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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

theilnehmen und wird von einem kartenlegenden Pinscherchen erinnert, daß es Lust habe, der Dritte im Bunde zu sein.

Dort malt der findige Budenbesitzer inmitten seiner Getreuen einen neuen Anschlagzettel, und zwar unter recht erschwerenden Umständen: denn zwei Aeffchen im Halbnégligé unterwerfen seine Haare und seine Taschen einer sorgfältigen Untersuchung, während ein dritter die dünnen Arme durch die Käfigsstäbe zwängt, um mit dem ein gutes Maß von Neckerei vertragenden Wachhund zu spielen. Wüßte er, daß ein vierter inzwischen in seinem auf den Sims geworfenen Hut Quartier genommen und ein fünfter ihn aus diesem Logis zu vertreiben sucht; er würde wahrscheinlich unter sie treten und strenge Musterung halten. Das vierte Bildchen endlich zeigt uns den verhängnißvollen Moment – avant la bataille – einige Sekunden vor Eintritt der etwas gemischten Künstlergesellschaft auf die Bühne. Aber während Schauspielern in solchen Momenten, wo sie hinter der Koulisse ihres Stichwortes harren, das Herz höher pocht, sehen wir zwischen dem hinter den beiden Herren hockenden Bedienten und dem zur Seite galoppirenden Jockey einen Konflikt ausgebrochen, der in Thätlichkeiten auszuarten droht. Das Klavier im Zuschauerraum hat noch nicht ausgespielt – der Dresseur hält die vor Thatenlust bellenden Kutschpferde, einen Pinscher und zwei Pudel, mit der Hand zurück – jetzt ist’s zu Ende – die Klingel tönt – einmal – zweimal – dreimal – der Vorhang fährt zurück, und auf das Kommandowort „nu aber raus“ betreten die vierbeinigen Künstler die Bretter, die für das aus hundert Kindern bestehende Publikum die Welt bedeuten.

Zwei Lyriker, die in ihrer Eigenart sehr verschieden sind, haben zwei neue Sammlungen von Gedichten erscheinen lassen. Robert Hamerling „Blätter im Winde“ (Hamburg, F. Richter), und Emil Rittershaus „Aus den Sommertagen“ (Oldenburg, Schulze). Der österreichische Sänger, der sich sonst in kühngefugten Gedankensymphonien gefällt, hat diesmal meistens kurzathmige Lieder als „Blätter im Winde“ in die Welt flattern lassen; doch es lohnt sich, dieselben einzufangen, denn es sind farbenbunte Blüthenblätter darunter und die meisten haben eine sinnvolle Zeichnung. Hamerling’s Poesie verräth auch in diesen kürzeren Ergüssen das leidenschaftlich Bewegte und Gedankenvolle, das ihr eigen ist. Hier und dort bei einem größeren Gelegenheitsgedichte wandelt sie pomphafter und in gewählterer Gewandung einher; selten treffen wir eine poetische Novelle oder eine Ballade wie die eigenartige „Todtengräberhochzeit“.

Emil Rittershaus dichtet zwar auch bisweilen „unter schwarzen Wolken“, aber der Gewitterhimmel, der in manchen Dichtungen Hamerling’s grollt und flammt, ist ihm fremd. Er macht kein Hehl aus dem Leid, das ihn oft erfüllt:

„Ihr glaubt, ich sei von heitrem Sinn
Und meine Brust sei voller Lust.
Wie ich so krank und elend bin,
Das ist nur Gott allein bewußt.

Ob euch auch stark mein Herz erscheint,
Er weiß, wie oft es bebt und zagt!
Die Thränen, die ich nicht geweint,
Die haben mir die Brust zernagt.“

aber er sucht Trost und findet ihn.

„Mich hatte tiefe Seelenpein
Zum Opfer sich erkoren;
Ward je ein Glück der Erde mein,
Schien Alles mir verloren.

Da tief im Leiden fand ich ihn,
Den rechten Friedensbronnen –
Als Alles mir verloren schien,
Hatt’ Alles ich gewonnen.“

Die Sammlung enthält viele warmempfundene Gedichte in durchsichtig klarer Form, einfache Melodien, die zum Herzen sprechen. †.

Ein schönes, buntes, zwei Meter langes seidenes Kopftuch – umsonst! „Das ist Schwindel!“ rufen gleichzeitig hundert jugendliche Leserinnen, die den Abstand zwischen kurzem Taschengeld und langen Kopftüchern schon längst mit Schmerz erkannt haben, „reiner Schwindel!“ Mit Eurer Erlaubniß, Ihr lieben schönen Kinder, nein, es ist kein Schwindel, sondern vollste Wirklichkeit. Das Kopftuch liegt hier vor mir, weich und leicht, quergestreift, roth, blau und grün auf gelbem Grund, auf den ersten Blick von einem echten, orientalischen gestreiften Tuche nicht zu unterscheiden und gleich diesem am Rand unregelmäßig ausgefranzt. Aber wenn man es in die Hand nimmt und genau betrachtet, welche Ueberraschung! Das sind ja – Cigarrenbänder, gelbe, rothe, blaue und grüne Floretseidebänder, wie sie die Cigarrenpäckchen in den Auslagen umgeben und vom Verkäufer bei der Einzelabgabe zurückbehalten werden! Hundertundzwanzig Cigarrenbänder, von geschickten und geduldigen Fingerchen mit feiner gelber Seide überwendlich zusammengenäht, aber nicht zu fest, daß man die Naht glätten kann, immer zwei gelbe, ein rothes, wieder zwei gelbe, ein blaues, dann später ein grünes, ganz nach Geschmack und Neigung, nur daß das Gelb im Fond immer überwiegt. Acht Tage Arbeit in ein paar Ueberstunden täglich und das Tuch ist fertig und schmückt das Köpfchen seiner glücklichen Besitzerin allerliebst.

