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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

mit den leuchtend-braunen Augen und den halbgeöffneten süßen Lippen! Ach! warum ist der arme Beppo nicht ein Königssohn oder wenigstens ein großer Künstler wie der, welcher hinter dem Verlarvten steht und das einfältige Ding, die Zulietta, betrachtet, statt zu Füßen der holdseligen Dogaressa zu knieen! Es ist gut, daß Beppo’s Finger das Stück allein spielen können, denn sonst ist gar nicht abzusehen, was noch Alles passiren könnte, wenn er in seinem Herzenstumult auf einmal schmählich stecken bliebe! Der mürrische Geselle neben ihm sieht ganz danach aus, als ob er seine Fäuste auch noch zu Anderem brauchen könne, als zum Handhaben der Baßgeige!

Sie werden nicht lange mehr fiedeln. Noch ein paar Augenblicke, und die Klänge verstummen; der Vorhang rauscht herunter, die Gestalten zerfließen in Luft – der reizende Künstlertraum vom Karneval des Dogen ist zu Ende! R. A.     




Die Geschichte der Lichtputze.

Eine humoristische Grabrede von Karl Braun-Wiesbaden.


Die Lichtputze ist todt, und es hat ihr bis jetzt Niemand eine Grabrede gehalten. Ich will das nachholen, was Andere, vielleicht Berufenere, unterlassen haben. Es könnte sonst großes Unglück aus der Versäumniß erwachsen. Man findet schon jetzt nirgends mehr eine Lichtputze, nicht einmal in jenen fernen Ländern, welche man als „entlegene Kulturen“ bezeichnet; unsere Enkel, welche niemals eine Lichtputze gesehen und vielleicht auch niemals von einer solchen gehört haben, werden, wenn sie dereinst als erwachsene Männer in irgend einem alten Schmöker von einer „Lichtputze“ lesen, sich kaum eine klare Vorstellung davon machen können, von welcher Beschaffenheit eine solche Maschine gewesen.

Nun stelle man sich aber gar einmal den Fall vor, daß in dreihundert Jahren, also etwa im Jahre des Heils zweitausend einhundert sechs- oder siebenundachtzig, von einem Schliemann eine Lichtputze ausgegraben würde: wie würden sich dann die Leute die Köpfe zerbrechen, was das wohl für ein seltsames Instrument sei! Vorn hat es eine gefährliche Spitze, als wenn es auf Feindseligkeiten berechnet wäre. Hinter dieser Spitze folgt dann ein Kästchen, welches man öffnen und schließen und auf einen ganz engen Raum zusammendrücken kann. Und schließlich, am andern Ende, findet man zwei Griffe, wie an einer Schere, aber eine Schere ist es doch auch wieder nicht, denn es fehlen doch die zwei wider einander arbeitenden schneidenden Arme am entgegengesetzten Ende.

„Ein seltsames Ding,“ wird dann der Schliemann vom Jahre 2187 sagen, „eine Waffe, mit der man nicht tödten kann und selbst kaum recht verwunden! Ein Kästchen, das keinen festen Verschluß hat und in das man kaum Etwas hineinthun kann! Endlich zwei Griffe, in welche man wohl den Zeigefinger und den Daumen hineinstecken könnte, wüßte man nur, zu welchem Zwecke man’s thun soll! Es ist ein schier unlösbares Räthsel. Dies Ding muß selbst in den Zeiten, aus welchen es herstammt, eine große Seltenheit gewesen sein. Denn dies da ist das einzige Exemplar, welches man bis dahin gefunden. Wenn ich, vorbehältlich weiterer Untersuchung der Sache, jetzt schon eine unmaßgebliche Vertmuthung aussprechen darf, so sage ich: da irgend ein praktischer wirthschaftlicher Zweck kaum denkbar ist, so bleibt nur die Möglichkeit offen, eine gottesdienstliche, mystische oder symbolische Bedeutung anzunehmen. Bei einer der staatlich anerkannten großen Konfessionen, deren Kultus den Charakter der Oeffentlichkeit hatte, ist allerdings wohl schwerlich ein Platz für dies seltsame Geräthe zu finden. Aber man vergesse nicht, welche Rolle vor einigen hundert Jahren die geheimen Gesellschaften religiöser und ähnlicher Richtungen spielten. So sehr sie auch ihr Treiben in ein undurchdringliches Dunkel zu hüllen liebten, so weiß man doch so viel, daß gewisse seltsame und ungebräuchliche Symbole und Zeichen in ihren Versammlungen spielten; und ich habe einige triftige Gründe anzunehmen, daß diese Figur ein Symbolum bildet, dessen sich die extremste Richtung der Rosenkreuzer-Gesellschaften bediente.“

