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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Sie haben gewiß keine Ahnung von dem, was hier steht?“

„Was denn?“ fragte ich kleinlaut, und es war mir bereits nicht ganz geheuerlich zu Muthe.

„Ich will es Ihnen vorlesen und erwarte dann ein ehrliches und ganz offenes Geständniß!“

Und Dingelstedt las mir die auf eine leere halbe Seite der Rolle der „Judith“ von meiner eigenen Hand niedergeschriebenen Notizen – langsam – Wort für Wort – mit seinem sonoren Organ und mit Betonung jeder Silbe folgendermaßen vor:

„Am nächsten Ersten nachstehende unvermeidliche Mehrausgaben von der Gage zu bestreiten:

1) Thierarzt für Bello – fünf Thaler.

2) Färbegeld für zwei seidene Roben bei Spindler – sechs Thaler.

3) Ein neuer Entoutcas – fünf Thaler.

4) Beitrag zum silbernen Lorbeerkranz für Dingelstedt – zehn Thaler – –“

Ich glaubte in die Erde sinken zu müssen! Stotternd, unverständliche Worte stammelnd, halb weinend, hatte ich den durchdringenden, strengen Blicken des Intendanten gegenüber endlich keine andere Wahl, als ein offenes Geständniß – eine ausführliche, genaue Mittheilung der geplanten Ovation …

Die Kranzesspende unterblieb selbstverständlich für immer; aber das Hoftheater hat niemals Kenntniß von den wahren Ursachen meiner vermeintlichen Indiskretion erhalten, Keiner erfuhr, daß ich ohne jede Absicht, in der unschuldigsten Weise zum Angeber und an meinen sämmtlichen Kollegen zum Verräther geworden war, und zwar nur – durch die schlechte Angewohnheit!

Von diesem Tage an benutzte ich nie wieder eine Rolle – als Notizbuch; ich war vollständig und für immer gebessert! Indeß – wochenlang ging ich Dingelstedt beschämt aus dem Wege; da aber endlich die Begegnung mit ihm auf einer Probe unvermeidlich war, trat er ganz unbemerkt an mich heran, ergriff mit ernstem Gesichte meine Hand, drückte sie und sagte leise, ohne eine Miene zu verziehen:

„Liebe Knauff, ich habe Ihnen übrigens noch zu danken, daß Sie für meinen Lorbeerkranz wirklich doppelt so viel zahlen wollten – als für Ihren Entoutcas!“




Blätter und Blüthen.

Eine Kinderschutzgesellschaft besteht in Nordamerika und ist von der Gesetzgebung mit bedeutenden Rechten ausgerüstet. Obwohl sie in[WS 1] manchen Fällen segensreich gewirkt und besonders den Mißhandlungen, welchen die kleinen Wesen in vielen Familien ausgesetzt sind, entgegen gearbeitet hat, so laufen doch auch viele Klagen ein betreffs der Uebergriffe, welche sie sich zu Schulden kommen ließ. Die Gerichte mußten sich in letzter Zeit mehrfach damit beschäftigen. Allgemeines Aufsehen erregte der Tod der kleinen Ida Brinck, welche in einem Kinderasyl an gebrochenem Herzen wegen ihrer Trennung von der Familie starb; man hatte sie dort hingebracht unter der Anklage des Bettelns und schlechter Beaufsichtigung seitens der Eltern. Die Sache kam vor Gericht; aber die Gesellschaft verstand es, ihr Vorgehen zu rechtfertigen.

Ein anderer Fall veranlaßte einen Richter des höchsten Gerichtshofes, Barret, zu einer für die Gesellschaft ungünstigen Entscheidung; aber diese stützte sich auf die Vorrechte, welche ihr die Gesetzgebung eingeräumt hatte, und es gelang dem Richter nicht, dagegen anzukämpfen. Eine arme, aber fleißige Frau, welche sich und ihre Kinder durch ihrer Hände Arbeit ernährte, war in Folge einer böswilligen falschen Anklage verhaftet und vor Gericht gestellt worden, welches indeß ihre Unschuld konstatiren konnte. Inzwischen war von dem Agenten jener Gesellschaft ihr ältestes Kind, das sie mit den anderen zusammen der Pflege einer Nachbarin anvertraut hatte, vor Gericht gebracht; man suchte zu beweisen, daß das Kind von der Mutter, die man der Trunksucht und des leichtsinnigen Lebens beschuldigte, vernachlässigt worden, und der Richter überwies es einer Wohlthätigkeitsanstalt. Die Mutter bewies vergeblich, daß sie stets gut für ihr Kind gesorgt habe und ihre Führung eine untadelige sei; selbst die Entscheidung des höchsten Gerichtshofs vermochte nicht, die Gesellschaft zur Zurückgabe der Tochter an die Mutter zu bestimmen.

