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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

drei Geheimnißvollen (denn der Kammerdiener gehörte nachweislich dazu) und zur Zusammenstellung der Vermuthungen über die Abkunft der Dame, in welcher man bald die Hauptgestalt des Geheimnisses erkannte. Ich sprach am Schlusse die Hoffnung aus, daß es der „Gartenlaube“, die schon damals zu den verbreitetsten Blättern gehörte, gelingen möchte, zu Personen vorzudringen, welche Licht in das unheimliche Dunkel zu bringen im Stande wären, das nicht bloß die nächste Umgebung, sondern immer weitere Kreise aufregte. Wirklich überraschte mich schon ein Jahr darauf eine Benachrichtigung über wenigstens einen der mit auffälliger Vorsicht verborgen gehaltenen Wege, auf welchen die bedeutenden Summen, über die der Graf verfügte, in das einsame Schloß gelangten. Ich theilte dies in Nr. 26 des Jahrgangs 1867 mit. Seitdem haben wir den Gegenstand ruhen lassen.

Schloß in Eishausen.

Warum wir nach so langer Zeit wieder auf ihn zurückkommen? Nicht, weil der Schleier des Geheimnisses endlich gehoben wäre – er schwebt noch vor uns in seiner düsteren Unheimlichkeit – sondern weil die Möglichkeit der Thatsache eines solchen Geheimnisses in unserem Jahrhundert, vor noch Tausenden lebender Zeitgenossen noch immer unser Staunen erregt; weil wir den Wächter desselben wegen seiner Unerschütterlichkeit in der Durchführung seiner Aufgabe ebenso sehr bewundern, als wegen seiner unerbittlichen Rücksichtslosigkeit gegen Alles um sich her, was seiner Aufgabe entgegenzutreten drohte, oft verdammen müssen. Das Geheimniß kann aber kein geringes, am wenigsten von einer Sonderlingslaune gemachtes sein, weil man zum Wächter desselben einen Mann von hoher wissenschaftlicher Bildung und offenbar diplomatischer Erfahrung wählte und weil man zu seiner Wahrung in der Dorfeinsamkeit mehr als eine halbe Million Gulden verwendete. Je mehr man aber durch historische Beleuchtungsmittel die Vergangenheit der verschleierten Dame zu erhellen sucht, desto mehr wird die menschliche Theilnahme für sie rege, und so wird dieses „Geheimniß von Eishausen“ seine Anziehungskraft noch für Tausende auch in kommenden Zeiten behalten.

