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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

nicht mit hinuntersteigen mochte, sondern erst in den Laden und gleich darauf auf die Dorfgasse hinaustrat.

Geelhaar und Schulze Woytasch, schon von Amtswegen auf bessre Nerven gestellt, hatten inzwischen ihren Abstieg bewerkstelligt, während Kunicke, mit einem Licht in der Hand, von oben her in den Keller hineinleuchtete. Da nicht viele Stufen waren, so konnt’ er das Nächste sehn: unten lag Hradscheck, allem Anscheine nach todt, ein Grabscheit in der Hand, die zerbrochene Laterne daneben. Unser alter Anno-Dreizehner sah sich dabei doch seiner gewöhnlichen Gleichgültigkeit entrissen, kletterte nach und kroch, unten angekommen, in Gemeinschaft mit Geelhaar und Woytasch auf die Stelle zu, wo hinter einem Lattenverschlag der Weinkeller war. Die Thür stand auf, etwas Erde war aufgegraben, und man sah Arm und Hand eines hier Verscharrten. Alles andre war noch verdeckt. Aber freilich, was sichtbar war, war gerade genug, um alles Geschehene klar zu legen.

Keiner sprach ein Wort, und mit einem scheuen Seitenblick auf den entseelt am Boden Liegenden stiegen alle drei die Treppe wieder hinauf.

Auch oben, selbst als Eccelius sich ihnen wieder gesellt hatte, blieb es bei wenig Worten, was schließlich nicht Wunder nehmen konnte. Waren doch alle, mit alleiniger Ausnahme von Geelhaar, viel zu befreundet mit Hradscheck gewesen, als daß ein Gespräch über ihn anders als peinlich hätte verlaufen können. Peinlich und mit Vorwürfen gegen sich selbst gemischt. Warum hatte man bei der gerichtlichen Untersuchung nicht besser aufgepaßt, nicht schärfer gesehn? Warum hatte man sich hinters Licht führen lassen?

Nur das Nöthigste wurde festgestellt. Dann verließ man das durch so viele Jahre hin mit Vorliebe besuchte Haus, das nun für jeden ein Haus des Schreckens geworden war. Kunicke schritt quer über den Damm auf seine Wohnung, Eccelius auf seine Pfarre zu. Woytasch war mit ihm.

„Das Küstriner Gericht,“ hob Eccelius an, „wird nur wenig noch zu sagen haben. Alles ist klar und doch ist nichts bewiesen. Er steht vor einem höheren Richter.“

Woytasch nickte. „Höchstens noch, was aus der Erbschaft wird. Er hat keine Verwandte hier herum und die Frau, so mir recht is, auch nich. Vielleicht, daß es der Pohlsche wiederkriegt. Aber das werden die Tschechiner nich wollen.“

Eccelius erwiderte: „Das alles macht mir keine Sorge. Was mir Sorge macht, ist bloß das: wie kriegen wir ihn unter die Erde und wo? Sollen wir ihn unter die guten Leute legen, das geht nicht, das leiden die Bauern nicht und machen uns eine Kirchhofs-Revolte. Und was das Schlimmste ist, haben auch Recht dabei. Und sein Feld wird auch keiner dazu hergeben wollen. Eine solche Stelle mag Niemand auf seinem ehrlichen Acker haben.“

„Ich denke,“ sagte der Schulze, „wir bringen ihn auf den Kirchhof. Bewiesen ist am Ende nichts. Im Garten liegt der Franzos, und im Keller liegt der Pohlsche. Wer will sagen, wer ihn da hingelegt hat? Keiner weiß es, nicht einmal die Jeschke. Schließlich ist alles bloß Verdacht. Auf den Kirchhof muß er also. Aber seitab, wo die Nesseln stehn und der Schutt liegt.“

„Und das Grab der Frau?“ fragte Eccelius. „Was wird aus dem? Und aus dem Kreuz?“

„Das werden sie wohl umreißen, da kenn’ ich meine Tschechiner. Und dann müssen wir thun, Herr Pastor, als sähen wir’s nicht. Kirchhofsordnung ist gut, aber der Mensch verlangt auch seine Ordnung.“

„Brav, Schulze Woytasch!“ sagte Eccelius und gab ihm die Hand. „Immer ’s Herz auf dem rechten Fleck!“