Sollte in Deutschland ein solcher Kinderschutzverein begründet werden, so würde er sicher nicht derartige Vorrechte erhalten, welche zu Mißbräuchen ermuthigen; aber es würde auch hier nicht an Konflikten mit den Familien fehlen. Ein Kinderschutzverein, wie der oben geschilderte, hätte bei uns wenig Aussicht auf Erfolge; dagegen verdienen Wohlthätigkeitsvereine zur Pflege der Kinder, wie dieienigen, welche die Ferienkolonien eingeführt haben, allgemeine Anerkennung und Förderung.

Der Alcazar zu Toledo. (Mit Illustration S. 85.) In der Nacht vom 9. zum 10. Januar ist das burgartige Schloß Karl’s V. in Toledo, der Alcazar, ein Raub der Flammen geworden. Karl V. hatte es auf dem Fundament aus der Zeit der Gothen und mit den Marmorsteinen der zerstörten Maurenburg, die später auf diesem Platze errichtet worden, aufbauen lassen. Schon lange indeß stand es verödet und im Innern mit Tünche und Zimmermannsarbeit für die prosaischen Zwecke einer Militärschule hergerichtet. Das Schloß ist viereckig und von gewaltigem Umfange um einem starken Thurm an jeder der vier Ecken, festungsmäßig. Gemeißelte Arabesken zieren seine ernste Façade; ein majestätisches Portal führt in seinen großen Hof, den 32 Arkaden umgeben, deren schlanker, heiterer Säulenbau sich in der oberen, ringsum gehenden Galerie wiederholt. In der Bogenhalle gegenüber dem Portale steigt eine pompöse Marmortreppe rechts und links ins Innere. Eine Kapelle liegt zwischen ihr, die man wieder ausmauert. Die Gewölbe unter dem Erdboden sind großartige, weite, kahle Säle. Sie waren zum Marstalle des Königs von Spanien bestimmt, der zugleich König der Deutschen und als solcher römischer Kaiser gewesen. Mehr als tausend Pferde hätten hier Platz gehabt. Auf dem marmornen Pflaster des Hofes, in der Mitte desselben, ist neuerdings die lebensgroße Statue dieses mächtigsten Monarchen der Erde in seiner Bronzeausführung aufgestellt worden; der besiegte Lindwurm der Ketzerei liegt zu seinen Füßen, ein Denkmal für ihn, wie in einem riesigen Mausoleum, das er sich hier statt eines Kaiserpalastes errichtet und wo es in erhabener Einsamkeit thront. Alle seine Macht als König der Könige hielt Spanien nicht von jähem Sturz und Verfall zurück, und das kostbare Werk dieses Alcazar gab Toledo seinen Glanz nicht wieder, machte es nur um eine seiner wunderbaren Sehenswürdigkeiten reicher.

Von den Fenstern des Alcazar nach außen bietet sich ein entzückendes Panorama dar. Zu Füßen die Stadt mit der kolossalen Kathedrale, mit der imposanten Terrasse von San Juan de los Reyes, mit dem orientalischen Zinnenkranz der Bastionen, mit der Arena für die Stierkämpfe; dann mit der Puerta del Sol und den Thurmthor der Brücke von Alcantara abwärts nach dem Tajo zu, der wie eine Silberschlange in der Felsenschlucht sich windet. Und drüben auf den Höhen alte Gothenthürme und zerbrochenes Mauerwerk maurischer Burgen. Dann Wiesen und Felder und wellige Linien bis in die Ferne, wo die sinkende Sonne Alles in Golddunst taucht.

