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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Bruders Alexander und hat, um dies zu können, aus der preußischen Armee seinen Abschied genommen.

Prinz Alexander hat seine erste Ausbildung in der bekannten Erziehungsanstalt in Schnepfenthal (bei Gotha) erhalten. Bezeichnend für ihn und für seine Eltern! Seine damaligen (1869 bis 1873) Mitschüler, deren ich Einen noch dieser Tage sprach, rühmen seine Wißbegierde und sein entschiedenes und dabei doch völlig anspruchsloses Wesen. „Ei ja“, sagte mein Freund, „er war ein grundgescheiter und ein herzlieber Junge – gar nicht so, wie die Anderen – denn die nicht ganz Vollbürtigen und die Neugebackenen, das sind ja sonst gewöhnlich gerade die Schlimmsten.“

Er hat das Kadettenhaus in Dresden besucht und ist dann Lieutenant in Darmstadt und später in Berlin bei der Garde geworden. Im Jahre 1877 und 1878 hat er den russischen Krieg im Orient mitgemacht, und dann ist er 1879 Fürst von Bulgarien geworden. Gleichzeitig mit ihm vorgeschlagen war der Prinz Waldemar von Dänemark, und es heißt jetzt, Rußland wolle, wenn die Absetzung des Fürsten Alexander gelinge, auf den damaligen Konkurrenten und Thronprätendenten Waldemar zurückgreifen und sich mit Oesterreich dahin verständigen, daß dieses die Schutzherrschaft über den Westen und Rußland die über den Osten der Balkan-Halbinsel erhalte. So sei es beschlossen in Kremsier. Allein der orthodoxe Türke pflegt bei solchen Gelegenheiten mit Recht zu sagen: „So erzählen die Leute, aber Gott (Allah) weiß es besser!“

Jedenfalls pflegt die Suppe nicht so heiß gegessen zu werden, wie sie gekocht wird.

Was die Vereinigung von Nord- und Südbulgarien anlangt, so läßt sich dieselbe auf die Dauer nicht hintertreiben. Beide gehören zusammen, wie die zwei Seiten eines bilateralen Geschöpfes. Die Zolllinie zwischen Beiden ist ein Unsinn. Getrennt ist Jedes leistungsunfähig. Vereinigt bilden sie schon ein ganz hübsches Land und wären vielleicht sogar im Stand, den versprochenen Tribut pünktlich zu zahlen, ein Umstand, der bei dem Sultan und seinen Leuten schon ziemlich schwer ins Gewicht fällt.

Vor Allem aber: im Kriege wider die Serben haben die Nord- und Südbulgaren Schulter an Schulter gekämpft und gemeinsam die Bluttaufe erhalten. Blut ist ein ganz besonderer Saft. Seine Bindekraft ist stärker als die Scheidekraft der Kongreßbeschlüsse.

Den Fürsten Alexander abzutakeln, ist so leicht nicht, wie man sich das wohl hin und wider in Rußland vorstellt.

Alexander hat sich bewährt als klug und als tapfer. Er ist den Bulgaren ans Herz gewachsen. Fortuna juvat audacem, das Glück hilft dem Tapfern.


Ein wunderlicher Heiliger.

Novelle von Hans Hopfen.
(Schluß.)

Das Engagement war in einer schönen Stadt abgeschlossen, in der es viele, viele Mönche giebt und wo der Einfluß geistlicher Würdenträger sich manchmal auch auf die Anstalten weltlicher Kunstübung erstreckt. Es mag übrigens dahingestellt bleiben, ob der findige rührige Pater Otto irgend welche Beziehungen, die ihm geläufig waren, in dieser Richtung zu Gunsten seiner Muhme habe spielen lassen. Thatsache ist, daß er kurz vorher in Angelegenheiten der Klosterbibliothek in eben jener Stadt wieder einmal gewesen war und daß er mit der Nachricht, jenes berühmte Hoftheater erkläre sich zu einem Probegastspiel Bianca’s bereit, diese in größte Freude versetzte.

Flugs ging es an ein Vorbereiten und Zurüsten. Bianca ließ es an sich nicht fehlen, setzte dabei aber die Feder Pater Otto’s und die Nadeln ihrer beiden Schwestern in tüchtige Bewegung. Der lustige Geist vergangener Tage mit seiner Kühnheit, seiner göttlichen Zuversicht schien wieder über das Mädchen gekommen zu sein. Nur manchmal mahnten die gerötheten Augendeckel an still und verborgen geweinte Thränen, und die nervöse Hast, die ihre Bewegung manchmal mehr hemmte als förderte, ließ doch auch auf innere Unruhe und gewaltsam niedergedrückte Sorge schließen.

Wenn Bianca denn doch inmitten all der freudigen Vorbereitungen Zweifel am Gelingen ihres Planes packten und sie im Glauben an ihre künstlerische Zukunft erlahmen wollte: dann dachte sie daran, daß Edgar ein armer Mann geworden sei, daß er vordem in seinem Bürgerstolz ein Mädchen, das der Kunst ihr Leben weihte, für unwürdig erachtet habe, seine Gattin zu werden, und daß sie nun berufen sei, ihn eines Besseren zu belehren durch die That. Sie wollte berühmt durch die Kunst und durch den Ruhm reich und durch den Reichthum glücklich werden und ihn wieder glücklich machen!