*  *  *

Geelhaar war im Hradscheckschen Hause zurückgeblieben. Er hatte den Polizei-Kehrmichnichtdran und machte nicht viel von der Sache. Was war es denn auch groß? Ein Fall mehr. Darüber ging die Welt noch lange nicht aus den Fugen. Und so ging er denn in den Laden, legte die Hand auf Ede’s Kopf und sagte: „Hör’ Ede, das war heut ein böses Geschäft. So zwei Todte gleich Morgens um neun! Na, schenk mal ’was ein. Was nehmen wir denn?“

„Na, ’nen Rum, Herr Geelhaar.“

„Nei, Rum is mir heute zu schwach. Gib erst ’nen Kognak. Und dann ein’ Rum.“

Ede schenkte mit zitternder Hand ein. Geelhaar’s Hand aber war um so sicherer. Als er ein paar Gläser geleert hatte, ging er in den Garten und spazierte drin auf und ab, als ob nun alles sein wäre. Das ganze Grundstück erschien ihm wie herrenloser Besitz, drin man sich ungenirt ergehen könne.

Die Jeschke, wie sich denken läßt, ließ auch nicht lang auf sich warten. Sie wußte schon alles und sah mal wieder über den Zaun.

„Dag, Geelhaar.“

„Dag, Mutter Jeschke … Nu, was macht Line?“

„De kümmt to Martini. Se brukt sich joa nu nich mihr to jrulen.“

„Vor Hradscheck?“ lachte Geelhaar.

„Joa. Vör Hradscheck. Awers nu sitt he joa fast.“

„Das thut er. Und gefangen in seiner eignen Falle.“

„Joa, joa. De oll Voß! Nu kümmt he nich wedder rut. Fien wihr he. Awers to fien, loat man sien!“

*  *  *

Was noch geschehen mußte, geschah still und rasch, und schon um die neunte Stunde des folgenden Tages trug Eccelius nachstehende Notiz in das Tschechiner Kirchenbuch ein:

„Heute, den 3. Oktober, früh vor Tagesanbruch, wurde der Kaufmann und Gasthofsbesitzer Abel Hradscheck ohne Sang und Klang in den hiesigen Kirchhofsacker gelegt. Nur Schulze Woytasch, Gendarm Geelhaar und Bauer Kunicke wohnten dem stillen Begräbnißakte bei. Der Todte, so nicht alle Zeichen trügen, wurde von der Hand Gottes getroffen, nachdem es ihm gelungen war, den schon früher gegen ihn wach gewordenen Verdacht durch eine besondere Klugheit wieder zu beschwichtigen. Er verfing sich aber schließlich in seiner List und grub sich, mit dem Grabscheit in der Hand, in demselben Augenblicke sein Grab, in dem er hoffen durfte, sein Verbrechen für immer aus der Welt geschafft zu sehn. Und bezeugte dadurch aufs Neue die Spruchweisheit: ‚Es ist nichts so fein gesponnen, ’s kommt doch alles an die Sonnen.‘“

Aus der schwäbischen Türkei.

Zwei ungarische Villeggiatur-Briefe.

Von Karl Braun-Wiesbaden.
I.

So behaglich es auch in der täglich schöner und größer werdenden ungarischen Hauptstadt Budapest ist und so viel Interessantes die dortige Landesausstellung bietet – ein alter Mann wie ich giebt schließlich doch einem schönen stillen, grünen Erdenwinkel den Vorzug, wo er in Frieden seinen Wein trinkt, der da an Ort und Stelle gewachsen. Mögen Andere sich auf der großen, viel betretenen Landstraße bewegen; ich habe nun genug auf flüchtigen Sohlen drei Welttheile – Europa ganz, Asien und Afrika zum kleineren Theile – durchlaufen: der Massen-Konsum ist zu Ende; man muß sich jetzt für die wenigen Tage, die uns noch vergönnt sind, die Leckerbissen aussuchen. Einen solchen habe ich gefunden auf einer großen Herrschaft an der Grenze des Komitats Baránya und Samogy, auf dem rechten Ufer der hier nach Süden fließenden Donau, von welcher man ausgeht, und zwar von Mohács, wo die Türken den König Ludwig II. besiegten, nach Szigetvár (auf Deutsch: Wasserburg oder Inselburg), wo Zrinyi dem mächtigen Soliman einen zwar vergeblichen, aber heldenmüthigen Widerstand geleistet. Von da ging ich zu Wagen nach der Herrschaft, einer Einladung ihres verehrten Besitzers Folge leistend.

Den Namen der Herrschaft will ich nur auf Deutsch wiedergeben. Denn wie er auf Ungarisch lautet, das würdest

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_668.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)