Es ist keine Frage, daß dieses außer aller Ordnung und doch in aller Ruhe vor sich gehende Treiben des großen Unbekannten unmöglich gewesen wäre, wenn damals eine Presse von der Rührigkeit der gegenwärtigen bestanden hätte. Vergeblich würde der fremde Herr den Ruf des größten Wohlthäters des Landes sich erworben und dadurch alle Gesetze zum Schweigen über sich gebracht haben; die Wucht der öffentlichen Meinung hätte die Riegel gesprengt, hinter denen eine heimlich Gefangene verborgen war. Als das einzige Blatt des Landes, die „Dorfzeitung“, 1818 gegründet wurde, stand der Nimbus des „Grafen“ schon so fest, daß ihn kein auch noch so bescheidenes Artikelchen antastete. Selbst als es nach dem Tode der Dame bekannt wurde, daß sie nicht seine Gemahlin gewesen, blieb die Presse still; durfte doch nicht einmal ein Aufruf nach etwaigen Verwandten und Erben der Todten erlassen werden. Erst als der Hüter des Geheimnisses die Augen geschlossen, gingen die der Zeitgenossen auf, und nun schienen Publicisten und Poeten das Versäumte im Sturmschritt nachholen zu wollen. Die „Vossische“, die „Allgemeine“ und die „Dorfzeitung“ traten zuerst mit Berichten für und wider den „Grafen“ und das mit ihm begrabene Geheimniß auf; die Quellenschrift für alle späteren Autoren wurde aber die 1852 erschienene, bereits genannte Veröffentlichung Karl Kühner’s über „die Geheimnißvollen im Schlosse zu Eishausen“, und ihm folgte auf dem Fuße Ludwig Bechstein mit seinem Roman „Der Dunkelgraf“. Nach ihm kam G. Hesekiel, welcher 1858 denselben Stoff in seinem „Graf d’Anethan d’Entragues“ behandelte. Im Jahr 1867 erschien „Ein ungelöstes Räthsel“ von Karl Deutsch; 1869 die Novelle „Die Verschollenen“ von Adolf Wilbrandt, und 1873 A. E. Brachvogel’s Erzählung „Das Räthsel von Hildburghausen“, während La Roche gleich nach des Grafen Tod in einer Broschüre, ein O. R. 1870 im „Fränkischen Merkur“ und 1878 A. Müller in Saalfeld in einem Vortrage den Gegenstand kritisch behandelten. Es war ein Durcheinander von Wahrheit und Dichtung aus der Presse erwachsen, das den Schleier des Geheimnisses nur immer mehr verwirrte und dichter zusammenzog. Da muß es ohne Frage als ein Verdienst anerkannt werden, daß ein Mann sich entschloß, den Wirrwarr mit kritischem Messer zu lösen und auf Grund eigener Forschungen aus den noch zu erreichenden Familienpapieren und bei den noch lebenden Zeugen des Ereignisses und mit Benutzung der bewährten gedruckten Vorlagen das Bild der Geheimnißvollen neu aufzustellen. Ich freue mich, bemerken zu dürfen, daß derselbe den Artikeln der „Gartenlaube“ besonderen Werth zuerkennt.

Das Grab der Gräfin.

Diese neue Schrift ist: „Der Dunkelgraf von Eishausen“. Erinnerungsblätter aus dem Leben eines Diplomaten, von R. A. Human, Dr. jur. et philos. I. Theil 1883, II. Theil 1886. Hildburghausen, Kesselring’sche Hofbuchhandlung. Dieser Schrift folge ich nun bei der abermaligen Behandlung dieses Gegenstandes für die „Gartenlaube“, und ihr verdanken wir auch die derselben beigefügten Illustrationen.

Ehe ich aber damit beginne, darf ich wohl mit wenigen Worten verrathen, was in mir die ganz besondere Theilnahme für diese Geheimnißvollen erweckte.

Als ich vor nahezu einem Menschenalter von dem gräflich Mensdorff’schen Schlosse Einöd im wunderschönen Felsenthal der Hudina in der grünen Steiermark nach Hildburghausen zurückkehrte, um Joseph Meyer’s durch seinen Tod verwaistes „Universum“ fortzusetzen, war es mir unmöglich, in der Stadt, in „der Gassen quetschender Enge“ Wohnung zu nehmen, so nahe auch alle Thore dem Centrum derselben liegen. Mein Blick fiel auf das von der halben Höhe des Stadtbergs herabschauende große Gartenhaus mit seinem Oberstock auf hohen Schwibbögen, und dort zog ich ein.

