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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Jeder Bauernhof bildet mit dem dazu gehörigen Areal einen mächtigen langen Streifen – ich möchte sagen: in Gestalt eines Handtuchs – welcher sich erstreckt von der Dorfstraße, auf welche er mit dem einen schmaleren Ende aufstößt, bis nach dem Wald hinauf oder bis an die Wiesen oder die Viehweide hinunter, auf welche er mit dem andern Ende aufstößt. Von der Straße an gerechnet, kommt also zuerst der Zaun, dann das Haus, dann der Hofraum mit den Wirthschaftsgebäuden, dann der Hausgarten, dann das Baumstück, endlich der Acker und dann der Wald oder die Hutfläche. Wald und Hut sind gemeinsam. Das Uebrige ist persönliches privates, frei vererbliches und frei theilbares Eigenthum. Jeder für sich und Gott für uns Alle. Die „Haus- oder Familienkommunionen“ der Kroaten und Serben sind unbekannt in diesem freien Lande.

Die Gemarkung ist getheilt in drei Gewannen, welche zugleich die Grundlage der hier herrschenden Dreifelderwirthschaft bilden. In jeder dieser drei Gewannen, an dem Winterfeld, an dem Sommerfeld und an dem Brachfeld, hat jeder Bauer seine ihm eigenthümliche Fläche. Als vierter Komplex kommt dazu noch der Weinberg, und ein jeder Bauer trinkt einen Theil seiner „Fechsung“ selbst und mit seinen Freunden. Davon will ich im nächsten Kapitel erzählen.


Verdächtig.

Von E. Werner.

Nun sitzen wir schon drei volle Tage hier und warten auf das Attentat, und die Mordsgeschichte will noch immer nicht losgehen! Herr Sebald, ich glaube wahrhaftig, man hat Sie genarrt und Seine Excellenz den Herrn Hofmarschall dazu!“

„Still, Haller, nicht so laut! Sie vergessen immer, daß wir Vorsicht zu beobachten haben, die äußerste Vorsicht – merken Sie sich das!“

Die beiden Sprechenden befanden sich in dem Gärtchen eines Dorfwirthshauses, das die Aussicht auf einen bergumkränzten See gewährte. Es war eine kleine anmuthige Ortschaft, tief in den Bergen gelegen, wohin der Strom der Reisenden den Weg noch nicht gefunden hatte. Das einzige sehr bescheidene Wirthshaus war größtentheils auf den Verkehr aus der Umgegend angewiesen und beherbergte nur hin und wieder einzelne Touristen, die von der großen Heerstraße ablenkten, aber auch bald wieder gingen, um berühmtere und großartigere Landschaftspunkte aufzusuchen. Der Herr, der seit mehreren Tagen hier wohnte, hatte sich dem Wirthe gegenüber gleichfalls als einen Vergnügungsreisenden bezeichnet, der in Begleitung seines Dieners eine Tour durch das Gebirge machte, das Gespräch aber, das die Beiden mit vorsichtig gedämpfter Stimme führten, schien auf einen ganz anderen Reisezweck zu deuten.

Herr Sebald warf einen argwöhnischen Blick ringsum, obgleich sich auf dem offenen Rasenfleck, den nur einige Obstbäume zierten, kein Lauscher verbergen konnte, und fuhr dann im Flüstertone fort:

„Wir werden möglicher Weise die ganze Woche hier bleiben müssen, bis sich irgend etwas Verdächtiges zeigt, und zeigen wird es sich, das ist zweifellos. Excellenz sagten mir beim Abschiede ausdrücklich: ,Es ist eine sehr wichtige Angelegenheit, die ich in Ihre Hände lege, lieber Sebald, sie erfordert die höchste Geschicklichkeit und vor allen Dingen die höchste Diskretion. Ich bin leider nicht in der Lage, Ihnen nähere Informationen geben zu können, aber es wird genügen, Ihren Eifer anzuspornen, wenn ich Ihnen sage, daß es sich um ein Attentat gegen das durchlauchtige Fürstenhaus handelt, das um jeden Preis verhindert werden muß’ – das war mir genug.“

„Das ist aber verdammt wenig,“ meinte Haller bedenklich. „Wie sollen wir denn den Attentäter fassen, wenn wir nicht einmal sein Signalement haben?“

„Wir sollen ihn überhaupt gar nicht fassen, sondern vorläufig nur beobachten. Der Herr Hofmarschall scheint sich die eigentliche Leitung der Sache persönlich vorbehalten zu wollen. Er weilt nur drei Stunden von hier im Bade, wir haben sofort Bericht zu erstatten, wenn irgend etwas Verdächtiges passirt, und dann die Ordre abzuwarten.“

