Seite:Die Gartenlaube (1885) 726.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

verlangte er Wasser, aber kaum daß er davon verkostet, erfaßten ihn Herzkrämpfe und binnen zwei Tagen verschied er am 15. September 1014.“

Wenige Jahre hierauf wurde ganz Bulgarien von Basilios unterworfen, der eine Schreckensherrschaft einführte, die ihm den Beinamen „der Bulgarentödter“ eintrug.

Erst im Jahre 1186 vermochten die Bulgaren das Joch abzuwerfen. „Wie Hirsche oder Ziegen“ erschienen damals die Hirten auf den hohen Felsen und schütteten überall einen Pfeilregen und wälzten Blöcke auf das byzantinische Heer hinab, daß der Kaiser fliehen mußte und froh war, sein nacktes Leben gerettet zu haben.

Nun zog Joannes Asen I., der muthige Führer dieses Aufstandes, als neuer Zar von Bulgarien in Tirnowo ein, das zwei Jahrhunderte lang die Hauptstadt des Landes bildete, bis die türkische Woge sich über den Balkan ergoß.

Mit der Herrschaft der Aseniden beginnt die Glanzzeit Bulgariens, deren fieberhafter Herzschlag in den engen Mauern Tirnowos am lautesten pochte – jetzt kamen glückliche Raubzüge und frohe Heimkehr beutebeladener Krieger, welche Byzantium die alte Schuld heimzahlten – dann erschien das erste schwache Sprießen und Keimen der Kultur, und vorsichtig wagten sich die Anfänge bulgarischen Schriftthums hervor. Fremde Fürsten warben um die Freundschaft der Zaren, und selbst der versöhnte Kaiser von Byzantium holte sich aus Tirnowos Mauern die schöne Tochter des Zaren Boris zur Gemahlin.

Aber wie kurz war diese Zeit des Glücks! Als im Norden Stefan Duschan, der Gewaltige, Serbiens Macht gefahrdrohend ausdehnte und im Süden schon die Vorhut der türkischen Horden erschien, begann im Innern der Verfall des bulgarischen Reiches. Während in der Umgegend von Tirnowo die Sekten der Adamiten und Hesychasten, die von der Ehe nichts wissen wollten, in Bergen und Schluchten ihr Unwesen trieben und die Sitten des Volkes untergruben, gab der Hof kein besseres Beispiel. Zar Alexander sandte seine rechtmäßige Gattin, eine walachische Fürstentochter, in ein Kloster, da ihm ein „bezaubernd schönes Judenmädchen“ weit besser gefiel. Er ließ es taufen und erhob es zur „neuerleuchteten Zarin“.

Da schmetterten in das sinnentrunkene Leben, in das ausgelassene Jauchzen der Bacchanalien die Kriegstrompeten von den Höhen des Balkan hinein. Murad, der unüberwindliche „Sieger im heiligen Kampfe“, überschritt mit seinem Heere die schlecht bewachten Pässe; bald zwang er Bulgarien zu einem Bündniß und bedrohte ernstlich das serbische Reich, a[l]s noch einmal das Kriegsglück den Slaven lächelte und die freudige Kunde durch die Länder ging, daß bei Ploznik an der Topliza Murad geschlagen wurde. Aber kurz nur dauerte der Freudenrausch. Nach kaum zwei Jahren mußte Tirnowo den Türken die Thore öffnen, und Zar Schischman wurde Vasall Murad’s. Bulgarien war gedemüthigt, aber noch nicht unterjocht. Als jedoch am St. Veitstage 1389 die große Schlacht auf dem Amselfelde geschlagen und die letzte Kraft der Südslaven gebrochen war, erschien auch sein Schicksal besiegelt.

Am 17. Juli 1393 wurde Tirnowo nach dreimonatlicher Belagerung von den Türken erstürmt. Die hervorragendsten Bürger wurden niedergemetzelt, die schönsten Mädchen und Knaben als Kolonisten nach Kleinasien geschleppt, die Kirchen in Moscheen und Bäder umgewandelt!

Seit jenem Tage spielt Tirnowo lange keine Rolle mehr in der Geschichte. Durch ein halbes Jahrtausend kann der Chronist höchstens von namenlosen Bedrückungen und von fruchtlosen Aufständen, die schließlich in ein Banditenthum ausarteten, berichten. Andere Städte Bulgariens, wie Rustschuk, Varna und Sofia, überholten selbst im Wohlstand die alte Zarenstadt.

