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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Speranza.
Novelle von A. Schneegans.

Ein seltsam ergreifendes Bild war es, das sich an jenem Märzabend des Jahres 14.., in einem wilden Felsenthale, an der Ostküste Siziliens, dem Auge darbot. Auf einem Felsblock, die schmalen weißen Hände über die Kniee gefaltet, saß eine Jungfrau; sie trug das Gewand der Novizen des Ordens des San Benedetto. Ein wunderbarer Adel aber lag über der feinen, unter diesem einfach groben Anzug wie verschleierten Gestalt. Nicht für diese Nonnentracht schien das Mädchen geschaffen; nicht für hölzerne Sandalen dieser kleine Fuß, der unter der Kutte hervorblickte, nicht für die schmalanliegende Klosterhaube dies edelgeformte Haupt und das von schwarzen Locken umrahmte, griechisch geschnittene Antlitz; und dies tiefe Auge, mit den langen, wie aus Seide gewebten Wimpern und mit dem feuchtverklärten, so wunderbar leuchtenden Blick – nein! für die matte, kerzenzitternde Dämmerung einer engen Kapelle war dies Auge nicht geschaffen, sondern für die weiten, goldblitzenden Räume eines Fürstenschlosses, für das Wogen und Weben eines königlichen Hofstaates, unter schimmerndem Kronleuchter, inmitten von Rittern und Edelfrauen, mit Diamantengeflimmer und Geschmeidegefunkel!

Weitgeöffnet, mit dem Ausdrucke des Schreckens und doch wieder des trotzigen Muthes, haftete das Auge auf der Erde, wo, zu Füßen der Jungfrau, von den Wellen des aus dem Felsen brechenden Quells bespült, mit zerschmettertem Kopfe ein mächtiger Wolf lag, langsam zog sich ein Streifen schwarzen Blutes von der klaffenden Wunde in dem Wasser hin. Den nackten Fuß aber auf des Ungethüms Nacken gestemmt, mit der Linken an seinen langen, knorrigen Hirtenstab gelehnt, und mit einem siegreich kühnen Jubel im Auge, beugte sich ein Jüngling – fast ein Kind noch war er zu nennen – zu dem Mädchen hin. Stolzer sah wohl auf dem Altarbilde kein drachentödtender Erzengel Michael aus, als dieser kleine Hirt, in seinem zerrissenen Lumpenanzug, mit dem lose flatternden Schaffell über dem Rücken. Sein Auge suchte des Mädchens Blick, es suchte ihn mit einem Ausdruck von verzehrender Sehnsucht, die aber zugleich mit wilddrohender Entschlossenheit um Erwiderung flehte. Unter seiner von krausem Lockenhaar halbverdeckten Stirn zogen sich des Knaben Brauen zusammen und krampfhaft zuckte sein Mund, als dränge sich gewaltsam eine nach Antwort ringende Frage über seine Lippen.

Langsam erhoben sich jetzt der Jungfrau Augen zu ihrem Retter empor, und wie der Blick dieser wundersamen Augen den Knaben traf, da war es, als eröffne sich der Himmel über ihm, so ergoß sich über sein Antlitz ein Leuchten von seliger Freude.

„Wie gut bist Du, und wie stark!“ sprach das Mädchen, „Du hast mich geschützt und gerettet, nimm hin meinen Dank aus vollem Herzen.“

Sie reichte ihm ihre Hand hin. Es war eine Gebärde, wie von einer Fürstin, langsam und voll würdevoller Grazie, zum Handschlage wohl weniger, als zum ehrerbietigen Handkusse hingereicht. Ihre Hand faßte der Knabe rasch in die seinige, und – kam es von jener eine Huldigung herausfordernden Gebärde? – auf ein Knie ließ er sich nieder vor der Jungfrau und sagte:

„Ach, Schwester Speranza, wie glücklich bin ich heute!“

Mehr vermochte der Knabe nicht über seine Lippen zu bringen. Die Worte, die er suchte, die den Gefühlen, welche so gewaltig in seinem Herzen tobten, Ausdruck geben sollten, er fand sie nicht. Was waren aber auch Worte? und was brauchte er zu sprechen? Er war glücklich, und er hatte es ihr gesagt, und weiter hatte er ihr nichts zu sagen.

Speranza zog langsam ihre Hand aus der seinigen. Ein trauriges Lächeln flog über ihre Züge, als sie sagte:

„Nino, liebes Kind! so gerne gäb’ ich Dir Etwas, und die Dankesgefühle, die ich von diesem Tage an für Dich im Herzen trage, in ein Erinnerungsgeschenk möchte ich sie einschließen, auf daß Du diese Stunde und meine Dankbarkeit niemals vergessen mögest; sprich, Nino! was soll ich Dir geben? Dein Wunsch soll für mich wie ein Befehl der heiligen Jungfrau sein. Hier freilich nenne ich nichts mehr mein Eigen, aber später, wenn ich wieder frei sein werde ...!“

„Doch, ja!“ rief aufspringend der Knabe, und ein Blitz schoß aus seinem Auge, „ja! Etwas nennst Du Dein Eigen, Speranza! Und wenn Du mir es geben wolltest ... ach! den Saum Deines Kleides würde ich küssen, als wärst Du die heilige Madonna selber, und ich Dein Knecht für alle Ewigkeit!“

Sie schien zu errathen, wovon er sprach: aus einer Brustfalte ihres Gewandes blinkte der goldene Arm eines kleinen Kreuzes hervor, das sie, an einem schwarzen Bande befestigt, um den Hals gebunden trug.

