Seite:Die Gartenlaube (1887) 051.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Blätter und Blüthen.

Eine neue Klaviatur. Von den Fortschritten des Erfindungsgeistes wird auf einmal eins der ehrwürdigsten Erbstücke unserer Väter bedroht, das jetzt noch mit voller Sicherheit sich der Alleinherrschaft in hunderttausend Salons und in hundert Koncertsälen freut, unser Klavier. Herr von Jankò hat eine neue Klaviatur erfunden, in Leipzig bereits Proben seiner Fertigkeit auf derselben abgelegt und eine Reihe von Klavierkompositionen mit großem Geschick gespielt. Die neue Erfindung erregt Aufsehen in der musikalischen Welt, und bereits haben sich mehrere Fachkritiker zu ihren Gunsten erklärt. Der Hauptunterschied von der bisherigen Klaviatur besteht darin, daß, wie unsere Abbildung zeigt,

die Tasten in sechs Reihen terrassenförmig über einander gelagert sind; sie liegen nicht genau über einander, sondern jede Reihe scheint gegen die unterliegende um eine halbe Tastenbreite verschoben; doch befinden sich die Tasten der dritten und fünften Reihe genau über denjenigen der ersten, die der vierten und sechsten über denen der zweiten. An den Seiten der Figur ist das Innere der Klaviatur veranschaulicht: man sieht daraus, daß die über einander liegenden Tasten mit einander niedergehen müssen, wenn man auf eine der Reihen schlägt, und so auch denselben Ton geben. Die andere Abbildung zeigt uns die Ungezwungenheit der Handhaltung, wenn der C-dur-Akkord gegriffen wird, der sich durch eine leichte Verschiebung nach rechts, ohne Aenderung der Handhaltung, in den D-dur-Akkord verwandeln läßt; jede Anschlagstelle ist durch einen Punkt bezeichnet.

Außer dieser natürlichen Handhaltung rühmt der Erfinder der neuen Klaviatur noch als ihre Vorzüge die vermehrte Spannfähigkeit, die Kraftersparniß, die vermehrte Sicherheit des Anschlags. Viele Schwierigkeiten sind damit nach seiner Ansicht aus dem Wege geräumt, manche Leistungen des Virtuosenthums bedroht. Wir wollen dem Erfinder und seinen Jüngern nicht die Freude an dem neuen Werk verkümmern, das sich allerdings erst in der musikalischen Praxis bewähren muß. Jedenfalls ist es ein neuer Schlachtruf, der jetzt ertönt: Krieg unserem Klavier, unserem Pianoforte. Wer so gering vom Klavier denkt, wie Richard Wagner es trotz seiner innigen Freundschaft mit Liszt gethan, der wird sich für diese Streitfrage wenig interessiren; aber das Klavier hat seine enthusiastischen Verehrer und Verehrerinnen, und die Aussicht, bei einem endgültigen Sieg der neuen Erfindung noch einmal alles um- und neulernen zu müssen, was man im Schweiße seines Angesichts und für Unterrichtsgelder, die sich im Laufe der Jahre zu beträchtlichen Summen angehäuft haben, gelernt hat, mag zunächst einen niederschlagenden Eindruck auf die Jüngerinnen und Meisterinnen ausüben, die mehr oder weniger das Pianoforte beherrschen.

Doch mögen sie sich immerhin beruhigen: so rasch geht es mit derartigen Revolutionen nicht, und der hinkende Bote pflegt öfters nachzukommen. †     

