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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Eine fürstliche Malerin.

Von Direktor Anton v. Werner


Straße am Meer in Pegli bei Genua.
Von Victoria, Kronprinzessin des Deutschen Reiches.

 An die Redaktion der „Gartenlaube“.

Sie beehren mich mit der schmeichelhaften Aufforderung, „einen Text zu den drei Holzschnitten nach Arbeiten Ihrer kaiserlichen Hoheit der Frau Kronprinzessin zu schreiben“. Sollte ich wirklich die geeignete und fähige Persönlichkeit dafür sein? Vor Jahr und Tag brachte eine Düsseldorfer Zeitung einen fulminanten Artikel, in welchem dem bekannten Maler pp. A. v. W. auf den Kopf zugesagt wurde, daß er ex cathedra dem schönen Geschlecht jedwede Befähigung und Berechtigung zur Ausübung der bildenden Kunst abgesprochen habe – was sich indeß mit dem Respekt und der Verehrung, welche derselbe dem schönen Geschlechte zollt, durchaus nicht vereinigen läßt –, und vor ganz kurzer Zeit hinwiederum brachte eine Berliner Zeitung die interessante Mittheilung, daß „der Professor X. – ein vielgenannter Künstler, welcher vorwiegend Haupt- und Staatsaktionen malt“ (allem Anschein nach mit dem oben citirten A. v. W. identisch), „bei einem Souper den bedeutungsvollen Ausspruch gethan haben soll: unsere malenden Damen malten und zeichneten besser wie Michel Angelo und Raphael“ – was wiederum seiner Ehrlichkeit etwas viel zugemuthet heißt! Glücklicher Weise liegt für beide Zeitungen nicht die Veranlassung vor, den Beweis der Wahrheit antreten zu müssen, und der so schwer Belastete wird versuchen, die Scylla und Charybdis obiger Behauptungen furchtlos zu durchsegeln. –

In meinem Arbeitszimmer hängt unter allerlei Skizzen und Zeichnungen auch eine Bleistiftzeichnung, eine junge Dame in elegantem Schleppkleide, einen dunkelen Spitzenschleier um Haupt und Schultern geschlungen, darstellend, deren leichte und doch markige Darstellungsweise stets die Aufmerksamkeit kunstliebender und kunstübender Besucher – welche dies Zimmer zahlreich sieht – auf sich zieht.

Auf die Frage nach dem Autor, dessen Monogramm etwas undeutlich VKpss. 1875 lautet, erfolgt bei dessen Nennung regelmäßig neben anerkennenden Aeußerungen über die Bravour und Korrektheit der Zeichnung die Frage: „Hat sie das wirklich allein gezeichnet?“ Und verwunderlich ist diese Frage gerade nicht gegenüber der landläufigen Anschauungsweise von der Befähigung der Frauen für die bildende Kunst im Allgemeinen und der Ausübung derselben durch Höchststehende Damen im Besonderen und gegenüber dem Maßstab, welchen die Kritik an künstlerische Leistungen anlegt. Die hohe Frau indeß, von welcher die oben beschriebene Zeichnung herrührt, und von welcher die „Gartenlaube“ die drei nebenstehenden Studienblätter in vorzüglicher Reproduktion zu bringen im Stande ist, befindet sich, dank ihrem Talent und ihren unermüdlichen Studien, in der bevorzugten Lage, im vollsten Maße jene Kritik ertragen zu können, wie sie der Künstler dem ebenbürtigen Künstler gegenüber zur Anwendung bringt, und ihr Wollen und Können befindet sich auf einem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 761. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_761.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)