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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

das mystische Wörtchen „om“ lenken und langsam athmen, sodaß anfangs jede Einathmung 12 Sekunden und jede Ausathmung 24 Sekunden dauert. Allmählich dehnen sie die Zwischenräume zwischen dem einen und anderen Einathmen aus, sodaß sie, wie einige Reisende berichten, nach vier Monaten sogar anderthalb Stunden keine Luft zu schöpfen brauchen!

Diese Fakire bringen auch das Kunststück fertig, sich lebendig begraben zu lassen. Sie versetzen sich unmittelbar vor einem solchen Begräbniß in einen kataleptischen Zustand, welcher dem Scheintode nicht unähnlich erscheint, und bleiben wochen-, ja manchmal monatelang eingemauert oder unter der Erde begraben. Da sie Derartiges öfters als Buße für irgend einen vornehmen Indier gegen Geld und gute Worte ausführen, so gehören diese ihre Uebungen keineswegs zu den „brotlosen Künsten“. *      

Holzknechtsball der Gesellschaft der „Naßwalder“ in Wien. (Mit Illustration Seite 113.) Die lebensvolle Illustration des trefflichen Künstlers W. Gause führt dem Leser vor Augen, welche Freude an der Geselligkeit, an bunter Pracht dem Wiener innewohnt. Das Bild, zu dem diese Zeilen gehören, stellt einen Ball dar, den die Wiener „Naßwalder“ veranstalteten. Dieser Verein widmet, wie so viele andere, das Reinerträgniß seiner Festlichkeiten humanitären Zwecken; besonders werden arme Gemeinden des Naßwalds, einer naturschönen Gegend Niederösterreichs, berücksichtigt. Die Bälle des Vereins erlangten bereits seit Jahren eine große Berühmtheit, namentlich durch die originelle und für Wien charakteristische Art und Weise der Inscenirung. Am meisten beliebt dürften seine sogenannten Holzknechtsbälle sein, wo die Gäste in passenden Kostümen erscheinen; diese Bälle gehören zur Gattung der „Bauernbälle“, welche zu den eigenthümlichsten und originellsten Wiener Kostümfesten zählen. Nicht nur die Ausschmückung und Gestaltung des Balllokals trägt dort ländlichen Charakter, sondern auch das Verhalten der Ballbesucher muß genau dem Wesen des Festes entsprechen. Das konventionelle „Sie“ ist streng verpönt, das „Du“ ist die allgemeine Anrede. Wer dagegen verstößt, muß eine kleine Geldbuße in die Wohlthätigkeitskasse einzahlen. Links im Hintergrund des Bildes ist eine kleine Hütte bemerkbar: das ist das „Burgamaster-Amt“, hier können sich Paare ungestört „trauen“ und auch ohne viel Federlesens wieder „scheiden lassen“, aber wie diese Ceremonien im Leben, so sind sie auch in der Komödie mit einigen Baarauslagen verknüpft. Im Saale streifen durch ihr Kostüm erkenntliche „Wachter“ herum, welche Sorge tragen müssen, daß den Gesetzen Folge geleistet wird.

Man darf übrigens nicht glauben, daß an solchen Vergnügungen bloß „das Volk“ Theil nimmt; der kleine Bürgerstand stellt zu diesen Amusements allerdings das größte Kontingent; doch erblickt man ab und zu auch Vertreter der Geburts-, Geld- und Geistesaristokratie, welche es nicht verschmähen, sich mit einem schmucken Wiener Kind zu duzen. Das ganze muntere, bunte Treiben versetzt in jene Stimmung, in welcher der Wiener ausruft: „’s giebt nur a Kaiserstadt, ’s giebt nur a Wien!“

Ein neuer Roman von Jensen. Wilhelm Jensen hat durch seine bisherigen Werke sich die Anerkennung der Kritik errungen, weil dieselben den Hauch echt poetischer Stimmung athmen und reich sind an genialen Schilderungen und Gedanken. Das große Publikum fand indeß in ihnen manches Fremdartige, das ihm den Genuß einer harmlosen Lektüre verkümmerte: ein geheimnißvoller romantischer Zug geht durch die Erzählungen; etwas Märchen- und Sagenhaftes ist darin mit den Verhältnissen des modernen Lebens oder mit den geschichtlichen Thatsachen in eigenartiger Weise verknüpft; der Dichter giebt manche schwer lösbare Räthsel auf und rückt vieles in eine düstere Beleuchtung. Selten treten seine Gestalten aus dem Halbdunkel heraus, das sie umgiebt. Die blaue Blume der Romantik hat sich die Muse von Jensen wie die von Novalis vorgesteckt, und wie diejenige Jean Paul’s liebt sie oft, ihren phantasievollen Träumereien und selbstgenugsamen Gedankengängen nachzugehen und damit den Fortgang der fesselnden Handlung zu unterbrechen.