Der Frauenfeind. Mit offenem Visir tritt er vor die Frauenwelt, geharnischt von Kopf zu Fuß, und nur ein leises Lächeln, das um seine Lippen spielt, beweist, daß er es doch nicht ganz so schlimm meint, wie es den Anschein hat. Wir sprechen von einer neuen Monatsschrift, von Ferdinand Groß herausgegeben, welche diesen Titel führt. Freilich hat der Herausgeber Recht, wenn er meint, es sei ihm jede Aussicht geraubt, nach seinem Tode als armer Frauenlob von weiblichen Händen zu Grabe getragen zu werden; dagegen hofft er, daß die vernünftigen Frauen sich um seine Fahne scharen werden; denn es gelte ja nur den Kampf gegen den maßlos angewachsenen Frauenkultus – und darum wendet sich die Zeitschrift sogar in erster Linie an die Leserinnen und bittet um ihre Zustimmung. Nicht gegen das Weib, ruft Max Nordau, der jedenfalls auch in anderer Weise begraben werden wird als Frauenlob, richtet sich der Zorn der Wahrheitsfreunde, sondern gegen den Mann, der den lächerlichen und blödsinnigen Weiberkultus treibt. Gleichwohl rathen wir auch den Frauen, diesem dem Anschein nach so wohlwollenden Gegner aus dem Wege zu gehen; denn er versetzt wahre Keulenschläge den Vergötterern des Weibes; die Hälfte davon geht aber daneben und trifft das Weib selbst. Nun, deutlich genug ist der Strohwisch auf dem Titel der Zeitschrift, um die Frauen zu warnen, daß sie nicht Pfade wandeln, wo ihnen solch eine ungalante Begegnung mit einigen Rippenstößen den Weg versperrt.

Am schlimmsten ergeht es den schriftstellernden Frauen: die Blaustrümpfe werden in Vers und Prosa arg mitgenommen. Die litterarische Frauenarbeit wird als eine weibliche Handarbeit geschildert, die meist verderblich wirke. Glücklicher Weise werden Ausnahmen zugelassen; es ist von den „wenigen talentvollen Schriftstellerinnen“ die Rede, und diese seien zum Theil gerade in Oesterreich zu Hause. Der in Wien erscheinende „Frauenfeind“ sichert sich wenigstens gute Nachbarschaft. Nun, die erfolgreichsten Schriftstellerinnen leben nicht an der blauen Donau – das wenigstens ist eine Thatsache. Ueberhaupt muß doch jedes litterarische Werk für sich selbst sprechen: es kommt zunächst nicht darauf an, ob es einen Verfasser oder eine Verfasserin hat. Wir haben geistreiche Schriftstellerinnen wie die George Sand und die Fanny Lewald; wir haben andere, die mit der Lust zu fabuliren eine lebendige Phantasie und ein gefälliges Darstellungstalent vereinigen, wie die Schriftstellerinnen der „Gartenlaube“. Ein Roman soll das Lesepublikum fesseln: das gehört mit zu den Eigenschaften, welche auch die strenge Kritik von ihm verlangen darf. Und wenn das den Schriftstellerinnen besser gelingt als vielen Schriftstellern: ist denn das ein Unglück, welches der Litteratur Verderben bringt? Man schimpft auf die Blaustrümpfe: nun, so mache man’s besser als sie. Der „Frauenfeind“ darf freilich vor dem weiblichen Talent nicht salutiren, sonst würde er ja fahnenflüchtig werden. Immerhin bleibt seine Aufgabe schwierig, immerfort mit grimmer Miene und in herausfordernder Stellung dem „ewig Weiblichen“ gegenüberzustehen, das ja unsern großen Dichter „hinangezogen“ hat. †     

Die Donauquelle in Donaueschingen. (Mit Illustration S. 37.) Im Süden des Großherzogthums Baden, am Ostabhange des Schwarzwaldes, liegt das alte Städtchen Donaueschingen, schon in den Tagen der Karolinger bekannt, die Residenz des ehemaligen Fürstenthums Fürstenberg. Neben dem schönen Schlosse, das durch seine künstlerischen und litterarischen Schätze berühmt ist, quillt in einem runden Becken, von einem steinernen Geländer umrahmt, ein klarer Quell, der Quell der Donau. Glitzernde Sonnenlichter fallen von oben herab in diesen Born, und die Heimathbäume rauschen über dem stillen Wässerchen, welches sich nichts davon träumen läßt, daß es 2800 Kilometer abwärts fließen soll durch alemannisches, schwäbisches und bayerisches Land, durch Oesterreich und Ungarn, an den Grenzen von Serbien, der Walachei und Bulgariens vorüber ins ferne Schwarze Meer. Und welche reiche Gesellschaft findet die Donauwelle während ihres langen Thalwegs! Kaum hat sie unterirdisch ihren Brunnen verlassen, so vereinigt sie sich mit zwei größeren Schwarzwaldbächen, der Breg und der Brigach, in einer sumpfigen Ebene, welche ehedem ein See war, dessen Abfluß die Donau bildete; nachdem die junge Donau die Zuflüsse aus den fernsten Gauen des Böhmerwaldes, den entlegensten Hochthälern von Tirol und Graubünden aufgenommen, wird aus dem winzigen Quell einer der stolzesten Ströme Europas, eine Völkerstraße, welche West und Ost verbindet.

