Seite:Die Gartenlaube (1887) 163.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Approximavit sidera, „Er hat uns die Sterne näher gebracht.“ Wahrlich ein höherer Ruhmestitel als alle äußerlichen Ehrenbezeigungen!

Fraunhofer’s Tod schien alle von ihm gemachten Errungenschaften in der Herstellung des optischen Glases wieder in Frage zu stellen; denn über seine Fabrikationsmethode hatte er Niemand eine Mittheilung gemacht. Glücklicher Weise hatte er indessen eine Beschreibung derselben beim bayerischen Ministerium niedergelegt, und hierher wandte sich nun zunächst Utzschneider um Auslieferung dieser Papiere behufs Herstellung des großen vom Könige bestellten Fernrohrs. Dieselbe wurde verweigert und das unmittelbare Resultat war, daß nach Ablauf der ausbedungenen drei Jahre das große Instrument noch gar nicht angefangen war. Es wurde ein neuer Termin von weiteren zwei Jahren bewilligt, und endlich erhielt Utzschneider die Fraunhofer’schen Papiere. Ohne Säumen begann er nach ihrer Anweisung das Schmelzen optischer Glasblöcke, aber ohne Erfolg; an 180 000 Mark sollen auf fruchtlose Versuche verwendet worden sein. Erst der junge Georg Merz, Fraunhofer’s Schüler, kam zu besseren Resultaten. Er war in der Lage, sogar noch größere und reinere Glasblöcke zu erzeugen, als Fraunhofer. Dennoch gelang es nicht, das Instrument von 12 Zoll Objektivdurchmesser zu vollenden; auch der zweite Termin lief fruchtlos ab. Die bayerische Regierung drohte mit Zwangsmitteln und entsandte einen Astronomen, um zu untersuchen, was von dem Instrumente fertig sei. Dieser fand das Fernrohr vollendet, aber nicht mit einem Objektivglase von 12 Zoll Durchmesser, sondern nur von 10½ Zoll. Gleichwohl rieth er der Regierung, dieses Instrument statt des zwölfzolligen zu nehmen, da das Gelingen eines noch größeren nur auf Zufall zu beruhen scheine und man nicht absehen könne, wann es geliefert werde. Die bayerische Regierung ging auf diesen Vorschlag ein und Ende 1836, 10½ Jahre nach der Bestellung, war das Instrument endlich in der Sternwarte bei München zum Beobachten aufgestellt. Es erwies sich in seinen Leistungen als höchst vorzüglich und blieb geraume Zeit das mächtigste, den Herschel’schen Riesenteleskopen vielfach überlegene Sehwerkzeug der Astronomen; noch heute zählt es zu den vorzüglichsten Fernrohren.

Nicht ohne Absicht ist hier die Geschichte des Münchener großen Refraktors etwas ausführlich mitgetheilt worden, da sie die Schwierigkeiten, mit denen die Herstellung solcher Instrumente noch in den dreißiger Jahren zu kämpfen hatte, unmittelbar vor Augen führt. Gegenwärtig ist die optische Kunst weit über diesen Standpunkt hinweggeschritten. Nach sehr langen Mühen ist es dem Nachfolger von Guinant, Feil in Paris, dann der Firma Chance in Birmingham gelungen, fehlerfreie Glasblöcke zu erzeugen, welche Fernrohrobjektive von 20, 30, ja 36 Zoll Durchmesser zu schleifen gestatten, und die Amerikaner stellen heute Rieseninstrumente her, deren Gläser den drei- und selbst vierfachen Durchmesser der Fraunhofer’schen besitzen. So hat z. B. das neue Riesenteleskop auf dem Mount Hamilton in Kalifornien ein Objektivglas von 36 englischen Zoll Durchmesser, und die Kosten dieses Instruments beziffern sich auf 430 000 Mark. Beiläufig bemerkt ist es ein Deutscher, J. Lick, der diese Kosten bestritten hat, indem er circa 3 Millionen Mark zur Erbauung einer großen Sternwarte spendete. Mag nun, wie man glaubt, dieses Rieseninstrument das größte Fernrohr mit Glaslinsen sein, welches man überhaupt herstellen kann, oder mag es in Zukunft gelingen, noch weiter zu kommen; jedenfalls ist es Fraunhofer gewesen, der die Wege gewiesen hat, auf denen die Nachfolger heute wandeln. Mit den Werkzeugen, die seine Hand schuf, sind die Schranken des Himmels durchbrochen und die Entfernungen der Fixsterne gemessen worden; noch heute sind die von ihm erdachten und ausgeführten Meßapparate die feinsten, welche der Astronom kennt, und nicht minder ist dem Physiker der Name Fraunhofer ehrwürdig. Auf einen solchen Mann stolz zu sein, hat Deutschland allen Grund, und mit Recht wurde sein Denkmal, eine Erzstatue auf schwarz-grünem Syenit-Sockel, vor dem bayerischen Nationalmuseum errichtet, auf dessen Mittelbau die Inschrift prangt: „Meinem Volk zu Ehr’ und Vorbild.“ Dr. Klein.




