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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


überheizt, um die Fahrt zu beschleunigen und so jeden Rettungsversuch zu verhindern, der etwa von rumänischer Seite hätte gemacht werden können. Glücklicherweise wurde keiner gemacht; denn die Wache-Officiere hatten den gemessenen Befehl, mich beim ersten Rettungsversuch niederzuschießen. Um Mitternacht fuhren wir an Rustschuk, folgenden Tages zwei Uhr Nachmittags an Galatz vorüber. So oft wir an einer Stadt vorüberfuhren, legte sich die Wachmannschaft auf Befehl nieder, damit sie nicht gesehen würde. Vier Uhr Nachmittags endlich langten wir an der russischen Grenze an und legten bei der Grenzwache an. Um fünf Uhr etwa fuhren wir dann vollends nach Reni. Merkwürdigerweise war Niemand an der Landungsbrücke, nicht einmal ein Gendarm. Ein Officier fuhr in die Stadt und hörte, daß man mich nicht annehmen könne, da von Petersburg keinerlei Instruktionen da seien. Wir blieben deßhalb auf dem Schiffe. Um 91/2 Uhr des folgenden Tages meldete sich bei mir ein Gendarmerie-Oberstlieutenant und zeigte mir ein Telegramm von Obrutschew, in dem stand, daß die Behörden von Reni den Prinzen von Battenberg übernehmen und auf dem kürzesten Weg nach der Grenze reisen lassen sollten; das Gendarmerie-Kommando sei für die Sicherheit des Prinzen verantwortlich, da sein Leben in Rußland in Gefahr sei. Auf meine Bitte telegraphirte dann der Oberstlieutenant nach Petersburg, ob ich nicht via Galatz reisen, also auf rumänisches Gebiet übertreten dürfe. Dies wäre der kürzeste Weg gewesen; aber die Antwort kam, der Prinz dürfe nur über Woloczyska oder Warschau reisen.

Um zehn Uhr etwa betrat ich den russischen Boden, bestieg mit meinem Bruder einen Wagen und fuhr, gefolgt von einem russischen und einem bulgarischen Officier, zu dem Bürgermeister von Reni, wo mir Quartier angewiesen worden war.

Mein Hausherr war ein freundlicher, liebenswürdiger Bulgare. Leider war ich immer noch nicht frei: vor meinem Hause standen zwei berittene Gendarmen, im Hofe waren drei Wachtposten, in der Nacht schlief ein Gendarmerie Rittmeister vor meiner Thür. Auf meine Bitte hatte mir die Regierung einen Extrazug nach Rasdelnaja zur Verfügung gestellt, mit dem ich den Odessaer Schnellzug erreichen konnte. Morgens in aller Frühe fuhren wir zum Bahnhofe, und da ich nothwendig, um das Geld, das mir in einer Cigarrenkiste übergeben worden war, nicht auf den Armen tragen zu müssen, eine Tasche brauchte und sah, wie der Lokomotivführer sich sein Frühstück in einem Ledersack herbeitrug, kaufte ich ihm denselben ab. Unser Zug ging Morgens 71/4 Uhr ab. In dem benachbarten Koupé saßen ein Polizeipristaw und drei Gendarmen. Wo angehalten wurde, besetzten stets zwei Gendarmen die Eingänge zu beiden Seiten. Abends 7 Uhr etwa kam ich in Bender an. Dort sind gegenwärtig vier Infanterie- und eine Kavalleriedivision (das Regiment meines Vaters Nr. 23 und das Regiment Erzherzog Karl Ludwig Nr. 24) vereinigt. Schon wie der Zug in diese Station einfuhr, gewahrte ich auf dem Perron ein sehr zahlreiches Publikum, das mich neugierig anstarrte. Trotz meiner Bitten, es zu unterlassen, wurden doch die Lichter im Wagen, der ohne Vorhänge war, angezündet, so daß ich wie in einer Laterne saß. Neun Uhr Abends kam unser Zug in Rasdelnaja an, wo ich nach kurzem Aufenthalt in dem Odessa-Kiewer Schnellzug ein Schlafwagenkoupé bestieg, zugleich mit einem neuen Pristaw und zwei Gendarmen. Um 10 Uhr kam ich an die österreichische Grenze und wurde enthusiastisch begrüßt. Dort war es auch, wo ich zum ersten Mal las, was in Bulgarien vorgegangen war, indem ich im Wagen eine Nummer der „Neuen freien Presse“ zu lesen bekam.

Ich bin entsetzlich müde und habe in diesen acht Tagen furchtbar gelitten. Die physischen Qualen sind nichts gewesen, aber der Undank meines Volkes, an dessen Wohl ich unermüdlich gearbeitet zu haben glaube, der Undank meines Heeres, das ich zum Siege geführt, hat mich tief verwundet, und dann die qualvolle Lage, in der ich fünf Tage mich befand, als ich nicht wußte, ob ich nicht in der nächsten Minute eines elenden Todes von Verbrecherhand würde sterben müssen, – das war zu viel.