In seinem neuen Roman „In der Fremde“ zeigt die Handlung mehr Beschränkung und Zusammenhalt, ohne daß der Dichter dabei die Vorzüge verleugnet, die ihm eigen sind. Die Heldin ist eine Pfarrerstochter, die sich mit einem Predigtamtskandidaten verheirathet, aber am Tage der Hochzeit mit einem Edelmann, dem sie in leidenschaftlicher Liebe zugethan ist, das Weite sucht. Für diesen Frevel bleibt die Sühne natürlich nicht aus: jene Flucht selbst ist durch eine feine Seelenmalerei erklärt, die man in dem Werke selbst nachlesen muß; jede auszugsweise Berichterstattung würde zu leicht einen der feingesponnenen Fäden zerreißen, so daß nur die an und für sich abstoßende Thatsache übrig bliebe. Die Idylle des Pfarrhauses ist meisterlich gezeichnet, ebenso der ergreifende tragische Abschluß. Die Darstellungsweise meidet das Ueberschwängliche, das manchem früheren Romane Jensen’s eigen ist; sie spart mit den Mitteln und erreicht um so sicherer die gewünschte Wirkung. †      

Das Denkmal Wilhelm Müller’s in Dessau, zu welchem vor zwei Jahren, wie wir in diesem Blatte bereits berichtet haben,[WS 1] der Grundstein gelegt worden ist, soll nun bald in Angriff genommen werden. Wie wir erfahren, will die griechische Regierung den Marmor dazu liefern. Es ist dies eine Liberalität, durch welche sie den Dichter der Griechenlieder ehrt, die ja zur Zeit des großen griechischen Unabhängigkeitskampfes gegen die Türkei erschienen und damals in Deutschland sehr viel dazu beitrugen, Begeisterung für diesen Kampf zu verbreiten. Einige dieser Lieder, wie das auf Lord Byron, zeichnen sich durch einen schönen und hinreißenden Schwung aus; andere, wie „Der kleine Hydriot“, haben ein sehr lebendiges Lokalkolorit. †      


Allerlei Kurzweil.


Schach.
Von W. Steinmann in Parchim (Mecklenburg).
SCHWARZ

WEISS
Weiß zieht an und setzt mit dem vierten Zuge matt.


Auflösung der Schach-Aufgabe auf Seite 52.
Weiß: Schwarz: Weiß: Schwarz:
1. D h 7 – g 8 ! e 4 – e 3 1. K d 4 – e 3
2. D g 8 – g 1 ! beliebig. 2. D g 8 – g 2 ! beliebig.
3. D setzt matt. 3. D setzt matt.

Auf 1. … K d 4 – c 3 folgt 2. D g 8 – d 5 :, e 4 – e 3, 3. D d 5 – d 3 matt. Ohne den schwarzen Bauer c 2 giebt es zwei Nebenlösungen: 1. D h 5 ! oder 1. K d 2 ! – Das Problem beruht auf Zugzwang, der auch in jeder der drei Wendungen bis zum Matt wiederkehrt – es vergegenwärtigt also den Prototyp einer sogenannten Zugzwangs-Aufgabe. Kompositionen, die in solcher Weise angelegt sind, erscheinen recht lehrreich für den Anfänger, und selbst dem geübten Löser können sie mitunter „viele Pein“ bereiten.


Berichtigung. In der Schach-Aufgabe von Weinheimer, auf Seite 20, soll der weiße König auf d 7 (nicht c 7) stehen.


Auflösung des Flecht-Räthsels auf S. 100.

Magdeburg, Rustschuk, Mallinger, Geschmack.
Juni, Gneis, Elbe, Elias, West, Urach, Thee.
Achse, Herz, Canal, Bern, Nizam, Emil, Celle.


Auflösung des Kapsel-Räthsels auf Seite 100: F – Lied – er.


Kleiner Briefkasten.

(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)

Conrad B. in Hameln. „Der wilde Peter von Hameln“ wurde am 4. Mai 1724 auf einem Felde bei Hameln ergriffen. Er war damals 13 Jahre alt, ging ganz nackend, „außer daß er am Halse etwas hangen gehabt, daraus man ersehen konnte, daß es ein Hemd gewesen“. Er hatte ein gutes Gehör, aber keine Sprache und benahm sich durchaus wie ein „wilder Mensch“. In jener Zeit bestand in der gelehrten Welt der Streit, ob es angeborene Begriffe gebe, und der „wilde Peter“ erweckte die Aufmerksamkeit einiger Gelehrten, die sich für jene Streitfrage interessirten. König Georg I. ließ ihn nach Hannover kommen; dann wurde er nach England gebracht. Er hatte jedoch kaum das Nothdürftigste sprechen gelernt und konnte somit den Gelehrten den gewünschten Aufschluß über „angeborene Begriffe“ nicht geben. Er starb im Alter von etwa 73 Jahren bei einem Pachter in Hertfordshire. – Peter gehörte zu den „Verwilderten“, welche man auch „Wildlinge“ nennt: es sind dies Individuen, die schon in frühester Kindheit sich im Walde verirrten und ohne jede Berührung mit menschlicher Kultur aufwuchsen. In der wissenschaftlichen Litteratur sind 16 derartige Fälle bekannt. Linné benannte sie Homo sapiens ferus (der vernünftige wilde Mensch!). Neuerdings hat Prof. Dr. A. Rauber in Leipzig unter demselben Titel über die Zustände der Verwilderten eine interessante Studie veröffentlicht. *      

