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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

wieder auffrischen. Sie drückte ihre Entrüstung aus über die That, sprach die Hoffnung aus, daß der ruchlose Mörder doch noch entdeckt und den verdienten Lohn empfangen werde. Das waren böse Stunden für Mathias.

Anna war viel versöhnlicher gestimmt: „Das sei eb’n die Folg’ von dieser erbärmlichen Jägerei, die man schon längst hätt’ freigeb’n soll’n, alles Wild mit anand wiege ja doch kei Menschenleb’n auf –“ Sie betrachtete Rupert als auf dem Feld der Ehre gefallen wie einen Soldaten vor dem Feinde; zu einem Hasse gegen den Mörder konnte sie sich nicht aufschwingen. Das war wieder Balsam für Mathias, der so in Anna noch eine unverhoffte Vertheidigerin fand.

Die jungen Leute gewöhnten sich an einander. Wenn Mathias später als gewöhnlich von der Arbeit kam, war Anna unruhig; bei Tische überraschten sie sich gegenseitig oft über Blicken, in welchen Frage und Antwort lag.

Die Mutter erkannte die Gefahr, als es schon zu spät war. Sie empörte sich innerlich: sollte jetzt am Ende ein Holzknecht einziehen auf den Hof? Das wäre ja fast noch schlimmer als es mit dem Jäger gewesen war. Dazu kam eine instinktive Abneigung gegen Mathias, die sie selbst nicht recht begreifen konnte. Aber zu machen war vor der Hand nichts; den Mathias davonjagen, ging auch nicht ohne besonderen Grund; das hätte vielleicht die Sache bei dem Charakter Anna’s nur beschleunigt.

Bis Weihnacht hatte sie die jungen Leute ständig unter den Augen. Sie ging als die Letzte zu Bett, und in der Nacht oft schlich sie mit dem Licht umher, ob auch Alles in Ordnung. Da erkrankte sie plötzlich; ihr böser Fuß machte ihr wieder zu schaffen, wie fast alle Winter; sie mußte das Bett hüten, voraussichtlich auf Wochen. – Das war ein Schlag für die alte Frau! Jetzt waren die Beiden sich selbst überlassen; sie kannte das Temperament Anna’s zu gut, um nicht eine Annäherung der jungen Leute zu fürchten. Sie lag zwar neben der großen Stube und fesselte Anna den ganzen Tag an ihr Bett, die ja ohnehin eine sorgsame Pflegerin für sie war; aber es gab doch Gelegenheit genug, das wußte sie, wo Anna mit Mathias zusammen sein konnte.

Der Stall mußte besorgt, das Haus in Ordnung gehalten werden, und an den Sonntagen war der Weg in die Kirche die beste Gelegenheit! Dann lag sie machtlos in ihrem Bette und konnte nur zu Gott beten, er möge doch ihre Anna nicht ganz verlassen und nicht zum zweiten Male ins Unglück führen. Kam Anna zurück, so fragte sie um Alles: wo sie sich aufgehalten, ob sie mit Mathias beisammen gewesen sei. Das peinliche Verhör diente nur dazu, diese in der wachsenden Neigung zu Mathias zu bestärken: die Mutter selbst redete sie förmlich in ein Verhältniß mit ihm hinein.

Eines Abends saßen sie wieder beisammen in der Stube; die Thür zum Zimmer der Alten stand offen, und Beide fühlten, daß jeder Blick, jedes Wort von drinnen genau beobachtet wurde. Sie sprachen daher nur von gleichgültigen Dingen, von der Tagesarbeit, von häuslichen Verhältnissen. Mathias erzählte, daß sein älterer Bruder schwer erkrankt sei. Von ihm, der kinderlos war, sollte er das kleine Anwesen erben; dann wollte er auch einen Bauer machen! Er redete das der alten Frau zu Gehör. – Plötzlich drangen die schweren Athemzüge einer Schlafenden aus der Kammer, Anna schlich leise hin und sah nach – es war so: die Mutter war eingeschlafen! Vorsichtig schloß sie die Thür, damit das Licht sie nicht blende.

Nun saßen sie allein, Seite an Seite, zum ersten Male, seitdem der Mathias im Hause war.

Anna sah verlegen auf ihre Arbeit nieder; Mathias, der den Moment schon lange herbeigesehnt, wagte es jetzt nicht, mit der Sprache herauszugehen. Rupert’s blutige Gestalt drängte sich wieder zwischen ihn und sie – wie konnte er, der Mörder, um die Geliebte seines Opfers freien? Das wäre ja ein noch schlimmeres Verbrechen als der Mord selbst! Dann sah er wieder Anna an, mit all den bestrickenden Reizen, die sie für ihn hatte. Seine Sinnlichkeit stritt mit der guten Regung, die er eben gehabt, und sie gewann die Oberhand. Er hatte ja nur aus Nothwehr gehandelt; er oder Rupert hieß es damals. Hätte Rupert’s Kugel nicht gefehlt, so säße dieser jetzt an seiner Stelle und er läge dort im Kirchhof.