„Mein Kreuz willst Du haben?“ fragte sie, aber mit welchem Beben in der Stimme! Und wie umflorte plötzlich ein Ausdruck tiefen Schmerzes ihr schönes, sinniges Auge!

„Wie ein Befehl der heiligen Jungfrau, sagtest Du, solle mein Wunsch für Dich sein,“ erwiderte Nino rasch. „Siehe! auf Deinem Herzen trägst Du das Kreuz, ... laß es auf meinem Herzen ruhen!“

Sie antwortete nicht. Leichenblässe bedeckte ihr Angesicht. Sie ließ das Haupt auf ihre Brust sinken. Leise bewegten sich ihre Lippen.

„Heilige Madonna!“ seufzte es tief aus ihrem Herzen heraus, „wurde von Dir, wie ein göttlicher Befehl, dieser Wunsch auf dieses Kindes Zunge gelegt? O Madonna! o Madonna! Gehorsam hab’ ich Dir gelobet, Gehorsam in allen meinen Nöthen; die Wege, die Du mich führst, sind finster, und begreifen soll ich sie nicht, aber zum Leben und zur Freiheit und zum Glücke willst Du mich geleiten, heilige Jungfrau, und Deinem Befehle darf ich mich nicht widersetzen ... O mein schönes Liebespfand, o meine letzte Erinnerung an mein süßes Erdenglück – so fahre denn hin!“

Und rasch entschlossen, mit heftigem Ruck, riß sie das Kreuz von ihrem Halse und reichte es dem Knaben hin. Aus lauterem Golde war es getrieben, kostbare Perlen verzierten seinen Rand; ein Wappen, von einer Herzogskrone überragt, war in der Mitte, in erhabener feiner Arbeit, ausgeschnitten. Wie der Knabe die Hand ausstreckte, schien es plötzlich, als bebe sie zurück und könne den Entschluß nicht mehr ausführen, mit leidenschaftlicher Gebärde führte sie das Kleinod an ihre Lippen, als wolle sie es nie und nimmermehr hergeben.

„Bei der Madonna hast Du’s gelobt, Speranza!“ rief ihr Nino zu.

Da entfloß ein Thränenstrom ihren Augen. „Fahre hin, mein Leben, fahre hin!“ flüsterte sie, und mit umgewandtem Antlitze überließ sie dem Kinde das Kreuz. Nino riß es mit einer zornigen, wilden Hast an sich; in seinen Augen flammte ein drohender Blitz und seine Lippen zuckten wieder, wie vorhin, als sie ihm zu antworten gezögert hatte.

„Speranza !“ sagte er dann, „von dieser Stunde an bin ich Dein Knecht, gebiete über mich! Mehr als eine Heilige des Himmels liebe ich Dich! – und siehe! wie ich diesem Wolf heute den Schädel zerschlagen! – Jedem, Speranza!“ fügte er mit wildem Ausrufe hinzu. „Jedem!“

Und, den todten Wolf über seine Schultern werfend, setzte er über den Bach und verschwand zwischen den Felsen.

Speranza schaute ihm lange nach. Armes Kind!“ seufzte sie vor sich hin. Endlich erhob sie sich ihrerseits und schlug den Weg zu dem Kloster ein, das umschattet von hohem Platanenwalde dort unten im Thale lag.

Es war ein alter Normannenbau. König Roger, der Sarazenenbesieger, hatte Kirche und Kloster erbaut, um ein Gelübde zu erfüllen, das er den Bürgern der Stadt Messina gethan hatte, als er deren Mithilfe zur Befreiung Siciliens von den Ungläubigen erflehte. Ein Wunderbild der heiligen Madonna hatte der fromme Krieger dem Kloster geschenkt, und lange Jahre hatte es über dem Hochaltar gestanden, von den Schwestern des San Benedetto wie ein unvergleichliches Heiligthum bewahrt, bis es, bei Ausbruch einer verheerenden Seuche, von dem Erzbischof zum Schutze der geängstigten Bevölkerung in die nahe Stadt getragen und dort mit großer Feierlichkeit in einer neuen Kirche untergebracht worden war. Dem Bilde waren die Schwestern gefolgt, und jetzt lag die alte Kirche verlassen im verödeten Thal, ein Verbannungsort für die von der gestrengen Oberin zur Buße verurtheilten Nonnen und Novizinnen. Noch erhoben wie früher die zinnengekrönten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_014.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2023)