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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Königin. Ihre hohe Würde ist indeß keineswegs eine bloße Sinekure. Sie ordnet die Wanderzüge der Zigeuner an, die sich nach bestimmten Regeln bewegen, und zwar im Sommer in den nördlichen, im Winter in den südlichen Staaten; sie schlichtet alle Streitigkeiten zwischen den einzelnen Gruppen und übt eine große Macht aus über alle Angehörigen ihres Stammes. Sie darf indeß nach der Neigung ihres Herzens heirathen, auch wenn der Erwählte kein Zigeuner ist; dann verlieren jedoch ihre weiblichen Nachkommen die Anwartschaft auf die Würde und Macht der Königin.

Der alte Wilderer. (Mit Illustration S. 145.) Keine Leidenschaft ist unbesiegbarer als die, welche den Wildschützen zwingt, zur Büchse zu greifen und seinem verbrecherischen Gewerbe sich hinzugeben. Der Wilderer, der aus dem Gefängniß entlassen wird, benutzt die ersten Stunden seiner Freiheit, um zu dem geliebten Raubgewerbe zurückzukehren, das ihn hinter Schloß und Riegel brachte. Nichts kann ihn von dem verbotenen Wege ablenken, nicht die Thränen der Gattin, das Hungern seiner Kinder: er ist nur in der Zeit kein Wilderer, wo ihn die Eisengitter des Kerkers vom Walde trennen.

Verhaßt ist ihm Jeder, der seinem nichtsnutzigen Thun entgegentritt, in erster Linie der pflichtgetreue Forstmann, der Heger und Pfleger des Wildes, und kreuzen sich ihre Wege, so ist vom Wilderer zum Verbrecher nur ein Schritt. Wie mancher brave Grünrock tränkte nicht im deutschen Walde, von der meuchlerischen Kugel des Wildschützen durchbohrt, das Moos mit seinem Blute!

Wie unschuldig läßt uns der Künstler auf seinem Bilde den alten weißhaarigen Raubschützen erscheinen, der mit seinem rostigen Feuerschloßgewehre von Anno 13 hinter der Bretterwand auf dem Anstande sitzt. Vor sich hat er eine Anhöhe, und wenn Meister Lampe aus dem Holze „rückt“, um auf Klee oder junger Saat zu „äsen“, zeichnet er sich dort oben scharf vor dem röthlichen Abendhimmel ab und bietet den vom Alter geschwächten Augen noch einen sichern Zielpunkt. Das sieht so harmlos aus; aber das bewegte, vielleicht verbrecherische Leben, das der Alte hinter sich hat, und sein böses Gewissen hat uns der Künstler nicht zum Ausdruck bringen können, wohl aber, daß das Wildern eine Leidenschaft ist, die selbst das Alter, sonst der beste Arzt für fast alle Leidenschaften, nicht zu kuriren versteht. Und ansteckend, das zeigt uns der Künstler, ist diese Leidenschaft auch. Die Enkel des Alten zittern vor Aufregung und Erwartung, vor Jagdfieber, daß der zweite Hase vor dem Abendhimmel erscheint. Die böse Saat ist gesäet und aufgegangen, und wenn sie die Knabenschuhe ausgezogen haben, werden sie in die Fußstapfen ihres Ahnen treten.

Lawinen und Bannwälder. Neuerdings wird in den Blättern von der Lawinengefahr im schweizer Kanton Tessin berichtet. Oberhalb Bedrettos haben sich schon im November Lawinen losgelöst und über 50 Baumriesen der uralten Schutzwaldungen niedergeschmettert; eine andere Lawine hat oberhalb Airolos einen jungen Wald gleich einem Kartenspiel zur Tiefe gefegt. Eine kleine Ortschaft Albinasca ist so bedroht, daß die Einwohner ihren Heimathsort verlassen werden, nachdem durch Stürme und Lawinen der uralte Tannenwald, der das Dörfchen schützte, fast ganz vernichtet worden ist.