„Anna!“ fing er an.

Diese erhob ihr Antlitz und sah ihm in die Augen.

„Anna, Du hast mi früher, eh’ der Jaga komma is, gern g’habt – i woaß’s, wannst mir’s a net g’sagt hast. Kunnt’s net wieda so werd’n? So viel wia der bin i a, und wenn mei Bruader a mal das Zeitliche segn’t, hab’ i a Bisl was! Was hast mir d’rauf d’sag’n? Red’ off’n!“

„Es is eigentli a Schand’,“ erwiederte sie, „daß Du’s jetzt scho wag’n kannst, von so was mit mir z’ reden, Mathias, wo erst a halb’s Jahr über d’n schrecklich’n Tag um is; aber i muaß Dir wohl a Veranlassung geb’n hab’n dazu! I bin eb’n a recht’a schlecht’s Madel, die si gar net z’ruckhalt’n kann, wia And’re. I hab’ Di net ungern und i kunnt mir Di grad scho als mei Mann vorstell’n! Aber wennst mi liab hast, so red’ jetz nix mehr davo! Wart’ wenigst’ns no a Zeit lang, westigst’ns bis ’s Jahr un is und Gras g’wachs’n is über’m Rupert sein Grab.“

Mathias sah sie mit glänzenden Augen an. Alle Vorwürfe seines Innern verstummten plötzlich; die erhaltene Antwort machte ihn ganz glücklich.

„Wart’n will i ja gern, so langst D’ willst, wennst mir a Hoffnung laßt; aber nur die nimm ma net; es is das Oanzige, was i no hab’!“

Er umfaßte sie stürmisch und drückte den ersten Kuß auf ihre Lippen; sie ließ es ruhig geschehen, aber entwand sich rasch seinen Armen, als von drinnen die Mutter nach ihr rief. Anna eilte hin und öffnete die Thür. Das Licht beleuchtete gerade ihr erregtes, tiefgeröthetes Gesicht; ein Zopf war ihr aufgegangen bei der Umarmung. Die Mutter sah sie forschend an.

„Warum bist D’ auf eimal so roth und so unordentli’ beisamm?“ sie beugte sich auf die Seite und sah Mathias. Da erhob sie warnend den Finger, und Thränen standen in ihren Augen.

„Anna,“ sagte sie, „i warn Di! Du hast an unglückselig hitzig’s Bluat! Gieb Obacht auf Di! Wirf Di net weg! Denk’ an den armen Rupert! Denk’ an mei böse Ahnung von damals! I hab ’s jetz wieda! Du hast koan Glück in Deiner Liab’ und ’s zweite Mal ertrag’s i net und Du net, wenn’s schief geht!“

Anna konnte nichts erwiedern, unendliche Scham überkam sie vor ihrer Mutter, in ihrem Wankelmuth so bloß gestellt zu sein. Sie knieete am Bett nieder und verbarg schluchzend ihr Antlitz an der Brust der Greisin, welche die Hände faltete zum Gebet für ihr schwaches Kind!

Mathias schlich aus der Stube wie ein Dieb. Zu Hause hielt es ihn nicht. Frohe Hoffnung, Stolz, das Mädchen gewonnen zu haben – dann wieder ein Grauen vor sich selbst, vor dem Betrug, den er zu spielen im Begriffe war, kämpften in ihm, und so rannte er brennenden Kopfes in die Nacht hinaus; die eisige Kälte that ihm wohl. Er eilte durchs Dorf aufs Gerathewohl und kam an dem Wirthshaus vorbei; der Klang einer Cither, Gejod’l drang heraus. Er trat ein – da gab’s Zerstreuung!

(Fortsetzung folgt.)




Zur hundertjährigen Jubelfeier eines Mannes der eignen Kraft.
Mit Illustration S. 149.

     Approximavit sidera.
„Er hat uns die Sterne näher gebracht.“


Am 6. März dieses Jahres ist ein Jahrhundert verflossen, seit in der Hütte eines armen Glasers zu Straubing ein Kind das Licht der Welt erblickte, dessen Schwächlichkeit kein langes Leben verhieß, das aber vom Schicksal bestimmt war, seinen Namen mit unverlöschbaren Zügen in das ruhmvolle Verzeichniß der hervorragendsten Forscher aller Zeiten einzutragen. Der Knabe hieß Josef Fraunhofer, und unter Entbehrung und Elend wuchs er heran, ohne Leitung, ohne Schulbildung, nur geheißen, die Gänse eines Bauers täglich auf die Weide und wieder heim zu führen. Aber dieser arme Bauernknabe, mit dem Keime zu frühem Tode in der Brust, war geboren, nicht als Viehhirt zu verderben, sondern der Wissenschaft neue Wege zu bahnen und ruhmvoll, von der ganzen gebildeten Welt betrauert, seinen Lebenslauf zu beschließen.

Nach dem frühen Tode seiner Eltern kam der Knabe, kaum 12 Jahre alt, 1799 nach München, um beim Glasschleifer Weichselberger das Handwerk

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_160.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2023)