Ein chinesisches Begräbniß in New-York. Eine chinesische Dame in der Hauptstadt der Union, welche bei Lebzeiten nicht viel von sich reden machte, was ihr aber, wie andern Frauen, nach dem Tode eine gute Nachrede sicherte, hat sogar den New-Yorker Blättern nach ihrem Hinscheiden Stoff zu größeren Artikeln gegeben. Und Madame Mai Shum hatte dazu nichts nöthig als zu sterben und sich nach ihrer Landessitte beerdigen zu lassen. Das Begräbniß einer Chinesin bietet aber allerlei Merkwürdiges, und wie es scheint, ist es bisher keiner Tochter des himmlischen Reichs in den Sinn gekommen, in New-York zu sterben.

Die verstorbene Gattin Chin Shum’s wurde zunächst im Vordergrund ihrer Wohnung in einem Sarge ausgestellt, der mit allerlei nach chinesischer Sitte aufs Feinste zubereiteten Eßwaaren umgeben war. Dann wurde die Leiche nach dem Evergreen-Kirchhof übergeführt; doch nicht der Sarg allein wurde in den Leichenwagen gehoben, auch das ganze Bett mit dem Bettzeug und die Kleider, welche die Verstorbene zuletzt getragen, wurden mit aufgeladen.

Als auf dem Kirchhofe die Leiche eingesenkt worden, wurde das ganze Hab und Gut auf dem frischen Grabe verbrannt: der tiefgebeugte Gatte und die jammernden Angehörigen streuten bei dieser Leichenfeier Thee in die Flamme. Das Ehebett kam zuletzt an die Reihe: es gab dem Feuer mit seinen hölzernen Scheiten die willkommenste Nahrung. Kaum aber war das letzte Holz des Gestells und das letzte Stück Zeug verbrannt: da änderte sich die Scene; es war, als wenn das Trauergefolge plötzlich von der Tarantel gestochen worden. Schwatzend und schreiend stürzten alle auf den Wittwer los und brachten ihm mit lärmendem Jubel ihre Glückwünsche dar; es herrschte auf einmal die heiterste Stimmung wie bei einem fröhlichen Feste. Noch wurden zu Ehren der glücklich heimgegangenen Mai Shum, die von jetzt ab zu den gefeierten Ahnen des Hauses Shum gehörte, Kerzen rund um das Grab gestellt; dann begab sich die lustige Gesellschaft ins Trauerhaus, um die köstlichen Speisen und Delikatessen zu verzehren, welche die Todte, wie man mit Recht erwarten durfte, unberührt gelassen hatte. So begann Chin Shum das erste Jahr seiner Wittwerschaft mit der landesüblichen Freude, welche er vor allem Volk offen zur Schau stellen durfte. †     

Torpedoboot im Schwimmdock. (Mit Illustration S. 49.) Die Riesenschiffe unserer Zeit kosten oft viele Millionen Mark und der Verlust eines solchen Fahrzeuges kann oft den Ruin eines großen Handelshauses herbeiführen oder tiefe Lücken in das Budget eines Staates reißen. Man wendet darum auch der Reparatur beschädigter Schiffe dieselbe Sorgfalt zu, wie dem Bau neuer. Einen Blick auf diese Thätigkeit der Werftanlagen gewährt uns die treffliche Originalzeichnung von F. Kallmorgen. Der Künstler zeigt uns in derselben die Arbeitsstätte der berühmten Stettiner Aktien-Bau-Gesellschaft Vulkan, welche in Deutschland auf dem Gebiete der Errichtung von Panzerschiffen bahnbrechend vorgegangen war.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_051.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2024)