Ein Beamter in J. Sie fragen uns, welche Kapitalanlage für Sie die beste und sicherste wäre. Da Ihre jährlichen Ersparnisse nicht groß sind und Sie auch die Zukunft Ihrer Frau und Kinder sichern möchten, so antworten wir Ihnen: für Ihre Verhältnisse ist die Lebensversicherung die beste Kapitalanlage. Sie ist es auch darum, weil Sie gesund und verhältnißmäßig „jung“ sind. Wir rathen Ihnen ferner, Ihr Leben bei einer deutschen Anstalt zu versichern. In seinem trefflichen Büchlein „Zur Erhaltung und Beförderung bürgerlichen Wohlstandes“ (Tübingen, H. Laupp’sche Buchhandlung) betont Freiherr von Danckelmann mit Recht, daß die deutschen Lebensversicherungsanstalten ihr Vermögen überwiegend in mündelmäßig sicheren Hypotheken und in Werthpapieren ersten Ranges anlegen, während die meisten ausländischen ihre Reservefonds behufs Erzielung höherer Zinsen in Aktien und sonstigen Werthen, die starken Schwankungen ausgesetzt sind, zu placiren pflegen. *      

Gymnasiast in H. Der Rohrstock oder „spanisches Rohr“ stammt von keinem rohrartigen Gewächse, wie z. B. unser Rohr. Es ist ein Stück des rohrartigen Stammes einer Palme, die namentlich auf den Inseln des malayischen Archipels gedeiht, den Namen Rotang- oder Rattanpalme führt und mitunter die Länge von 100 Metern erreicht. *      

Alter Abonnent. Sie haben Recht. Beseler und Schorlemer-Alst sind nicht mehr Mitglieder des Reichstages. Wir haben das Versehen leider zu spät bemerkt, und so ist die betreffende unrichtige Angabe in einem Theil unserer Auflage stehen geblieben.

P. M. in Bern. In unserem Artikel „Das Originalmanuskript der Wacht am Rhein“ (Nr. 1 d. Jahrg.) haben wir die Frage, ob es noch andere Originalmanuskripte, d. h. eigenhändige Abschriften des Liedes giebt, keineswegs verneint. Die „Gartenlaube“ selbst hat bereits im Jahrgang 1870, S. 667 ein Faksimile des von Schneckenburger eigenhändig niedergeschriebenen Liedes in seiner endgültigen Gestaltung gebracht. Diese und andere Niederschriften des Dichters, wie z. B. die in den Besitz des Kaisers übergegangene, werden ja immer ihren Werth behalten. Das Manuskript „Der Rheinwacht“, welches wir im Beginn dieses Jahres veröffentlicht haben, besitzt aber vor den anderen uns bekannten Originalmanuskripten den Vorzug, daß es einen, wie Sie gewiß selbst zugeben werden, höchst interessanten Einblick in die Entstehung des Liedes gewährt.*      


Inhalt: Herzenskrisen. Roman von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 101. – Ein Karneval beim Dogen in Venedig. S. 107. Mit Illustration S. 104 und 105. – Die Geschichte der Lichtputze. Eine humoristische Grabrede von Karl Braun-Wiesbaden. S. 108. – Der kleine Liebling. Illustration. S. 109. – Ein verhängnißvolles Blatt. Erzählung aus den bayerischen Bergen von Anton Freiherrn v. Perfall (Fortsetzung). S. 110. – Die Revolution in Sofia und die unfreiwillige Reise des Fürsten Alexander von Bulgarien nach Reni und Lemberg. S. 114. – Blätter und Blüthen: Ein Zeuge der Urwälder Deutschlands. S. 115. Mit Illustration S. 101. – Schicksale einer deutschen Lehrerin in Frankreich. S. 115. – Willkürliches Einstellen der Lebensfunktionen. S. 115. – Holzknechtsball der Gesellschaft der „Naßwalder“ in Wien. S. 116. Mit Illustration S. 113. – Ein neuer Roman von Jensen. S. 116. – Das Denkmal Wilhelm Müller’s in Dessau. S. 116. – Allerlei Kurzweil: Schach S. 116. – Auflösung der Schach-Aufgabe auf S. 52. S. 116. – Auflösung des Flecht-Räthsels auf S. 100. S. 116. – Auflösung des Kapsel-Räthsels auf S. 100. S. 116. – Kleiner Briefkasten. S. 116.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. siehe Denkmäler deutscher Dichter (Jg. 1886, Seite 643)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_116.jpg&oldid=- (Version vom 9.11.2023)