Bei diesem Anlaß weisen wir auf die trefflichen Schilderungen hin, welche H. A. Berlepsch in seiner Schrift „Die Alpen in Natur- und Lebensbildern“ von den Lawinen und Bannwäldern giebt, wie derselbe überhaupt ein farbenreiches Gemälde der Alpenwelt vor uns entrollt. Von den Lawinen sagt er: „Gewöhnlich hört man den Sturz eher, als man ihn sieht. Durch den donnernden Schall plötzlich aufgeschreckt, richtet der Blick des mit der außerordentlichen Erscheinung nicht vertrauten Fremdlings sich gewöhnlich in die Höhe und sucht am Firmamente die Gewitterwolken, welche die gewaltig tönenden Schwingungen hervorrufen; aber droben im tiefen blauen Aether lagert lichte Ruhe: kein Wölkchen schwimmt im Luftocean. Schon rollt das Getöse nachhallend durch die Thäler und erneuert jetzt abermals, stärker anschwellend, die erschütternden Tonwellen, während das Auge drüben am Silbermantel des Berges rauchendes, von den Lüften verwehtes, stäubendes Gewölk und unmittelbar darunter eine gleitende, niederrollende Bewegung an den kaum zuvor noch in starrer Todesruhe daliegenden Firnwänden wahrnimmt. Scheinbar langsam, im stolzen getragenen Zeitmaß, schwebt die Schneekaskade wie bunte Atlasbänder über die Felsenwände herab, staucht tiefer an hervortretenden Fluhsätzen auf, zerstiebt in wellig-runde Schaumbogen und zerflatternde Wolkenwimpel, wie die Intervallen eines Stromkatarakts, oder verliert sich sekundenlang in verborgenen Schluchten und sinkt, das Schauspiel von Stufe zu Stufe wiederholend, hinunter, bis sie auf flach auslaufenden Alpenmatten oder im tiefen Trümmerbecken zur Ruhe kommt.

Von den Bannwäldern wird berichtet, daß sie fast nur aus Nadelholz, in den östlichen Alpen vorwiegend aus Arven und Lärchen, in den westlichen mehr aus Rothtannen und Kiefern bestehen. Die Aufgabe derselben ist, durch die Menge ihrer hochaufstehenden starken Baumstämme das Losbrechen und Herabrutschen der während des Winters sich anhäufenden Schneemassen, also die Bildung von Grundlawinen zu verhindern, nicht, wie man gewöhnlich glaubt, Lawinen, die bereits in Gang gekommen sind, wie ein Damm aufzuhalten. Die Alpenbäume wachsen langsam unter den hindernden klimatischen Einflüssen; ihr Holz ist aber derber, zäher, fester, als das des tiefliegenden, in fetter Dammerde wurzelnden Waldes; der Wuchs dieser Bäume ist gedrungener, trotziger, widerstandsfähiger, als derjenige der andern, die in der Dammerde des tieferliegenden Waldes wurzeln. Jene geeigneten Waldungen der höchsten Waldregion werden in „Bann“ gethan, für unantastbar erklärt – deßhalb ihr Name.

Sprechsaal.

Frage 3: Bei einem kurzsichtigen Knaben, der beim Lesen und Schreiben stets eine schiefe Haltung einnimmt, bewährt sich ein Geradehalter nicht. Der Knabe kann in gerader Haltung die Schrift auf dem Tisch nicht erkennen. Welchen Rath würden Sie mir geben?

