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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

nach Horsten durchstreift und sie auf einer rasch angefertigten Karte verzeichnet hatten, keineswegs alle in diesem einen Walde horstenden Raubvögel und Schwarzstörche. „Es sind Zustände wie im Paradiese,“ bemerkt Kronprinz Rudolf und bezeichnet mit diesen wenigen Worten das Verhältniß, welches zwischen den Menschen und den Thieren Ungarns besteht, klar und treffend. Wie der Morgenländer, kennt auch der Ungar glücklicher Weise jene Mordsucht nicht, welche die außerordentliche Scheu der Thiere und ebenso die so schmerzlich fühlbare Thierarmuth Westeuropas bewirkte: er gönnt selbst dem Raubvogel, welcher auf seinem Besitzthum sich ansiedelte, gern eine Heimstätte und greift nicht fortwährend roh und grausam ein in die thierische Welt, welche um ihn her lebt und webt. Nicht einmal der schnöde Eigennutz, welcher gegenwärtig alljährlich Räuberfahrten habsüchtiger Federhändler nach den Sümpfen der unteren Donau veranlaßt und um der Schmuckfedern willen Hunderttausende von frischfröhlichen, theilnahmswerthen Vogelleben opfert, hat den Magyaren bewegen können, von seiner alten guten Sitte abzuweichen. Mag auch Gleichgültigkeit gegen die ihn umgebende Thierwelt ihren Antheil haben an der Gastlichkeit, welche er übt: die Gastlichkeit ist thatsächlich noch vorhanden und der Verfolgungssucht noch nicht gewichen. Vertrauensvoll siedeln sich die Thiere, zumal die Vögel, in unmittelbarer Nähe des Menschen an, unbekümmert um dessen Treiben gestalten sie sich das ihrige. Der Adler horstet am Waldwege, der Kolkrabe im Feldhölzchen; der Waldstorch zeigt sich kaum scheuer als der geheiligte Hausstorch; das Wild steht nicht vom Lager auf, wenn der Wagen auf Schußweite an ihm vorüber fährt. Es sind wirklich Zustände wie im Paradiese.

Paradiesische Zustände sollten wir übrigens auch außerhalb des Keskeeder Waldes kennen lernen. Nachdem wir letzteren nach verschiedenen Seiten hin durchstreift, über zwanzig Schlangen- und Fischadler- sowie Schwarzstorchhorste besucht und bejagt, an einem uns gebotenen trefflichen Frühstück und noch mehr an den köstlichen Weinen der Umgegend uns gestärkt und erquickt hatten, traten wir, zur Eile gemahnt durch drohendes Gewittergewölk, unsere Rückreise nach dem Schiffe an, auch jetzt noch jagend und sammelnd, so viel Zeit und Gelegenheit gestatteten. Der Weg, auf welchem wir dahinfuhren, war ein anderer, als der, welcher uns zum Walde geführt hatte, eine recht gute Hochstraße nämlich, welche verschiedene Dörfer verband. Mehrere der letzteren hatten wir hinter uns, als wir von Neuem zwischen Häuser einbogen. An den Gebäuden war nichts Absonderliches zu sehen, an den Bewohnern dagegen mehr, als ich mir jemals hätte träumen lassen. Die Bevölkerung des Dorfes Dalyok besteht fast ausschließlich aus Schokazen oder katholischen Serben, welche zur Zeit der Türkenherrschaft von der Balkan-Halbinsel hierher gewandert, beziehentlich von den Türken hierher geschleppt worden sein sollen. Es sind schöne, schlanke Menschen, diese Schokazen, die Männer groß und kräftig, die Frauen den Männern mindestens ebenbürtig, äußerst wohl gebaut und, wie es scheint, auch ziemlich hübsch. Ueber ersteres konnten wir ein Urtheil fällen; hinsichtlich des letzteren mußte die Phantasie einigermaßen nachhelfen; denn die Schokazinnen tragen eine Gewandung, wie sie gegenwärtig innerhalb Europas Grenzen schwerlich sonst noch vorkommen dürfte: eine Tracht, welche unser hoher Jagdherr, findig und bezeichnend wie immer, mythologisch nannte. Wenn ich sage, daß Kopf und Gesicht großentheils in eigenartig, jedoch nicht unmalerisch gewundene und geknotete Tücher eingehüllt sind und der Rock durch zwei buntfarbige, schürzenartige, nicht mit einander verbundene Tuchstücke vertreten wird, darf ich im Uebrigen reger Einbildungskraft vollste Freiheit gestatten, ohne befürchten zu müssen, daß sie so leicht dennoch vorhandene Grenzen überschreiten werde. Ich meinestheils wurde lebhaft an ein Lager arabischer Wanderhirten erinnert, welches ich einstmals in den Urwäldern Innerafrikas betreten hatte.

(Schluß folgt.)




Das Goaßlfahren.

Eine kleine Dorfgeschichte aus Oesterreich von August Silberstein.

Das Tannenreisigbüschlein an einer breiten Thür, frischgrün in allen seinen Nadeln und oben mit einem dichten, fast schimmernden Schneewulste belegt, ließ keinen Zweifel, was es da am einsamen Hause nächst der Landstraße bedeute. Es war eine frischlebendige Mahnung, einzutreten, wo man stetig munter und wo Stimmen wie im sommergrünen Walde laut, wenn auch Alles ringsum still, ernst, sogar erstorben schien, wie jetzt unter der dichten weißen Schlaf- oder Leichendecke, welche Feld und Flur, Thaltiefen und Berghöhen bedeckte.

