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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


„O Du lieber Gott!“ sprach die von dem raschen Abgange sichtlich betroffene Frau vor sich hin und nahm ihr Strickzeug wieder auf. Sie war freilich eben sehr unvorsichtig gewesen; das sah sie ein, denn er hatte nie geduldet, daß in seiner Gegenwart von der ehemaligen Braut gesprochen wurde. Aber sie hatte zugleich eingesehen, daß er noch immer nicht gleichgültig über sie dachte, und darum seine abweisende Art gegen die Wünsche, die sie in aller mütterlichen Liebe und Güte für ihn hegte, darum! Sie bebte innerlich vor Zorn.

„Hole den Kaffee, Kind,“ sagte sie, sich mühsam zur Ruhe zwingend. „Nein, diese Männer!“ murmelte sie vor sich hin, „Dickköpfe! Stierköpfe! Durch die Wände wollen sie, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben! Nein verrückt – und so war sein Vater auch! Was habe ich mit dem Seligen für Tänze gehabt, ehe ich meinen Willen kriegte! Aber sie haben eben alle einen Brand im Kopf, und wenn’s nicht brennt, so glimmt es.“

Mit sauersüßer Miene trank sie Kaffee mit ihrem Schützling und sprach dabei von einem Häkelmuster, das sie verloren und das nirgend wieder aufzufinden sei, und zum Schluß sagte sie mit einer kühnen Wendung:

„Heute wird Dettchen einen schlimmen Tag haben, mein Kind. Nichts verbittert die Männer mehr, als wenn sie unversehens an eine Dummheit erinnert werden. Wir wollen nie wieder von ‚ihr‘ – sie machte eine Bewegung nach dem Meerfeldt’schen Grundstück hinüber – „in seiner Gegenwart reden, und wenn sie meinetwegen vor unseren Fenstern auf dem Seile tanzt.“

Dettchen hatte keinen schlimmen Tag, aber einen traurigen. Der Herr Doktor kam eilig nach Hause und ging sofort in seine Stube, ohne erst Kaffee bei ihr zu trinken; und der duftende Trank stand doch so sorglich warm auf dem blankgeputzten kupfernen Kohlenbecken, zum Ueberfluß noch mit einer pompösen gestickten Kaffeemütze bedeckt. Sie goß seine Tasse voll, kam damit die Treppe hinunter und klopfte schüchtern an die Thür. Auf seine Antwort trat sie ein und fand ihn mit finsterer Miene vor dem Schreibtisch.

„Es sind Bestellungen für Dich da,“ sprach sie freundlich, „Du sollst zu Brauer Günther’s kommen und zu Banquier Josephsohn’s. Und dann läßt Dir Mademoiselle Bertin sagen, Du möchtest im Laufe des morgenden Vormittags doch einmal wieder nach dem alten Baron sehen, er hat sich über irgend etwas heftig alterirt. Sie war selbst hier und furchtbar erregt. Denke Dir, die Hortense von Löwen hat sich verlobt.“

„So?“ sprach er gleichgültig.

„Und mit einem Herrn Weber. Die Bertin sagte: „wenn er wenigstens von Weber hieße!“

Er mußte lächeln über die letzte Bemerkung.

„Sie kommt heute, Alfred.“

„Das Brautpaar ist schon hier,“ sagte er, „und Lucie mit ihnen.“

„Lucie?“ Tante Dettchen erblaßte und sah ihren Neffen an. „Ich glaubte, sie würde bei ihrem Schwager bleiben, Alfred?“

„Ja, wahrhaftig!“ stieß er bitter hervor, „ich glaubte es auch!“

„Rege Dich nicht auf, mein alter Junge,“ bat die kleine Dame und trippelte zu ihm heran mit bekümmerter Miene. Und sein dichtes Haar streichelnd sagte sie: „Kannst Du es immer noch nicht überwinden?“

Er wehrte ihr hastig. „Laß nur, laß! Es war nur ein Moment, und – es ist schwer zu begreifen, daß so viel Herzlosigkeit, so viel –“ Er brach ab und sprang empor. „Zu Günther’s soll ich kommen und zu Josephsohn? Danke! Ich werde gleich gehen.“

Im nächsten Augenblick schon trat er aus der Gitterpforte und schritt rasch durch die Straßen.

(Fortsetzung folgt.)




Der Rastatter Gesandtenmord.
Von Professor Dr. Karl Theodor Heigel.
(Schluß.)