Mit dem ersten Schritt in dieses Haus war ich mitten in das dunkle Geheimniß getreten. Dieses Gartenhaus war Eigenthum des Grafen gewesen, hier durfte die „Gräfin“ im Genuß der freien Natur und des lieblichen Landschaftsbildes, welches das Werrathal zwischen den fränkischen Vorhügeln des Thüringer Waldes darbietet, Augenblicke verbringen, die ihr den Wunsch auspreßten, daß sie hier begraben werden möchte. Und so geschah es; man zeigte mir die Kammer, in welcher sie hier oben geschlafen hatte – es wurde nun die meinige – ferner die Stelle in dem Hausflur, wo der Sarg gestanden, in welchem das arme Weib, das im Leben von keinem Menschenauge gesehen werden sollte, nun im Tode vor den Blicken der wenigen bei der Bestattung beschäftigten Männer vom Dorf und aus der Stadt offen da lag – in dem weißen Kleide und mit gelben Saffianschuhen, – „wie zum Tanz geputzt,“ meinte einer der Träger. Und etwa zehn Schritte vom Hause entfernt, an einem etwas höher am Berg sich hinziehenden Wege zwischen Tannen und Buschwerk, welcher der Lieblingsgang der Gräfin gewesen, ragt aus der Berglehne die Steinumfassung des Grabes hervor, in welchem seit dem 28. November 1837 die wichtigste Hälfte des großen Geheimnisses ruht. – Und wer war die jetzige Besitzerin des Hauses und führte mich in diese Vergangenheit ein? Die Tochter jenes geheimnißvollen Kammerdieners, Kutschers und Faktotums, die selbst acht Jahre im Schlosse zu Eishausen gelebt hat und vor deren Augen der Graf gestorben war.

Die Leser glauben es mir nun wohl ohne Versicherung, daß die Geheimnißvollen längere Zeit Tag und Nacht mit mir umgingen und daß ich Kühner’s Schrift mit um so größerer Begier las, als ich zugleich aus dem Munde der lebenden Zeugin so Vieles erfuhr, was noch in keinem Buche stand. Wie oft saßen wir an schönen Abenden auf dem Mauerrand des Grabes, wo sie von der stillen Schläferin da unter uns erzählte: Wie schön die Gräfin gewesen sei! Sie habe besonders große, herrliche blaue Augen gehabt, stets rothe Wangen und sei, obwohl damals schon eine Fünfzigerin, noch immer sehr rüstig gewesen. Lange Zeit habe sie das Haar à la Titus getragen, vor Allem seien ihre Haltung und ihr Gang so schön und vornehm gewesen, wie sie niedriger Gestellte gar nicht nachahmen könnten. Wenn sie auf ihrem liebsten Weg da auf und ab wandelte, sang sie gern, immer jedoch traurige Weisen, leise vor sich hin; vergaß sie sich aber und wurde lauter, so daß der Graf es hörte, der sich in der Regel in der Kastanienallee neben dem Hause aufhielt, so eilte er sofort herbei und warnte sie, damit ihr Gesang nicht Aufmerksamkeit errege. Und traurig schwieg sie dann ganz.

Der Graf hat das Grab nur einmal besucht, kurz nach Bestattung der Todten, dann nie wieder. Er schenkte Haus und Garten seinem Diener Simon Schmidt, dem ersten Gatten Dorothea’s, der Tochter Squarre’s, des Kammerdieners. Nach Schmidt’s Tode ging sie eine zweite Ehe ein und lebt als Frau Nothnagel noch heute in dem Berggarten.

Machen wir uns nun mit dem Leben und Treiben unsrer Geheimnißvollen näher bekannt.

Durch den Kammerdiener, den der Graf selbst als Philipp Squarre aus der Schweiz bezeichnete, erfuhr man in der Stadt, daß „der gnädige Herr“ sich Baron Vavel de Versay schreibe. Die Landleute in und um Eishausen nannten ihn deßhalb in ihrer fränkischen Sprechweise kurzweg „der Pfaffel“.

Sobald der Graf das Haus in der Neustadt bezogen hat, geht eine neue Ordnung der Dinge los: fortan muß Todtenstille herrschen, und Niemand darf das obere Stockwerk betreten, das völlig abgesperrt ist und dessen Fenster Tag und Nacht dicht verhängt sind. Einen dorthin verirrten Handwerksburschen jagt der Graf mit der Pistole in der Hand die Treppe hinunter. Nur Squarre wohnte mit im gehüteten Raum; Köchin und Aufwärterin hatten ihr Nachtquartier außer dem Hause.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_270.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2024)