Der Verfasser erzählt dann, wie bei dem Fürsten schon Tags darauf, als er von der treuen Anhänglichkeit seines Volkes und Heeres gehört hatte, die alte Liebe zu seinen Bulgaren erwachte und er sich entschloß, ungesäumt in sein Land zurückzukehren.


Blätter und Blüthen.

Ein Zeuge der Urwälder Deutschlands. (Mit Illustration S. 101.) Der Baumstumpf, den unser Bild zeigt, ist der Rest einer vielleicht tausendjährigen Eiche, welche im Sommer 1883 in der Nähe von Dötzingen bei Hitzacker im Ufersande der Elbe aufgedeckt wurde. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß die Elbe in früherer Zeit ein weiter nördlich gelegenes Flußbett hatte. Dies beweisen die noch jetzt dort üblichen Benennungen: „Bracke – Hacken – taube Elbe etc.“ Auch weiß man, daß das jetzt am linken Elbufer gelegene Schloß zu Blekede (jetzt Amtssitz) von Heinrich dem Löwen am rechten Elbufer zum Schutz gegen die Wenden und Slaven erbaut wurde. Durch irgend ein Naturereigniß, vielleicht in Folge einer Eisstauung, hat die Elbe dann ihr altes Bett verlassen und sich ein neues gebildet in den weiten Urwäldern, welche damals die Ebene bedeckten, Alles vor sich niederwerfend und verheerend.

Durch den seit 1866 energisch betriebenen Bau von Buhnen[1] wird der Strom vom jetzigen Ufer abgeleitet und nicht allein mehr beengt, sondern gleichzeitig auch vertieft, wodurch er selbst beim niedrigsten Wasserstande noch immer für größere Schiffe fahrbar bleibt. Der mitten im Strombett lagernde Sand verschiebt sich von Jahr zu Jahr und lagert sich hinter den Buhnen an, dort große Uferstreifen bildend. Hierdurch sind nun in den letzten Jahren Tausende von Eichenstämmen, welche seit Jahrhunderten im Flußbett versandet lagen, aufgedeckt worden und diese müssen, da sie die Schifffahrt gefährden, gehoben werden. Es werden daselbst manche Stämme von kolossaler Stärke gefunden, welche trotz ihrer Verstümmelung ein herrliches Bild von der Wälderpracht dortiger Gegend in früheren Zeiten geben.

Der stärkste unter allen aufgedeckten Stämmen war der von uns abgebildete. Der mit dem Herauswinden des Holzes betraute Schiffbauer Jahnke setzte eine Ehre darin, diesen Riesenstamm möglichst ungetheilt ans Ufer zu schaffen; jedoch mußten zunächst die drei mächtigen Hauptäste von je 15 Meter Länge unter Wasser abgesägt werden. – Der in der Nähe wohnende Graf von Oeynhausen zu Dötzingen, dessen Forstrevier durch die Elbe begrenzt wird, beschloß, den nunmehr astlosen Riesenstumpf auf seinem Gute vor dem Herrenhause aufzustellen, damit derselbe noch für lange Jahre Zeugniß geben könne von den Urwäldern, welche in früherer Zeit dort den Boden bedeckten und uns nur noch aus Sagen bekannt sind.

Der Transport des Baumkolosses, welcher etwa auf eine Meile Entfernung fortgeführt werden mußte, war natürlich mit großen Schwierigkeiten verbunden. Da der Stamm, so wie er am Ufer lag, in seiner ganzen Länge unmöglich fortbewegt werden konnte, so beschloß man, denselben in vier Theile zu zerlegen. Um dieses bewerkstelligen zu können, mußten zunächst drei Sägeblätter an einander geschweißt werden. Nach dieser Zertheilung wurde nun jeder Block für sich zwischen zwei Kähnen befestigt und bis auf eine Viertelstunde vom Gute zu einer geeigneten Abladestelle geschafft. Von hier aus mußten die einzelnen Blöcke auf einem besonders dazu angefertigten Rollwagen nach dem Gute gefahren werden; der Transport jedes Blockes erforderte 12 bis 16 Pferde.

Auf dem Gutshofe angelangt, mußten die einzelnen Theile wieder vereinigt werden. – Mit Hilfe der an geeigneter Stelle bereits aufgestellten Hebzeuge und mächtigen Winden gelang es, die Blöcke in ihrer ursprünglichen Stellung vollständig genau wieder auf einander zu setzen und zusammenzufügen. Die von der Rinde größtentheils entblößte Rieseneiche zeigt, wie sie jetzt steht, genau gemessen folgende Dimensionen: Höhe 7,4 Meter; oberer Umfang 9 Meter; oberer Durchmesser 2,86; mittlerer Umfang 7,6 Meter; mittlerer Durchmesser 2,43; unterer Umfang 8 Meter; unterer Durchmesser 2,55; Kubikinhalt 34,9 Fest-Meter.