„Es passirt aber absolut nichts in diesem elenden kleinen Bergnest, wo Jeder den Anderen von Kindesbeinen an kennt. Wenn man nach Jemand fragt, bekommt man die ganze Lebensgeschichte bis zum Urgroßvater hinauf zu hören, und was wir in den drei Tagen an Fremden zu sehen bekamen, war auch nicht der Rede werth. Ein Pferdehändler, zwei Bauern und ein Reisender für Kognak und Spiritussen – schauderhaft solide Leute! Nicht einen Einzigen davon konnte man beim Kragen nehmen.“

Die letzten Worte klangen sehr wehmüthig, aber der Vorgesetzte schüttelte unzufrieden den Kopf.

„Beim Kragen nehmen! Das ist das A und O Ihrer Weisheit, und das kann doch schließlich jeder Gendarm. Observiren sollen wir, vigiliren, kombiniren, um den Verbrecher herauszufinden, das Ergreifen versteht sich dann von selbst. Excellenz haben ausdrücklich gewünscht, daß ich einen sicheren, zuverlässigen Mann mitnehme, für alle Fälle, und ich habe Sie gewählt, Haller, ich hoffe, Sie werden mein Vertrauen rechtfertigen.“

„An mir soll’s nicht fehlen!“ brummte Haller, „wenn wir nur erst irgend etwas Verdächtiges in Sicht bekämen!“

Er blickte mit äußerst gelangweilter Miene auf den See hinaus, die anmuthige Landschaft interessirte ihn nicht im Mindesten, da sie leider nicht verdächtig war.

„Halt – da kommt etwas!“ rief Sebald plötzlich und deutete auf die Straße, die sich von den Bergen in das Thal herabsenkte. „Ein Reisewagen!“

„Ja, aber es sind nur zwei Damen darin.“

„Gleichviel, wir dürfen auch den kleinsten Umstand nicht außer Acht lassen – observiren wir!“

Er zog ein kleines Fernglas hervor und begann eifrig den Wagen und dessen Insassen zu beobachten. Es war ein einfacher offener Landauer, dem die hinten aufgeschnallten Koffer ein noch harmloseres Aussehen gaben, und die beiden Damen, welche den Vordersitz einnahmen, eine ältere und eine jüngere, hatten augenscheinlich keine Ahnung davon, daß sie der Gegenstand einer so angestrengten Aufmerksamkeit waren, sie führten ein lebhaftes Gespräch mit einander.

„Ich begreife Dich wirklich nicht, Valeska,“ sagte die Aeltere. „Wie kannst Du Dich bei einer solchen Kleinigkeit so erregt und verletzt zeigen? Wenn Herr von Below nun auch wirklich unseren Reiseplan kennt –“

„So wird er uns folgen und mir wie gewöhnlich nicht von der Seite weichen! Du weißt, daß mir dies Mal unendlich viel daran lag, unsere Reise überhaupt nicht bekannt werden zu lassen, es sollte Niemand darum wissen, ich habe Dich ausdrücklich darum gebeten – und jetzt erst erfahre ich, daß Du es ihm trotzalledem verrathen hast.“

Die junge Dame, die in ziemlich erregtem Tone diesen Vorwurf aussprach, war eine schlanke, auffallend schöne Erscheinung, in einem einfachen, aber sehr gewählten Reise-Anzuge. Das zarte, etwas bleiche Antlitz besaß jenen Reiz, den die Schönheit allein nicht zu geben vermag, den Reiz des Seelenvollen, und die dunklen Augen hatten einen eigenthümlich ernsten sinnenden Ausdruck, wie man ihn selten bei einem Mädchen von zwanzig Jahren findet.

„Aber wie kann ich denn einen Reiscplan verrathen, den ich selbst nicht kenne?“ vertheidigte sich die Begleiterin. „Bis zu dieser Minute weiß ich noch nicht, wohin wir eigentlich gehen, ich weiß nur, daß der Wagen uns nach Seefeld bringen wird, das doch jedenfalls nur eine Reisestation ist, und das habe ich allerdings Herrn von Below mitgetheilt. Er war so bestürzt über die plötzliche Abreise, so trostlos, daß ich es wirklich nicht über das Herz bringen konnte, ganz zu schweigen, und er hatte sich schon in aller Morgenfrühe aufgemacht, um selbst den Blumenstrauß zu bringen, den Du beim Erwachen auf dem Balkon finden solltest.“

„Leider! Denn bei dieser Gelegenheit sah er den Wagen vor der Thür stehen und erfuhr die Abreise. Nun, hoffentlich folgt er uns nicht auf dem Fuße, und wir haben wenigstens für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_672.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)