Pater Otto stand daneben und sah all dem aufgeregten und aufregenden Treiben zu. Er dachte sich: Wie’s nun ausgehen mag, sie hat doch ihren Willen gebüßt und ihrem Herzen ein Opfer auferlegt, und ist’s vorüber, wird’s zum Guten, sie wird im Glück nicht stolz und im Unglück nicht untröstlich sein, denn sie liebt!

Und weil er besten sicher war, daß die Liebe sie beseelte und zu ihrem Thun begeisterte, so hatte er auch, nicht allzulange Zeit nach jener Begegnung in der Minoritenkirche, sich mit Edgar von Sperber in briefliche Beziehungen gesetzt. Es waren anfangs nur geschäftliche Angelegenheiten, die er im Auftrag und Interesse seines Klosters dem Hamburger Hause zu besorgen auftrug. Wenn auch gerade keine großartigen Geschäfte, doch solche, die der Mühe werth waren. Und ihre Bedeutung wuchs allmählich. Bald handelte es sich darum, jenseit des Oceans gefährdete Kapitalien sicher zu stellen, bald galt es, Ordensbrüdern, welche weite, oft auch gefährliche Reisen in überseeische Länder unternahmen, mit Rath, Empfehlung oder Unterstützung an die Hand zu gehen. Das Vertrauen, welches Edgar also zu rechtfertigen beflissen war, trug ihm aber nach und nach allerlei Beziehungen ein, die er sich ohne Pater Otto’s zuvorkommenden Einfluß nie hätte träumen lassen. Unter den Briefen, die Edgar nunmehr empfing, befanden sich manchmal bischöfliche und sogar erzbischöfliche Anfragen und Antworten. Manche recht diskreter Natur, manche von hoher Wichtigkeit. Das Hamburger Haus besorgte das Alles, dank seiner alten weitreichenden Beziehungen und wegen des Interesses, das einer der jungen Chefs an dem besonderen Auftraggeber nahm, so gewissenhaft und gut, daß der Erfolg nie ausblieb, die geistliche Clientel sehr zufrieden war und die Gelegenheit zu neuem Briefwechsel für Pater Otto nicht ausblieb.

Nun es mit dem Sommer zu Ende ging und die Abreise Bianca’s immer näher rückte, schrieb Pater Otto einmal als Nachtrag zu einem trockenen Geschäftsbrief an Edgar von Sperber: „Ich wollte, daß es Ihnen Ihre Zeit erlaubte, Anfang Oktober nach der Stadt der Mönche zu kommen, wär’s auch nur auf wenige Tage. Wir könnten uns da wieder einmal mündlich aussprechen, was mir sehr angenehm wäre. Und dann würd’ es Ihnen vielleicht nicht gleichgültig sein, Fräulein Scandrini’s erstem Auftreten auf einer Opernbühne beizuwohnen. Sie singt auf Engagement. Die Bedingungen sind vortrefflich. Ihre erste Rolle wird wahrscheinlich ,Margarethe‘ sein. Sie weiß nicht, daß ich Ihnen davon etwas mittheile. Sie könnten’s ja ebenso gut aus dem ersten besten Blatte lesen. Aber ich thu’ es, um Sie zu bitten, falls Sie sich zu der Reise entschließen, sich keinesfalls vor der Vorstellung bemerklich zu machen. Es wird der Aufregung vorher auch so schon genug sein. Künstlerköpfe sind unberechenbar. Und nicht nur ihre Köpfe. Ihre Kehlen erst recht! Man kann nicht wissen, wie eine Ueberraschung wirken möchte. Doch hoff’ ich und wünsch’ ich das Beste. Wo Sie mich dort finden werden, wissen Sie u. s. w.“


Als Edgar über hundert anderen Angelegenheiten diesen Brief empfing, ward es ihm doch nicht leicht, mit seinem Denken ausschließlich in trockenen Geschäftsfragen befangen zu bleiben. Wie einem geplagten Schulknaben, dem plötzlich die goldene Ferienzeit in unerwartet nächste Nähe gerückt wird, stand all sein Sinnen ins Weite. Sein Hoffen hatte ihn nicht betrogen. Pater Otto hatte ihm Wort gehalten, obschon dieser ihm nie ein Wort gegeben. Aber die Beiden hatten sich doch auch ohne Worte verstanden. Und wenn der kluge Mönch ihm jetzt also schrieb, so hieß das: hoffe getrost, denn die Prüfungszeit ist zu Ende! Und wenn er ihm jetzt schrieb: Komme ja, so hieß dies: Du wirst dich nicht nur freuen, sie zu hören; sie wird sich auch freuen, Dich wiederzusehen!

Ob Fräulein Scandrini nun die Bühnenlaufbahn ernstlich betrat oder nicht, das änderte nichts mehr an seinem Hoffen und Begehren. Was lag daran! Er scheute doch selbst vor Arbeiten längst nicht mehr zurück, die man dem Sohn und Enkel königlicher Kaufleute vordem nicht hätte aufbürden dürfen. Der Hochmuth des Reichthums war mit dem Reichthum dahingangen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 874. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_874.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)