Antwort: Bei derartiger hochgradiger Kurzsichtigkeit müssen Sie das Kind vom Augenarzt untersuchen lassen, der vielleicht eine passende Brille verordnen wird. Dann wird auch der Geradehalter seinen Zweck erfüllen. – Außerdem möchten wir Sie auf „Atzert’s Universal-Schreib-, Zeichen- und Lesepult“ aufmerksam machen. Das Pult ist für stark Kurzsichtige mit einer besonderen Stellvorrichtung nach augenärztlicher Angabe versehen und von Fachautoritäten vielfach als zweckmäßig empfohlen worden. Wir geben beistehend eine kleine Abbildung desselben und bemerken, daß es auch von Leuten mit gesunden Augen benutzt werden kann. Das Lesen und Durchsehen großer Bücher, wie z. B. der gebundenen Jahrgänge der „Gartenlaube“, wird durch dasselbe wesentlich erleichtert.

Frage 4: Wo und in welcher Wattenfabrik wird seidene Watte aus Seiden-Charpie gearbeitet? C. S.

Frage 5: Wer kann einige Recepte für Osterspeisen angeben?

Frage 6: Wodurch unterscheidet sich kaukasisches Petroleum von dem amerikanischen?[WS 1]

Frage 7: Giebt es wasserfesten Kitt für Glassachen?[WS 2]


Inhalt: Herzenskrisen. Roman von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 133. – Die „Brüder Müller“. Von Friedrich Hofmann. S. 140. Mit Portraits S. 133. – Die internationale Ausstellung für Volksernährung und Kochkunst zu Leipzig. S. 141. Mit Illustrationen S. 141 und 142. – Ein verhängnißvolles Blatt. Erzählung aus den bayerischen Bergen von Anton Freiherrn v. Perfall (Fortsetzung). S. 142. – Der Rastatter Gesandtenmord. Von Professor Dr. Karl Theodor Heigel. S. 144. – Blätter und Blüthen: Reine auf den Lofoten. Von L. Passarge. S. 147. Mit Illustration S. 135 und 136. – Eine Zigeunerkönigin. S. 147. – Der alte Wilderer. S. 148. Mit Illustration S. 145. – Lawinen und Bannwälder. S. 148. – Sprechsaal. Mit Abbildung. S. 148.


Unseren neu eingetretenen Abonnenten

theilen wir hierdurch mit, daß sie den letzten Jahrgang (1886) der „Gartenlaube“ komplet broschirt bis auf Weiteres noch zum Subskriptionspreise von 6 Mark 40 Pfennig durch alle Buchhandlungen beziehen können. Derselbe enthält unter Anderem die folgenden Novellen und Romane:

Was will das werden? Roman von Fr. Spielhagen. Sankt Michael. Roman von E. Werner.
Die Andere. Von W. Heimburg. Die Lora-Nixe. Von St. Keyser.
Die beiden Schaumlöffel. Von Klara Biller. Ueber den Gartenzaun. Von A. Weber.

Außerdem bietet der Jahrgang 1886 eine Reihe kleinerer Erzählungen, ein große Zahl unterhaltender und belehrender Artikel und einen reichen Schatz vorzüglicher Illustrationen unserer ersten Künstler.


Von einzelnen älteren Jahrgängen der „Gartenlaube“ sind noch Exemplare zu dem ermäßigten Preise von nur 3 Mark für den vollständigen Jahrgang broschirt durch alle Buchhandlungen zu beziehen. Es sind dies die Jahrgänge 1858, 1868, 1869, 1872, 1875, 1876, 1877, 1878, 1879. – Zum Preise von 6 Mark sind noch zu haben die Jahrgänge 1859, 1860, 1863, 1870, 1871; zum Preise von 6 Mark 40 Pfennig die Jahrgänge 1873, 1880, 1881, 1882, 1883, 1884, 1885.

Die übrigen Jahrgänge 1853, 1854, 1855, 1856, 1857, 1861, 1862, 1864, 1865, 1866, 1867, 1874, sind entweder ganz vergriffen oder nur noch antiquarisch zu erhöhtem Preise zu haben. Wo der Bezug auf Hindernisse stößt, wende man sich direkt an die unterzeichnete Verlagshandlung.

Leipzig, Februar 1887. Ernst Keil’s Nachfolger.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

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