„Und woher die Cigarrenbänder nehmen?“

Nun, das ist ja eben der Hauptreiz an der Sache. Alles, was raucht und nicht raucht in der ganzen Verwandtschaft und Freundschaft, wird um eines solchen Tuches willen in Bewegung gesetzt. Einkäufe beim Materialwaarenhändler besorgt man selbst, statt das Dienstmädchen zu schicken, und erobert mit einer freundlichen Bitte von dem geschmeichelten Ladenjüngling gleich eine Hand voll der ersehnten Bänder. (Daß sie auch gerade die zum Kopftuch nöthige Breite und Länge haben, ist ein nicht genug anzustaunendes Naturwunder.) Man sieht plötzlich Bruder Gustav’s früher so scharf getadelte „unpassende Liebenswürdigkeit“ gegen das hübsche Cigarrenjettchen in der Ecke drüben mit milden Augen an: hat er doch neulich alle Taschen voll Bänder heimgebracht, genug, um zwei ganze Tücher davon zu nähen! Lucie und Julie haben sie genäht; allerdings riechen sie in der ersten Zeit etwas nach Cigarren; aber, merkwürdig, der Geruch war gar nicht unangenehm. Außerdem verflog er sehr bald, und dann wurden die Tücher vorsichtig und klug parfümirt und sind nun wirklich entzückend!

Welches Glücksgefühl nach ihrer Vollendung, und welcher Triumph gegenüber der rauchenden Männerwelt, die stets über den Aufwand der Frauen schilt, ein solches Tuch zeigen zu können als positiven Gewinn aus ihrer Verschwendung, die wohl Hunderte von Cigarrenpacketen in blauen Dunst aufgehen läßt, aber noch nie auch nur ein einziges Bändchen zu nutzen verstand!

Die ersten Theaterkritiken. Wir sind mit der Theaterkritik in den Zeitungen und Lokalblättern aufgewachsen und können uns kaum eine Zeit denken, wo die darstellende und dichtende Kunst in paradiesischer Unbefangenheit existirte, ohne dem Kreuzfeuer der Kritik ausgesetzt zu sein. Gleichwohl ist die Theaterkritik nicht von so ehrwürdigem Alter, daß unsere Sprach- und Litteraturforscher alte Urkunden derselben aus archivalischem Schutte herausgraben müßten. Die ersten abgesonderten Theaterbeurtheilungen in Deutschland erschienen erst im Jahre 1755, wenngleich schon vorher die Schauspielkunst in litterarischen Zeitschriften neben andern Gegenständen der Kunst und Wissenschaft besprochen worden war. 1755 wurden in Leipzig Schilderungen der Koch’schen Bühne, die erste Leipziger Dramaturgie, herausgegeben, und damit der Kritik von Haus aus die Antikritik nicht fehle, erschienen gleichzeitig Gegenschilderungen und „Vernünftige Gedanken über den Zustand der Koch’schen Bühne“. Das größere Publikum begann, sich für die Schauspielkritik zu interessiren, deren Wiege also an der Pleiße stand.

Rosenbowle. Mit der Rose würzt man im Orient Getränke und Zuckerwaaren, auch in England sind Rosenbowlen längst bekannt. Neuerdings haben zwei Baumschulenbesitzer in Trier in der gelben Theerose „Marschall Niel“ eine Konkurrentin für die Ananas und Pfirsiche entdeckt, durch welche man bisher Weinbowlen schmackhaft zu machen suchte. Auf zwei Flaschen Wein rechnet man drei mittelgroße Blüthen und läßt diese etwa zehn bis fünfzehn Minuten darin ziehen. Dann theilt sich dem Getränk der köstliche Duft der Blüthe mit, und die Bowle kann in Bezug auf Aroma und Geschmack mit den gepriesensten Weinbowlen wetteifern, welche durch in- und ausländische Früchte Wohlgeruch und Wohlgeschmack gewonnen haben.

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Inhalt: Herzenskrisen. Roman von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 53. – Jagdschloß Grunewald und die „schöne Gießerin“. Von A. Trinius. S. 56. Mit Illustration S. 57. – Das erste Jahr im neuen Haushalt. Eine Geschichte in Briefen. Von R. Artaria. I. S. 58. – Eingeschneit. Von C. Falkenhorst. S. 61. Mit Illustrationen S. 61, 62, 64 und 65. – Speranza. Novelle von A. Schneegans (Schluß). S. 63. – Blätter und Blüthen: Dr. med. Karl Theodor, Herzog in Bayern. Von Walter Lund. S. 66. Mit Portrait S. 53. – Ein Dank aus Kindermund. S. 67. – Der Ursprung der Zeitungsenten. Von Hans Boesch. S. 67. – Im Affentheater. S. 67. Mit Illustration S. 60. – Zwei Lyriker. S. 68. – Ein schönes, buntes, zwei Meter langes seidenes Kopftuch – umsonst! S. 68. – Die ersten Theaterkritiken. S. 68. – Rosenbowle. S. 68. – Allerlei Kurzweil: Schach-Problem. Für Nicht-Schachspieler. S. 68. – Kleiner Briefkasten. S. 68.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_068.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2023)