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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 5.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 25 Pfennig.



Herzenskrisen.

Roman von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Die schöne Frau wickelte Lucie aus dem nassen Regenmantel und zog sie in die Stube. Auf dem Sofatische brannte die Spiritusflamme unter dem silbernen Kesselchen; die Theekanne aus gleich edlem Metall, die großen Meißner Tassen standen auf buntdurchwirkter Decke; ein süßer Duft wogte in dem Raume und lautlos verklangen die Schritte über dem weichen Teppich.

„Ach, wie schön ist es bei Dir, wie traut!“ sagte Lucie, „jedesmal empfinde ich es aufs Neue.“

„Ja, es ist heimlich hier, wenn der Regen an die Scheiben klopft und der Wind rauscht in den Bäumen. Und dann die hohe Mauer und das feste Thor – gottlob, die häßliche öde Welt bleibt draußen. Aber es ist überall heimlich und traut neben einem Menschen, den man gern hat. Früher war mir zuweilen der Aufenthalt hier eine Hölle; Du weißt’s ja.“

„Ich weiß es. Sprechen wir heute nicht davon, Hortense!“

Die junge Frau nickte beistimmend. Sie hatte so nach und nach der Freundin von ihrem Leben erzählt. Sie war hart angefaßt worden. Zu einer Zeit, wo sonst die Jugend andere Mädchen davor schützt, in die Abgründe des Lebens zu blicken, da hatte sie schon am schwindelnden Rande gestanden[WS 1] und nicht gewußt, woran sie sich halten solle.

„Sprechen wir nicht davon,“ wiederholte sie, und goß siedendes Wasser auf den Thee. Sein würziges Aroma mischte sich mit dem Veilchenduft, der Hortense stets umgab und aus Schubkästen und Schränken, aus jeder Kleiderfalte quoll. Sie trug ein schwarzes, eng anschließendes Kleid und als Schmuck eine kostbare Kamee. „Ich habe Dir auch die Photographien hervorgesucht,“ fuhr sie fort. „Willst Du sie ansehen? Sie liegen dort auf dem Tische.“

Lucie holte eine elegante Mappe und nahm ein Blatt nach dem andern heraus.

„Ach, wie köstlich muß es dort sein!“ rief sie und zeigte auf ein Bild.

„Das ist Capri, es sieht hier matt aus; die Farbe, das Licht, die herrliche durchsichtige Luft fehlen. Ich wollte, ich könnte es Dir beschreiben oder noch lieber Dir zeigen; es ist wunderbar.“

„Ich werde es nie sehen,“ sagte Lucie traurig und legte die Mappe bei Seite.

„Warum kam Dein Bräutigam nicht mit?“ erkundigte sich Hortense.

„Er ist auf Praxis über Land; vielleicht holt er mich ab.“

„Es ist doch schrecklich, so angekettet zu sein,“ sprach Hortense und goß den Thee ein, „und für was? Das liebe Publikum dankt es ihm doch nicht.“

„Es ist sein Beruf, sein Geschäft,“ fiel Lucie stolz ein.

„Schade um ihn in dieser kleinen Stadt!“

„Ei, die Krankheiten sind dieselben wie in einer großen Stadt, Hortense.“

Studienkopf.0 Nach dem Oelgemälde von E. v. Blaas.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ge-gestanden
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_069.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)