Schicksale einer deutschen Lehrerin in Frankreich. Das Los der nach Frankreich verschlagenen und dort ansässigen Deutschen ist nicht immer beneidenswerth: die Feindseligkeit der Franzosen gegen die Deutschen macht sich zum mindesten in allen den Fällen bemerkbar, wo die Deutschen, und sei es auch ganz ohne Schuld, in eine mißliche und schiefe Lage gerathen. So erging es, wie die Tageszeitungen berichten, einer aus Westfalen stammenden Lehrerin, welche Erzieherin in einer französischen Grafenfamilie geworden war. Nachdem ihr diese Stellung gekündigt, suchte sie sich durch Unterricht in der deutschen Sprache in Paris ihren Unterhalt zu erwerben: es fiel ihr dies schwer, da sie keine Empfehlungen besaß. So wurde sie, durch die Noth gezwungen, Arbeiterin in einer Posamentirfabrik. Eines Tags, als sie in einer Wirthschaft zu Mittag gegessen, konnte sie nicht bezahlen: sie hatte ihr Portemonnaie zu Hause liegen lassen. Darauf wurde sie verhaftet, wegen Zechprellerei verurtheilt und an die deutsche Grenze geschafft. Fast ohne alle Mittel wollte sie zu Fuß nach Metz wandern, wurde indeß in Vic als Landstreicherin verhaftet. Von der Metzer Strafkammer aber, welche ihrer Erzählung vollständigen Glauben schenkte, wurde sie gänzlich freigesprochen. Jedenfalls ist es mit Gefahren verbunden, wenn sich gebildete deutsche Mädchen oder Frauen gegenwärtig in Frankreich als Lehrerinnen ihr Brot verdienen wollen; man kann ihnen nur rathen, sich, besonders in Krankheitsfällen, an den deutschen Hilfsverein in Paris zu wenden, von dem wir in Nr. 43, Jahrgang 1882 berichteten. †      

Willkürliches Einstellen der Lebensfunktionen. Die beiden Virtuosen des Fastens, Succi und Merlatti, beschäftigten vor Kurzem das allgemeine Interesse. Ihre Leistungen boten den Sachverständigen schwerlich etwas Neues. Auch der Laie mußte sich dabei an das Fasten des amerikanischen Doktor Tannert erinnern, und der Kulturhistoriker weiß von einer ganzen Reihe von Menschen zu erzählen, die in völliger Enthaltsamkeit von jeder Speise Erstaunliches leisteten. Bei dieser Gelegenheit dürfte es jedoch für Manchen interessant sein zu erfahren, daß es möglich ist, auch andere Lebensfunktionen für eine gewisse Zeit willkürlich einzustellen. Am auffälligsten ist unter diesen Erscheinungen ohne Zweifel die „Enthaltsamkeit von der Luft“, das willkürliche Einstellen der Athmung. Wir gewöhnlichen Sterblichen glauben schon, eine bemerkenswerthe Leistung gemacht zu haben, wenn wir eine Minute lang den Athem anhalten. Es giebt aber eine ganze Klasse von Menschen, die Taucher, welche, ohne zu athmen, zwei bis drei Minuten unter Wasser verweilen können. Vor wenigen Jahren bereiste eine Miß Lurline die Welt und hielt sich in einem mit Glasfenstern versehenen Bassin zweiundeinhalb Minuten unter Wasser auf, zum Staunen und zur Genugthuung des schaulustigen Publikums. Ein sehr geübter Taucher muß auch jener indische Verbrecher gewesen sein, der sich in den Fluthen des heiligen Ganges verbarg, und zwar in der Nähe eines vornehmen Damenbades, um hier Raubmord zu begehen. Es ist ihm auch gelungen, eine der Arglosen an den Füßen hinabzuziehen und zu ertränken. Er raubte ihre Kleinodien und schaffte die Leiche bei Seite. Man glaubte damals, die Unglückliche sei das Opfer eines Krokodils geworden. Aber eine andere Frau wußte sich des Angreifers zu erwehren. Man fing ihn und ließ ihn hängen. Dies geschah, wie die Zeitschrift „La Nature“ seiner Zeit berichtete, im Jahre 1817. Indien ist überhaupt die Heimath derartiger Leistungen. Die dortigen Fakire wissen sich in den Zustand einer „heiligen Ekstase“ zu versetzen, indem sie alle ihre Gedanken auf


  1. Buhnen: schmale in das Flußbett hineingebaute Dämme, um der Strömung eine andere Richtung zu geben
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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_115.jpg&oldid=- (Version vom 9.11.2023)