Erst in der Nacht vom 6. zum 7. Juli 1877 begrüßten die aufgeregten Bewohner die im Norden auflodernden Feuersäulen brennender Dörfer als Zeichen naher Erlösung. Diese blutige Lohe deutete ja den Weg des General Gurko an, der mit seiner Kavallerie unaufhaltsam gegen Tirnowo vordrang und Scharen moslimischer Landleute vor sich herscheuchte. Am 7. Morgens zogen die Russen fast ohne Kampf in Tirnowo ein, und seit jenem Tage begann für die alte Zarenstadt die freudige Zeit der nationalen Wiedergeburt; sie sah wiederum einen bulgarischen Landtag in ihren Mauern, und auf ihren Straßen jubelte wiederum das Volk einem bulgarischen Fürsten entgegen.

Man nennt die Geschichte die Lehrmeisterin der Völker, aber wer folgt ihren Lehren? Sie predigt aus Tausenden von Ruinen und an Hunderten von Schlachtfeldern weise Mäßigung dem Bulgarenvolke, und trotzdem sehen wir heute den Fürsten Alexander, wie einst die Zaren Bulgariens, dahinstürmen auf dem schmalen Wege kühner Wagnisse. Man sagt, die türkische Herrschaft habe aus dem kriegerischen Bulgaren einen friedlichen Landbauer und Gärtner gemacht; aber die Thatsachen lehren, daß den Grundzug eines Volkscharakters selbst Jahrhunderte der schlimmsten Knechtschaft zu ändern nicht vermögen; denn bis heute sind den Bulgaren ihre alten Eigenschaften verblieben: der ungestüme „Drang nach Süden“ und die Lust, kriegerisch in die Geschicke der Balkanhalbinsel einzugreifen.

Siegfried.


Nachdruck verboten, Ueber[-]
setzungsrecht vorbehalten.

Offene Briefe an Henry M. Stanley.

Von Dr. Pechuël-Loesche.
II.

Recht entsprechend den Zahlenwerthen, die Sie, Herr Stanley, in Ihrer fabelhaften Exportliste aufstellen, sind auch andere Zahlen, die Sie anläßlich Ihres großen Bahnprojektes abdrucken. Sie sagen (II, 384), wenn eine genügende Verbindung bis Manyanga hergestellt ist, so wäre eine Ausfuhr von 60 000 Tonnen Erdnüssen und Palmöl gesichert im Werthe von 21 Millionen Mark jährlich! Wo soll diese Ausfuhr denn herkommen in einem Gebiete, von welchem jetzt selbst – wie weiter unten zu erklären – Ihre eigenen Auftraggeber, weil sie nicht mehr anders können, zugestehen, daß es wüst und öde sei? Dazu führen Sie ferner auf: Kautschuk und Elfenbein, Werth 6 Millionen Mark jährlich. Aber die Kautschukliane (Landolphia) ist in diesem ohnehin waldarmen Gebiete äußerst selten, daher producirt dasselbe überhaupt keinen Kautschuk, kann keinen produciren. Und das ganze westliche Kongobecken liefert ja insgesammt bloß für 1½ Millionen Mark Elfenbein! Aber so geht’s im Kongolande: Ha! Dort läuft ein Elefant! – – großartiger Elfenbeinreichthum! Da steht ein Baum! – prachtvolle Waldungen!

Noch ganz andere Differenzen stellen sich jedoch heraus, wenn man Ihre vielfachen, so überzeugend genau aussehenden Angaben (II, 384; II, 431) über die Anlage der Eisenbahn mit einander vergleicht und etwas nachrechnet.

Die ganze Bahnlänge von Vivi bis zum Stanley Pool, 366 Kilometer lang – es thut ja nichts, Herr Stanley, daß Sie die Entfernung überhaupt nicht kennen! – würde 940 000 Pfd. St. = 18 800 000 Mark kosten. Da nach Ihrer Behauptung „die Bahn eine Niveaubahn sein wird und weniger Brücken bedarf“, so berechnen Sie die Kosten einfach, indem Sie sagen: die englische Meile kostet 4000 Pfd. St. = 80 000 Mark. Zum Unglück für Ihre Unfehlbarkeit begnügen Sie sich aber nicht mit der kurzen Angabe der Totalsumme, sondern Sie geben auch Einzelheiten. Da offenbart sich denn deutlich Ihre Zuverlässigkeit. So sagen Sie: die Bahn von Vivi bis Isangila, 80 Kilometer lang, kostet 210 000 Pfd. St. gleich 4 200 000 Mark. Die Strecke von Vivi bis zum Stanley Pool, ohne die Bahn Idangila-Manyanga, aber mit den 4 Dampfern, die hier zu je 10 000 Pfd. St. = 200 000 Mark angesetzt sind, würde 860 000 Pfd. St. = 17 200 000 Mark kosten. Folglich kostet die Strecke Manyanga-Stanley-Pool, 145 Kilometer lang, 860 000 Pfd. St. Minus 210 000 Pfd. St. und 40 000 Pfd. St. = 610 000 Pfd. St. = 12 200 000 Mark. So kostet denn die einfache Niveaubahn nach Ihrem Schema auf einer nicht doppelt so langen Strecke fast das Dreifache der zuerst berechneten Strecke!

