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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Moltke in der Reichstagssitzung vom 4. December 1886.

Mit Illustration von Ewald Thiel.


Es erregt jeder Zeit Aufsehen, wenn der große „Schweiger“ in der deutschen Volksvertretung das Wort ergreift. Moltke spricht ja nur bei allerwichtigsten Anlässen, und ein solcher lag auch in der Sitzung vom 4. December 1886 vor, in welcher es sich um Erhöhung der deutschen Wehrkraft handelte. Der tiefe Eindruck, den die Worte des greisen Feldherrn überall hervorriefen, wird noch lange nachwirken, und wir hielten es darum für angemessen, jenen denkwürdigen Augenblick durch den Zeichenstift eines unserer Künstler festhalten zu lassen und ihn unsern Lesern vorzuführen. Wir sehen Moltke, trotz seines hohen Alters in aufrechter Haltung, an den Tisch des Hauses gelehnt; seine Züge beleben sich, während er spricht, und jugendliches Feuer sprüht aus seinen Augen. Hinter ihm, mitten auf der Treppe, steht der Kriegs-Minister Bronsart von Schellendorf; dicht über diesem erblicken wir von Caprivi, den Chef der Admiralität, und neben dem Letzteren, zur linken Seite, ist an dem Regierungstische auch Minister von Puttkamer deutlich zu erkennen. Die Abgeordneten verließen schon beim Beginn der Rede ihre Sitze und umgaben den Redner in einem dichten Kreise, um kein Wort aus seinem Munde zu verlieren. Trefflich ist auf der linken Seite des Bildes Windthorst wiedergegeben. Der Führer des Centrums legt sogar die Hand ans Ohr, um jeden Ton der Worte aufzufassen. Hinter ihm steht eine dichte Schar der Reichsboten, in vorderster Reihe: Beseler, Schorlemer-Alst, Lieber. Auf der rechten Seite stehen neben einander die beiden Führer der Deutsch-Freisinnigen: Hänel und Richter. Man erkennt leicht die Gesichtszüge beider Parlamentarier, deren Wiedergabe unserem Zeichner gut gelungen ist.

Der Schwerpunkt von Moltke’s Aeußerungen lag in den Worten, welche wir am Fuße der Zeichnung abdrucken. Die friedliche Richtung der deutschen Politik ist in ihnen deutlich betont, und darum fanden sie so allgemeinen Anklang. Wie die Abgeordneten und Zuhörer auf den Tribünen athemlos der Rede des Feldmarschalls lauschten, so las sie am folgenden Tage ganz Deutschland mit der größten Spannung, und ein Gefühl durchdrang ohne Zweifel alle Herzen: mag auch der politische Himmel noch so gewitterschwül scheinen, das Heer, welchem solche Heldenführer beschieden sind, braucht den Krieg nicht zu fürchten und wird den Frieden Europas zu schirmen wissen.

„Die ganze Welt weiß, daß wir keine Eroberungen beabsichtigen; mag sie aber auch wissen, das wir das, was wir haben, erhalten wollen, daß wir dazu entschlossen und gewappnet sind.“




Speranza.

Novelle von A. Schneegans.
(Fortsetzung.)


Der Frühling war gekommen, und mit ihm die linden, von Rosen- und Veilchenduft geschwängerten Lüfte und der hohe, blaue Himmel mit der frohen, lachenden Sonne des Südens.

Durch das Dämmern der alten Normannenwölbungen zieht leise flüsternd der Abendwind, und in dem summenden Säuseln tönt es wie fernes Singen von Engelsstimmen; zu dem Madonnenbild schaut fragend und nach Antwort flehend die Jungfrau empor, und es ist, als lege sich ein himmlisches Lächeln um der Madonna sanft sich eröffnende Lippen und als leuchte der Heiligenschein auf in einem goldigen Glänzen, und in Speranza’s Herzen singt es leise dem Singen des Abendwindes unter den Wölbungen nach: „Verzage nicht, Kind! Auch Dir bringt der Frühling neues Leben und neue Liebe!“

Sogar auf Schwester Josefa übte der junge Frühling seinen Alles bezwingenden Zauber aus; vor Speranza’s stiller Ergebung schien ihr harter Sinn zu milderem Wesen zusammen zu schmelzen. Des Klosters Pforten öffneten sich wieder vor der Dulderin; bis zu dem Platanenhain durfte sie wieder wandeln, und ruhen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_045.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2023)