Blätter und Blüthen.

Der deutsche Landsturm. Bei den Berathungen über das österreichische Landsturmgesetz, das nach den neuesten Nachrichten früher in Kraft treten soll, als ursprünglich festgesetzt war, wurde man auch wieder an den deutschen Landsturm erinnert, über den merkwürdigerweise die unklarsten Ansichten herrschen; denn nicht Wenige glauben, selbst Kinder und Greise müßten zu den Waffen greifen und die Landsturmmütze aufsetzen, wenn das Vaterland in Gefahr ist. Diese Unklarheit kommt wohl daher, daß das Landsturmgesetz vom 12. Februar 1875 etwas in Vergessenheit gerathen ist, weil, während Reserve und Landwehr alljährlich nach den gesetzlichen Vorschriften einberufen werden, der Landsturm seit 12 Jahren nur auf dem Papier steht. Da in der jetzigen, durch allerlei Kriegsbefürchtungen erregten Zeit die irrthümlichen Ansichten über den Landsturm der Aufklärung bedürfen, so erwähnen wir, daß nach jenem Gesetz von 1875 der Landsturm aus allen Wehrpflichtigen vom vollendeten 17. bis zum vollendeten 42. Lebensjahr besteht, welche weder dem Heere noch der Marine angehören. Den Kern desselben werden also die ausgedienten, aus der Landwehr entlassenen Soldaten, etwa vom 32. bis 42. Lebensjahre bilden. Der Landsturm tritt nur zusammen, wenn ein feindlicher Einfall Theile des Reichsgebietes bedroht und überzieht. Das Aufgebot des Landsturms, das sich auch auf die verfügbaren Theile der Ersatzreserve bezieht, erfolgt auf kaiserliche Verordnung, welche auch den Umfang des Aufgebots bestimmt.

Nach der Einberufung treten für die Landsturmpflichtigen die für den Landsturm geltenden Vorschriften in Kraft; sie sind den Militärstrafgesetzen und der Disciplinarverordnung unterworfen. Bei Verwendung gegen den Feind erhält der Landsturm militärische, auf Schußweite erkennbare Abzeichen und wird in der Regel in besondere Abtheilungen formirt. Die Einstellung erfolgt nach Jahresklassen, mit der jüngsten beginnend. In Fällen außerordentlichen Bedarfs kann die Landwehr aus den Mannschaften des aufgebotenen Landsturms ergänzt werden, jedoch nur dann, wenn sämmtliche Jahrgänge der Landwehr und die verwendbaren Mannschaften der Ersatzreserve bereits einberufen sind.

Das sind die Hauptbestimmungen über den deutschen Landsturm, der zum großen Theil ja aus Männern in den besten Jahren und aus Soldaten besteht, welche in zwölfjähriger Dienstzeit das Waffenhandwerk gründlich gelernt haben. Sollten einmal die Reiterschwärme des slawischen Ostens die deutschen Grenzdistrikte überfluthen, sollten die Franzosen in Elsaß-Lothringen eindringen, so wird der einberufene deutsche Landsturm sich gewiß als eine mächtige Schutzwehr des Vaterlandes erweisen.

Ein irrsinniger Dorfschulze. In den Aufzeichnungen „Aus den Kriegstagen 1870“ von Georg Friedländer, die sehr frisch und lebendig gehalten sind, findet sich eine Schilderung aus Saint-Privat, welche ein trauriges Bild von dem durch den Krieg verursachten Elend giebt. Der Verfasser hatte bei der Belagerung von Metz in diesem bei der Schlacht von Gravelotte von den Preußen und Sachsen erstürmten Dorfe Standquartier erhalten. Jammer und Verzweiflung herrschten bei den Wenigen, die hier zurückgeblieben waren. Der Sous-Maire, der zweite Dorfschulze, befand sich unter diesen. Er wird uns als ein kleiner lebendiger Mann geschildert, der eigentlich nur umherlief und das Schicksal seines Dorfes noch immer nicht begriffen hatte. „Er fuhr sich in die grauen Haare, seufzte, spuckte, steckte die Hände in die Hosentaschen, so daß die blaue Blouse wie eine Jacke dazwischen saß, und sah ruhelos und unthätig zu, als ich und Tilleck, der trefflichste aller Officierburschen, die Bombenlöcher unseres Gemachs mit Stroh und Kistendeckeln zu verstopfen suchten. Als Seltenheit barg unser Quartier eine Frau, denn die Weiber waren fast alle flüchtig, und so sekundirte die Frau dem Sous-Maire in der Skala jener immer wiederkehrenden Worte: ‚O mein Herr, welcher Krieg, welch ein Elend; mein Gott, welche traurige Zeit, welcher Jammer für Sie und für uns!‘ Gegen Abend holte ich den Wirth herein, daß er uns für einen Franc eine Hand voll Kartoffeln beschaffte; als aber die Frau beim Kochen war, um mir damit nach sieben Fastentagen das erste warme Mahl zu bereiten, da brachte ein heulender kleiner Blousenknabe die Todesnachricht ihrer Mutter, die eben in St. Marie gestorben war.