Nun haben Sie aber für diese beiden Strecken bereits total 820 000 Pfd. St. = 16 400 000 Mark verrechnet. Folglich bleiben Ihnen für den Bau der mittleren Strecke: Isangila bis Manyanga, 141 Kilometer lang (!) von den 18 800 000 Mark der Totalsumme, bloß 2 400 000 Mark – wovon Sie doch nur etwa ein Fünftel dieser Strecke bezahlen können. Da fehlen also gleich etwa 9 Millionen, und zwar für Ihre Niveaubahn, Herr Stanley! Woher diese nehmen? und woher außerdem die Gelder beschaffen für Herstellung der zahllosen bedeutenden Hochbauten und unvermeidlichen gewaltigen Ueberbrückungen?

Derartig sind Ihre Kostenanschläge, Herr Stanley, und mit diesen haben Sie die Arbeiten der Berliner Konferenz unterstützt!

Ueberhaupt ergeben sich aus allen Ihren Zahlenangaben Widersprüche und Preisdifferenzen in solcher Menge und Höhe, daß einem Jeden, der näher prüft, was er liest, die absolute Haltlosigkeit Ihrer so bestimmt ausgedrückten officiellen und nichtofficiellen Mittheilungen zur unumstößlichen Gewißheit werden muß.


Im zweiten Kapitel über das Klima (II, 315) stellen Sie eine Liste Ihrer Mitarbeiter auf, führen Sie Todesfälle, Heimgekehrte an. Die Zahlen stehen da, einfach, übersichtlich geordnet. Sind sie aber auch richtig? Im ersten Jahre führen Sie 18 Personen auf; Abgang von diesen: 6 Personen; bleiben 12. Sie schreiben 13. Im nächsten Jahre kommen zu den 12 Ihnen noch Gebliebenen weitere 13 Neulinge; Abgang von dieser Zahl 9; bleiben 16. Sie rechnen 28! Zu den 16 kommen im nächsten Jahre wiederum 13, macht 29; Abgang 8; bleiben 21. Sie schreiben 32! Zu den 21 thatsächlich noch vorhandenen sendet man Ihnen im nächsten Jahre noch 33, macht 54; Abgang 17; bleiben 37. Sie schreiben 69! Dann kamen 93; macht 130; Abgang 35; bleiben 95. Sie rechnen 151! Und schließlich 142 statt 134.

Welche Ihrer Zahlen sind denn nun eigentlich richtig, Herr Stanley? Und was ist alljährlich aus den Beamten geworden, die Sie mehr anführen, als nach der Rechnung vorhanden sein können? Müssen wir die Zahl der Gestorbenen oder die der Heimgekehrten vergrößern? Die Zahl der Angekommenen zu verringern, geht nicht an, denn die von Ihnen gegebene Totalsumme, 263, ist doch überhaupt zu niedrig angesetzt.[1]

Leider kann ich eine volle Uebersicht des gesammten Personalbestandes und der Verluste der Expedition nicht mittheilen, da genaue Daten sehr schwierig zu beschaffen sind. Hier stoßen wir auf eines der wirklichen Geheimnisse der Expedition.


  1. Report of W. P. Tisdel. Congo, No. 4. pag[.] 18, 19. „Die Sterblichkeit unter den Weißen, die in den Dienst der Association getreten sind, ist fürchterlich gewesen. Niemals habe ich in irgend einem anderen Lande Aehnliches gekannt. Es wird gesagt, daß das Klima am Stanley Pool viel besser ist als im Lande weiter stromab, aber meine Beobachtung bestimmt mich, zu glauben, daß sehr wenig Unterschied vorhanden ist. Ich fand viel Krankheit am Stanley Pool; in Wirklichkeit war es eine Ausnahme, irgendwo einen gesunden weißen Mann zu finden. Die Todtenliste der Weißen entlang meiner Marschroute war entsetzlich, und die Association kann heute in Afrika nicht 50 arbeitsfähige weiße Leute, und nur 120 im Ganzen aufzählen. Während einer Periode von sechs Jahren hat der Präsident der Association ungefähr 600 (?) Weiße engagirt, drei Jahre in Afrika zu dienen. Nur fünf von dieser großen Zahl sind bisher fähig gewesen, ihre volle Vetragszeit dort zu verweilen.“
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_726.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2023)