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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

mein Weg über Hamburg nach Helgoland führt, versäume ich es nicht, wenigstens einen Abend im gastlichen Hause Sperber zu verbringen und um die Lieblingslieder zu bitten, die Bianca noch mit der Kunst und Innigkeit ihrer Mädchenjahre dem Freunde gern vorträgt.

Das Haus Sperber behauptet sich auf der Höhe eines festbegründeten Wohlstandes, und wenn seine Söhne auch nicht mit der breiten Bequemlichkeit in die Welt treten werden, mit welcher einst ihr Vater sich in der Kaiserstadt an der Donau eingeführt hat, so werden ihnen nach menschlicher Voraussicht wohl auch die traurigen Zeiten erspart bleiben, die jener später durchzukosten hatte.

Das letzte Mal traf ich dort auch Pater Otto bei Sperber zum Besuch. Seine Tonsur, auf die sich ehrenvoll eine schöne Kirchenwürde niedergesenkt hat, ist etwas breiter geworben, sieht fast wie eine Glatze aus, aber sonst hat er sich kaum merklich mit den Jahren verändert, äußerlich wenig, innerlich gar nicht.

Er kommt gern nach Hamburg und wird dort jedes Mal mit alter Anhänglichkeit empfangen. Auch meine Freude, den einstigen Seminarkollegen wiederzusehen, war groß. Wir speisten mit einander bei Pfordte und gingen mit einander ins Thaliatheater.

Mit seinen „katholischen Amtsbrüdern“ an der Alster hat er wenig Verkehr. Es ärgert ihn, daß sie sich, wie die Lutherischen, „Pastoren“ nennen, und er liebt auf seinen Ausflügen in die Welt mehr Freiheit zu genießen, als jene einem Klostergeistlichen für statthaft erachten möchten. Trotzdem giebt er ihnen an kirchlichem Eifer und streitbarer Überzeugung nichts nach. Als ich darüber dem wunderlichen Heiligen ungescheut meine Verwunderung aussprach, gab er mir mit alten goldenen Worten Antwort und den Schlüssel zu seinem Wesen: „In neccessariis unitas, in dubiis libertas!“ zu deutsch: in Allem, was nothwendig zum Glauben gehört, weiß ich mich eins mit ihnen; aber was ich mindestens ebenso gut verstehe wie jene, darin lass’ ich mir von Niemand was dreinreden.       Amen!


Blätter und Blüthen.


Stanley und Pechuël-Loesche. Vor einiger Zeit ging durch die Tagesblätter die Nachricht, daß Henry M. Stanley in der „Gartenlaube“ eine Antwort auf die in Nr. 43 bis 45 erschienen „Offenen Briefe“ von Dr. Pechuël-Loesche veröffentlichen werde. In der That ist uns Mitte November von dem berühmten Forschungsreisenden das Manuskript der Antwort in Form eines Briefes an den Herausgeber der „Gartenlaube“ zugegangen. Obwohl wir den Abdruck desselben zusagten und auch Herr Dr. Pechuël-Loesche eine öffentliche Erörterung der zwischen ihm und Stanley bestehenden Differenzen gern gesehen hätte, wurde von Herrn Stanley in letzter Stunde, als die betreffende Nummer sich bereits in der Presse befand, seine Antwort zurückgezogen.

Zur Sache selbst möchten wir nur bemerken, daß die volle Wahrheit über den Werth des Kongogebietes für Kolonisation und Handel sowie über die Zustände am Kongo uns nicht lange mehr vorenthalten bleiben wird. Die officiellen Berichte der jüngsten, von der „Regierung des Kongostaates“ unabhängigen centralafrikanischen Expeditionen laufen ein, und jeder Unbefangene muß aus denselben ersehen, daß mindestens ein großer Theil der Ausführungen unseres geschätzten Mitarbeiters Dr. Pechuël-Loesche durchaus gerechtfertigt erscheint. Die Redaktion.     