Diese Ansicht eines hervorragenden Gelehrten würde natürlich auf Widerspruch stoßen bei irgend welchen anderen, nicht weniger hervorragenden Geschichts- und Alterthumsforschern. Ein Zweiter würde den in Frage stehenden Gegenstand für eine Küchengeräthschaft und ein Dritter würde ihn für eine kleine Hilfsmaschine für einen zur Zeit untergegangenen Industriezweig erklären und der Zweite und der Dritte würden eben so gute oder eben so schlechte Gründe für die von ihnen aus tiefster Seele geschöpften innigsten wissenschaftlichen Ueberzeugungen beibringen wie der Erste. Es würde daraus ein großer Streit entstehen, der mit einem außergewöhnlichen Aufwand von Zeit, Kraft und Scharfsinn geführt würde und, nachdem er drei Jahrzehnte hindurch gewüthet, ohne daß man zu einem unzweifelhaften Ergebniß gelangte, schließlich einschliefe, weil die Hauptkampfhähne inzwischen verstorben und allen übrigen Menschen die Sache langweilig geworden.

Um einem solchen verhängnißvollen Ereignisse vorzubeugen, will ich in diesen Blättern, welche in Anbetracht ihrer großen Verbreitung sich bis zu einem gewissen Grade mit der Hoffnung schmeicheln dürfen auf die Nachwelt zu kommen, nach den besten Quellen und aus eigener Wissenschaft erzählen, was die Lichtputze war, wie sie gelebt und geblüht hat und wie sie gestorben.

Zunächst bedarf es – namentlich für die zukünftigen Generationen – einer genauen Beschreibung dieses Werkzeugs. Ich entnehme dieselbe einem Buche, einem großen Universallexikon, das in der Zeit erschien, in welcher sich die Lichtputze der größten Verbreitung und Beliebtheit erfreute und dessen Titel an einer wahrhaft beunruhigenden Langstieligkeit leidet.

Der Herausgeber desselben ist der königlich preußische Kommerzienrath Johann Heinrich Zedler in Leipzig, In der Zeit von 1722 bis 1750 sind 64 Bände im größten Folio, und außerdem in der Zeit von 1751 bis 1754 noch 4 desgleichen Supplementbände, also im Ganzen 68 kolossale Folianten erschienen. (Heute thut das Konversations-Lexikon die nämlichen Dienste, aber in kürzerer, bequemerer und geschmackvollerer Weise.) In jenem heut zu Tage wenig gekannten und noch weniger benutzten Zedler’schen Riesenwerke findet man Mancherlei, was man anderweit vergeblich gesucht hat. So unter Anderem auch einen Artikel über die Lichtputze, welcher wörtlich lautet wie folgt:

Licht-Putze oder Licht-Schnauze ist das von Eisen, Stahl, Messing u. dgl. gemachte, wohlbekannte Werk-Zeug, welches aus zweien in Form einer Scheere über einander gehenden Theilen bestehet, davon der Eine ein hohl gearbeitetes, viereckiges oder oben rundes Behältniß hat und zu Aeußerst in eine lange Spitze ausläuft, der Andere dagegen kürzer ist und an dem Ende einen Deckel führt, der just in das gedachte Behältniß paßt und etwas scharf ist. Beide Theile sind an dem hinteren Ende in Ringe, oder sonstwie, krumm gebogen, damit man sie daselbst bequem mit den Fingern fasse und den am Licht lang-abgebrannten Tacht (Docht) abknippen (abkneifen) könne. Weil aber bei dieser Verrichtung leicht Etwas von Unschlitt daran kleben bleibt, wodurch man den Ort, wo dieses Instrument etwa hinfallen oder hingelegt werden möchte, gar unsauber machen dürfte, so bedient man sich daneben gerne eines besonders dazu verfertigten Kästchens, darein man die Lichtputze legt oder stecket – wie denn Dergleichen auf verschiedene Weise pflegt gearbeitet zu werden, welches man ein Lichtputz-Kästchen oder Pfännchen heißt.“

Vor hundert Jahren schon hat ferner die Lichtputze einen gelehrten Geschichtschreiber gefunden, und zwar keinen geringeren, als den witz- und humorreichen Professor Lichtenberg in Göttingen, denselben, der uns die Hogarth’schen Sittenbilder in so lehrreicher und unterhaltender Weise erklärt hat.

Er geht von der Voraussetzung aus, daß die menschliche Hand, „das große Universalinstrument“, auch die erste Lichtputze war, wie sie so auch der erste Prügel, die erste Wurfmaschine, das erste Trinkgeschirr, die erste Gabel, der erste Fächer und die erste Rechenmaschine gewesen„ oder wie, wenn man die Sache von der entgegengesetzten Seite betrachtet, alle diese Maschinen und Instrumente nichts sind, als Vervollkommnungen, Modifikationen, Specialisirungen und Differenzirungen der menschlichen Hand zu besonderen Zwecken. Weil man sich nicht mehr die Finger beschmutzen oder gar verbrennen wollte, erfand man die Lichtschere. Allein mit der Schere war’s nicht gethan. An dem einen Arme konstruirte man einen Kasten, an dem andern einen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_108.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2023)