Auch in Frankreich stieß die von Debry verkündete und von den Direktoren eifrig verbreitete Erklärung der Katastrophe auf Ungläubige. Die theatralischen Trauer- und Rachefeierlichkeiten, welche von der Regierung in Scene gesetzt wurden, riefen in manchen Kreisen Spott und Hohn hervor. Ja, ein junger Deutscher, kein Geringerer als Ernst Moritz Arndt, der den Sommer vor Napoleon’s Rückkehr aus Aegypten in Paris zubrachte, empfing von dem Auftreten Debry’s in der Nationalversammlung nur den Eindruck eines „belustigenden Possenspiels“ und wurde durch die romantische Erzählung von den Rastatter Vorfällen an „Falstaff’s nächtliche Heldenthaten“ erinnert. Auch Pariser glossirten, wie der preußische Diplomat Baron Sandry nach Berlin berichtete, die oratorischen Leistungen Debry’s und seiner Gesinnungsgenossen wenig respektirlich und erzählten sich auf offener Straße ärgerliche Anekdoten aus dem Leben der ermordeten Gesandten. Es ging sogar das Gerücht, die Wittwe des ermordeten Roberjot habe sich geweigert, an dem Theatercoup der Trauerfeier Theil zu nehmen, und zwar aus keinem anderen Grunde, als weil sie in den Direktoren die Urheber des Mordes, der ihren politischen Zwecken dienen sollte, und in Jean Debry das Werkzeug der ruchlosen Intrigue erblickte.

Die gleiche Ansicht suchte bald nach der Katastrophe der bekannte Gentz, die politische Wetterfahne der Revolutions- und Restaurationsepoche, in dem von ihm redigirten historischen Journal zu begründen, indem er den Satz aufstellte: Is fecit, cui prodest. (Derjenige ist der Thäter, dem die That zum Vortheil gereicht.)

Noch andere Beschuldigungen tauchten schon damals auf. Lafayette verwies auf die Königin Karoline von Sicilien, die so bei allen Intriguen und Schandthaten die Hand im Spiel habe. Den englischen Minister Pitt zieh Quinette, der französische Minister des Innern, öffentlich des Mordes, und dem britischen König rief er zu: „Empfange den Titel eines Mörderfürsten!“ Der in österreichischen Kreisen lautgewordene Verdacht, es hätten Emigranten an den „Königsmördern“ Debry, Bonnier und Roberjot Rache nehmen wollen und sich zu diesem Behuf in Husarenuniformen gesteckt, wurde schon erwähnt, auch ein Gutachten, das der Reichsvicekanzler Fürst Colloredo dem Kaiser erstattete, sprach sich in diesem Sinne aus.

Für alle diese Hypothesen fanden sich nun auch in der Folgezeit Anwälte. Vorwiegend wurde jedoch immer Lehrbach als der eigentliche Anstifter angesehen, die meisten Historiker, auch noch Schlosser und Häusser, hielten an dem Argwohn gegen den „Mephisto des Wiener Kabinetts“ fest. Es entstanden aber auch neue Hypothesen, wie z. B. diejenige von Böthlink, dem Biographen des jungen Napoleon. Böthlink schiebt die Schuld auf die französische Kriegspartei und ihr moralisches Oberhaupt Bonaparte. Während der General am Nil siegte, sollte das Direktorium in Italien und am Rhein Niederlagen erleiden; deßhalb sollte um jeden Preis der Friede verhindert und die Verbindung zwischen Frankreich und Oesterreich gesprengt werden, und wie hätte dies wirksamer erreicht werden können, als durch eine so furchtbare Anklage gegen die nämlichen Männer, die bisher immer für die Gemeinsamkeit der französischen und österreichischen Interessen eingetreten waren. Und das Werkzeug des Dämons Bonaparte, plaidirte Böthlink weiter, war kein Anderer als Debry, der angeblich mit Noth der Mörderhand entronnene Kollege der Ermordeten, der nur, um seine Aussage glaubhafter zu machen, gleich Kaspar Hauser sich selbst ein paar Wunden beibrachte. „Debry’s Haltung in der fraglichen Nacht erinnert nicht nur an Falstaff, sondern auch an Macbeth, der wahnwitzige Prahler scheint einen zitternden Mörder zu bergen.“ Der Führer der Friedenspartei, Roberjot, wurde durch verkleidete Meuchelmörder erschlagen und dadurch die französische Nation zu Rache an den vermeintlichen Urhebern aufgestachelt. So war die ganze Katastrophe nur ein Schachzug Napoleon’s, um sich während des

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