Die Einladung des steinernen Gastes. (Mit Illustration S. 869.) Die Scene, welche uns Meister J. F. Hennings aus „Don Juan“, Mozart’s höchstem Meisterwerke, in seinem stimmungsvollen Bilde vorführt, gehört ohne Zweifel zu den ergreifendsten Partien der berühmten Oper. Sie ist aber auch geschichtlich interessant, denn sie bildet den Kern jener Fabel, die von so vielen Dichtern bearbeitet wurde und so viel Don Juane den Litteraturen aller Völker verlieh. Wie die andalusischen Chroniken berichten, lebte einst in Sevilla ein junger vornehmer Mann Don Juan Tenorio, der den greisen Komthur Gonzalo de Ulloa erstach, als dieser die gewaltsame Entführung seiner Tochter hindern wollte. Während der Leichnam des Gemordeten im Kloster zu St. Francisco beigesetzt und auf dem Grabmal des Komthurs seine Statue errichtet wurde, ging der Mörder Dank seiner Geburt straflos umher, bis ihn die Mönche in das Kloster lockten und heimlich ermorden ließen. Nach außen wurde inzwischen das Gerücht verbreitet, Don Juan habe die Statue des Komthurs verhöhnt, worauf ihn diese erfaßt und durch die klaffenden Steinplatten in das höllische Feuer gestürzt habe. Mit Zugrundelegung dieses Berichtes hat im Jahre 1634 der Mönch Gabriel Tellez das Schauspiel „Der Verführer von Sevilla oder der steinerne Gast“ geschrieben, welches bald außerhalb Spaniens bekannt wurde und das Original aller Don Juane bildet. Der Inhalt dieses Schauspiels und dessen Beziehung zu der Mozart’schen Oper sind von Fr. Helbig im Jahrgang 1874, S. 322 der „Gartenlaube“ ausführlich dargelegt worden. Schon Gabriel Tellez läßt den übermüthigen Don Juan die Statue des Komthurs zum Abendessen einladen, und auch in Mozart’s Oper finden wir dieselbe Scene wieder.


Geschlossen, natürliche Größe.       Die kalifornische Selaginelle.       Geöffnet, 1/3 natürliche Größe.
Originalzeichnung von C. Gerber.

Die kalifornische Selaginelle, eine sogenannte Auferstehungspflanze. Wer mich besucht, kann, vorausgesetzt, daß er längere Zeit verweile, einen interessanten Vorgang, ein Naturwunder, wie man Derartiges früher zu bezeichnen pflegte, sehen. Ein dürres, hart zusammengetrocknetes Knäuel, von der Größe und Gestalt eines kleinen Apfels, an der unteren Seite mit grauen, trockenen Wurzeln, lege ich in einen flachen Teller voll lauwarmen Wassers und in 12 bis 24 Stunden erschließt sich dasselbe und entfaltet sich zu einer schönen, kräftig grünen Pflanze. Herausgenommen und an einen trockenen Ort gelegt, schrumpft es allmählich wieder zusammen und erscheint in noch kürzerer Frist in der ursprünglichen Gestalt.

Nun werden mir die Leser entgegnen, dies sei ja eine alte Geschichte, denselben Vorgang zeige die Rose von Jericho, welche schon seit altersher zu uns in den Handel gelangte und namentlich von Pilgern aus dem gelobten Land als Wunderpflanze mitgebracht wurde. Dies ist bedingungsweise richtig, aber zwischen beiden, der Selaginelle und der Jerichorose – welche übrigens weder eine Rose ist noch von Jericho herkommt – ergeben sich bedeutsame Unterschiede. Letzteres gleichfalls kugelförmige Gebilde besteht nur in zusammengekrümmten Aesten, die sich bei ausreichender Anfeuchtung allerdings gleichfalls aus einander wickeln und entfalten, aber keineswegs zu solchem vollen, üppigen Grün.

Während sich an jene alte Wunderpflanze allerlei abergläubische Vorstellungen und Gebräuche knüpfen, sehen wir uns die vorliegende Selaginelle mit ganz anderen Augen an. Einige große Handelsgärtnereien und Handlungen mit Aquarien, Terrarien etc. führen auch die Selaginelle zum gelegentlichen Schmuck derartiger Naturanstalten in der Häuslichkeit, und lediglich von diesem Gesichtspunkte aus hat sie für uns Bedeutung.

Die Selaginellen, welche in mehr als zweihundert Arten über die ganze Erde verbreitet sind, bei uns in Deutschland aber nur in zwei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 879. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_879.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2023)