Untersuchung rückte nicht von der Stelle, weßhalb es in Tschechin und den Nachbardörfern hieß: „Hradscheck werde mit Nächstem wieder entlassen werden, weil nichts gegen ihn vorliege.“ Ja, man begann auf das Gericht und den Gerichtsdirektor zu schelten, wobei sich’s selbstverständlich traf, daß alle die, die vorher am leidenschaftlichsten von einer Hinrichtung geträumt hatten, jetzt in Tadeln und Schmähen mit gutem Beispiel vorangingen.

Vowinkel hatte viel zu dulden; kein Zweifel. Am ausgiebigsten in Schmähungen aber war man gegen die Zeugen, und der Angriffe gegen diese wären noch viel mehr gewesen, wenn man nicht gleichzeitig über sie gelacht hätte. Der dumme Ladenjunge, der Ede, so versicherte man sich gegenseitig, könne doch nicht für voll angesehen werden und die Male mit ihren Sommersprossen und ihrem nicht ausgetrunkenen Kaffee womöglich noch weniger. Daß man bei den Hradschecks oft einen wunderbaren Kaffee kriege, das wisse jeder, und wenn alle die, die das durchgetrichterte Cichorienzeug stehn ließen, auf Mord und Todtschlag hin verklagt und eingezogen werden sollten, so säße bald das halbe Bruch hinter Schloß und Riegel. „Aber Jakob und der alte Mewissen!“ hieß es dann wohl. Indeß auch von diesen Beiden wollte die plötzlich zu Gunsten Hradscheck’s umgestimmte Majorität nichts wissen. Der dusslige Jakob, von dem jetzt so viel gemacht werde, ja, was hab’ er denn eigentlich beigebracht? Doch nichts weiter als das ewige „He wihr so’n beten still.“ Aber du lieber Himmel, wer habe denn Lust, um Klock fünf und bei steifem Südost einen langen Schnack zu machen? Und nun gar der alte Mewissen, der, so lang er lebe, den Himmel für einen Dudelsack angesehen habe! Wahrhaftig, der könne viel sagen, eh’ man’s zu glauben brauche. „Mit einem karrirten Tuch über dem Kopf. Und wenn’s kein karrirtes Tuch gewesen, dann sei’s eine Pferdedecke gewesen.“ Oh, du himmlische Güte! Mit einer Pferdedecke! Die Hradscheck mit einer Pferdedecke! Giebt es Pferdedecken ohne Flöhe? Nein. Und nun gar diese schnippsche Prise, die sich ewig mit ihrem türkischen Shawl herumziert und noch ötepotöter is als die Reitweinsche Gräfin!

So ging das Gerede, das sich, an und für sich schon günstig genug für Hradscheck, in Folge kleiner Vorkommnisse mit jedem neuen Tage günstiger gestaltete. Darunter war eins von besondrer Wirkung. Und zwar das folgende. Heilig Abend war ein Brief Hradscheck’s bei Eccelius eingetroffen, worin es hieß: „es ging’ ihm gut, weßhalb er sich auch freuen würde, wenn seine Frau zum Fest herüberkommen und eine Viertelstunde mit ihm plaudern wolle; Vowinkel hab’ es eigens gestattet, versteht sich

Markener Schulkinder.
Nach einem Oelgemälde von R. Hirth du Frênes.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_597.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2024)