Die Scheiben weinten Jedem sichtlich Freudenthränen des Willkomms von innen entgegen und ließen in ihrem glatten Gesichte keine Eisnadelrunzeln aufkommen. Jetzt aber klirrten sie völlig, als ein Mann die Thür aufriß und rasch wieder zuschlug, der in einen grauen Mantel eingehüllt und mit einer Pudelmütze (runder Pelzmütze) bedeckt war, die, trotzdem draußen schon der Schnee abgeschüttelt worden, doch hier innen noch bei dem ersten Strecken und Recken einen weißen Kranz rings um ihn zeichnete, als hätte man ihm Lilien und allerlei weiße Blüthen auf den Weg gestreut.

Sie vergingen rasch und wurden mit einer Schleunigkeit dunkler, welche der Hast der Frau Wirthin gleichkam, die, nachdem sich der eingetretene Mann ein wenig entpuppt hatte, vom Schenktische her ausrief: „Boldl (Leopold)! Mein Gott, der Boldl! Wie kommst denn Du daher?“

„Urlaub hab’ ich bekommen! Und einberufen werd’ ich weiter wohl schwerlich mehr. Ich werd’ in die Reserve versetzt oder, wenn’s gut geht, in die Landwehr! Fasching ist ja auch im Land, und im Winter, in der lustigen Zeit, bin ich schon lang’ nit daheim gewesen … jetzt bin ich’s, juhe!“

„Und die Freud’, die Deine Leut’ haben werden! Jetzt gehst gerad’ heim ins Dorf …“

„Freilich, freilich! Grüß’ Dich Gott, Kapral (Korporal) Boldl!“ rief der eintretende Wirth, ihm die Hand entgegenstreckend. „Sein (sind) wir ja doch noch beim letzten Manöver zusammenkommen! – Nimmst noch einen Schluck zum Wärmen auf den Weg heim. Und Du kommst gerad’ recht; nächsten Sonntag kann’s lustig werden, da haben wir wahrscheinlich das Goaßlfahren im Ort!“

„Goaßlfahren! da wird wohl mein Alter dabei sein, ich wett’!“

„Der laßt’s sich nit leicht nehmen. Hat immer mit’than, so alt er is! Aber riegelsam und lebfrisch!“

„Das is gerad’ recht. Und thät er’s nit, so thät’s ja gerad’ ich! Das brave Rapperl is noch beim Haus und mein Goaßlschlitten, den ich selm (selbst) noch auf’putzt hab’, find’t sich wohl noch daheim, und mitthu ich … das ist g’wiß!“

„Und die Freud’ von der Heidl (Adelheid), wenn’s Dich wieder sieht!“ rief die Wirthin aus.

„Wer weiß!“ antwortete der Andere.

„Na, das ist doch g’wiß!“ betheuerte die Wirthin.

„Und sie ist nit mit dem Waldhaus-Franzl so viel wie versprochen (verlobt)?“

„Erfunden und erlogen ist’s! So schlechte Leut’ giebt’s! Daß solche Reden einem Menschen nit im Hals stecken bleiben wie ein Knochen! Und daß sie nit daran würgen müssen zum Ersticken! Die Heidl! so was! Hat sie ja gerad’ noch immer ihre Brüder hingehalten wegen dem Franzl und ihnen gesagt, sie möcht’ nit, daß sie jetzt schon ans Herauszahlen gehn müßten. Das Heirathen hat noch Zeit!“

„Hat sie gesagt?“

„Ja, und vertraut hat sie mir’s doch als mein’ Basl, an wen sie denkt!“ …

„An wen?“

„Na, an Dich! Du Daundalaun, Du Didldap, daß man Dir so etwas erst sagen muß!“

„Hat sie g’sagt!“ rief der entzückte junge Mann aus.

„Und jetzt rennst vielleicht gar gleich hin … und verrath’st Alles!“ sagte die Wirthin.

„Nein! Ich bitt’ Euch, laßt ihr im Gegentheil gar kein’ Kundschaft werden von mir und sagt nichts. Sie kommen wohl jetzt nit eher vom Wald herfür, in diesem tiefen Schnee, als höchstens Sonntag zur Pfarrkirch’!“

„Ganz richtig. Wenn s’ überhaupt heraus können. Aber das will ich machen. Ich laß mit ein’ Schlitten wegen Holz hineinfahren, geh’ es wie es geh’, und dann müssen sie kommen!“

„Dafür ist nächsten Sonntag Goaßlrennen her zu Dir, Wirth, ganz gewiß. Und lustig soll’s sein, wie in der Ewigkeit, wenn der Petrus droben Schnee machet! Verlaß’ Dich auf mich! Aber schweigen!“ …

„Schweigen,“ sagte der Wirth, „drauf laß’t Dir wieder einschenken und dann stapfst wärmer heim.“

Das geschah. Und die herzlichen „behüt Gott!“ tönten noch lange nach, und über den Schnee ging der Boldl auf der Landstraße dahin, als wäre er sein Lebtag gewohnt nur auf diesem eiligst zu wandeln.

Ja daheim, da gab’s zur Freud’ und Liebe noch einen prächtigen Most und mitten in der Woche sogar Braten mit Schmalzkrapfen.

Und Sonntag war man von weit und breit da. „Goaßlfahren“ galt die Losung. „Maschkerade“ auch noch, alles von Boldl betrieben, auch ihm zu Ehren, und wer wetten will ums erste Anlangen am Ziel beim Wirth, legt zwei Gulden ein. Die Hälfte fürs Allgemeine, die andere für den „Weitmaier!“ (weitest Vorderen).

Kaum hatte am Sonntag Nachmittag das letzte „Segenläuten“ vom Thurm ausgeklungen, standen sie da auf dem Kirchenplatze, alle Jungen und Alten, die einen Schlitten aufzubringen hatten. Boldl wurde rings begrüßt. Und ein Schellengeklingel war’s von den mit Bändern,

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