„Nun war’s mit Allem aus – Madame la Sous-Maire fiel (was ihr Niemand verdenken konnte) in Krämpfe, ich suchte vergeblich zu helfen und zu pflegen, und eilte dann zum Bataillonsarzt, der freilich auch nicht mildern konnte, was die Frau darniedergeworfen hatte. Und wenn’s noch dabei geblieben wäre! Aber dem armen Sous-Maire selbst stieg es vom Herzen in den Kopf, und nachdem er noch ein paar Tage rastlos auf den Trümmern seines Dorfes umhergelaufen war, da wurde er wahnsinnig und mußte weggebracht werden.“

Dies kleine Genrebild ist ein Nachtstück in seiner Art, welches uns den Schrecken und Jammer des Kriegs in einer mitleiderregenden Weise zeigt. Doch auch der frische soldatische Humor und die fröhliche Kampfeslust beleben manche Schilderungen aus jenen Tagen des großen Krieges, denen die Befürchtungen der jüngsten Zeit vor einem neuen blutigen Duell zwischen den beiden Nachbarstaaten ein neues Relief geben.

Hellenisches Mädchen am Brunnen. (Mit Illustration S. 153.) Wir sehen das griechische Alterthum ganz unwillkürlich mehr, als die nüchterne Forschung erlaubt, im Licht seiner Kunstschätze. Die Männer und Frauen sind uns die Modelle jener Bildwerke, welche eine unvergleichliche Schönheit verkörpern. Mag das Volk von Attika ein wenig mehr mit Schönheit gesegnet gewesen sein, als viele andere Völker – wir besitzen Zeugnisse genug, daß es ebenso unter dem Himmel Griechenlands Häßlichkeit gegeben hat, und die breite Mittelschicht wird weder schön noch häßlich gewesen sein, ganz wie überall. Aber das vermag die Kunst: die Schönheit, welche sie schafft, strahlt zurück auf ihren Ursprung, so sehr, daß heute nicht leicht ein Künstler es über sich gewinnen würde, ein Griechenmädchen der alten Zeit anders als schön zu bilden. So wie in unserer Illustration steht die Griechin vor unserer Phantasie: mit dem „klassischen“ Profilschnitt, der kleinen verdeckten Stirn, der einfach kleidsamen Haartracht – den blühenden Leib von der schönfaltigen, schmiegsam leichten Gewandung einer südlichen Zone verhüllt, welche ein „ewig blauer Himmel“ verstattet. Lassen wir dem klassischen Ideal seinen Tempel; es hat eine Welt zur Schönheit erzogen, und der Realismus der Gegenwart würde uns nie zu ersetzen vermögen, was wir verlören, wenn wir eines Tages aufhörten, „das Land der Griechen mit der Seele zu suchen“.

Etwas vom Pferdebestand. Das enge Verhältniß zwischen Roß und Krieger hat im Laufe der Zeit viel von seiner ursprünglichen Bedeutung verloren; aber trotz der Dampfbahnen und des Uebergewichtes der Fußtruppen ist auch heute noch das Pferd ein wichtiger Faktor in der Kriegführung. Kein Wunder darum, daß sich in Zeiten, wo der Friede bedroht erscheint, die Regierungen einzelner Länder durch Pferde-Ausfuhrverbote vor einer Schwächung ihrer Kriegsbereitschaft zu schützen suchen. Nach den letzten uns zugänglichen Viehzählungen beträgt der Reichthum Europas an Pferden etwa 34 Millionen Stück, so daß durchschnittlich etwa 10 Stück auf 100 Einwohner entfallen. Diese Gesammtzahl der Pferde ist jedoch über die einzelnen Staaten sehr ungleich vertheilt. Fast die Hälfte, rund 17 Millionen Stück, nennt Rußland sein eigen. Der Pferdebestand Oesterreich-Ungarns zählt 3 541 860 und derjenige des Deutschen Reichs 3 522 316 Stück; dann folgen Großbritannien mit 2 906 000 und Frankreich mit 2 868 723 Stück. Die übrigen Staaten

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_163.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2023)