Noch einmal Heine’s Memoiren. Nach dem Tode Gustav Heine’s sind die Memoiren des Dichters wieder einmal ein Gegenstand verschiedener Feuilletonnotizen geworden: in mehreren Zeitungen wurde erwähnt, daß Herr Julia in Paris eine Publikation beabsichtige, in welcher er „nachweisen“ werde, daß keine Memoiren von Heine mehr existiren, natürlich außer denjenigen, welche seiner Zeit unsere „Gartenlaube“ veröffentlichte; denn von Herrn Julia hatte Herr Eduard Engel zu Anfang des Jahres 1884 im Auftrage der „Gartenlaube“ das Manuskript der Heine’schen „Memoiren“ gekauft. Als ob es solches Nachweises nach Ed. Engel’s damaliger Beweisführung noch bedürfte! Es wäre viel besser, Herr Julia könnte uns beweisen, daß und wo noch wirkliche Memoiren des Dichters sich finden lassen. Jetzt kommt auch Alexandre Weill in Paris im „Figaro“ noch einmal auf dieselben zurück: was er aber die Verstümmelung der Memoiren, über das Herausreißen aller derjenigen Blätter sagt, welche die Chronik der Heine’schen Familie und die Charakteristik ihrer Mitglieder mittheilt, ist ja seiner Zeit schon in unserer „Gartenlaube“ von Eduard Engel in der Einleitung zu den Memoiren berichtet worden. Durch irgend welche neue Aufzeichnungen wird schwerlich den von uns mitgetheilten etwas Wesentliches hinzugefügt werden können.

Nach dem Tode Gustav Heine’s hat sich auch Eduard Engel’s vor drei Jahren in der „Gartenlaube“ geführter Beweis vollkommen bestätigt: Gustav Heine hat kein Blatt von Heine’s Memoiren hinterlassen. Die Geschichte dieser Memoiren ist damit endgültig abgeschlossen, und kein vordringliches Geschwätz der „guten Freunde“ von Heinrich oder Mathilde Heine kann irgend etwas Wissenswerthes und Glaubwürdiges hinzufügen.

Alexandre Weill, ein langjähriger Freund des Dichters, setzt aber aus dem Schatze seiner persönlichen Erinnerungen noch Einiges hinzu, wodurch die Selbstbiographie des Dichters ergänzt wird. Er meint, die Memoiren hätten jenes Schicksal, das sie zu einem Torso machte, nicht erlebt, wenn nicht plötzlich ein Bruch seiner fünfzehnjährigen Freundschaft zu Heine erfolgt wäre: dann würden die Memoiren, da er der einzige des Deutschen mächtige Freund der Familie in Paris gewesen, wohl seinen Händen anvertraut worden sein. Ferner rechnet er uns die Einnahmen des Dichters vor, welche wohl ausreichend gewesen wären, wenn dieser einigermaßen haushälterisch damit umgegangen wäre; doch er rechnete als Neffe eines Millionärs Solomon Heine auf eine große Erbschaft. Weill behauptet, daß es für Heine ein vernichtender Schlag gewesen sei, als er von Hamburg aus die ihn betreffende Stelle des Testaments seines Onkels erfuhr: „Ich quittire von meinem Neffen Heinrich Heine Alles, was er an Geld jemals von mir empfangen, und vermache ihm eine Summe von zehntausend Mark (15 000 Francs). Von diesem Tage an sei Heine’s Krankheit chronisch geworden, während sie bis dahin nur gelegentlich aufgetreten; durch das Testament des Onkels sei das Leben des Dichters mindestens um 10 Jahre verkürzt worden. Auch das kleine Legat ging dem Dichter verloren: er gab das Geld dem Schwager Lassalle’s, der damals in Paris war und in Prag eine Gasgesellschaft begründet hatte, zu diesem Unternehmen. Der Rest war Schweigen.

Ein deutsches Sängerheim in Straßburg. Jedes Lebenszeichen des nationalen Geistes aus Elsaß-Lothringen muß mit Freuden begrüßt werden. Im Jahre 1872, am Geburtstage unseres Kaisers, hat sich in Straßburg ein Männergesangverein gebildet, zunächst aus eingewanderten Künstlern, Gelehrten, Beamten und Kaufleuten, denen sich auch eingeborene Straßburger anschlossen. Der Verein zählt jetzt 450 Mitglieder, und da in der Stadt Straßburg kein Hôtel zu finden ist, welches bei großen Aufführungen und Koncerten allen Ansprüchen genügte, so will er sich jetzt ein eigenes Sängerhaus erbauen.

Um die Mittel zu diesem Zwecke zu gewinnen, hat er ein schönes Album veröffentlicht unter dem Titel „Straßburger Sängerhaus“, eine Sammlung bisher ungedruckter musikalischer und poetischer Blätter in autographischer Darstellung; die wohlgetroffenen Portraits der Dichter und Komponisten mit dem sinnvollen Schmuck malerischer Zeichnungen und Arabesken schmücken dies Album, das unsern Lesern warm empfohlen sein möge. Im Gesang des Volks spiegelt sich die Volksseele, und wenn

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: in in
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_099.jpg&oldid=- (Version vom 13.2.2023)