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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Sehr bemerkenswerth ist die Oekonomie und Sparsamkeit des Monarchen, so weit es seine Person betrifft. Sie erstreckt sich oft auf kleinste Dinge. Es kennzeichnen dieselben so recht die große Anspruchslosigkeit und Einfachheit seines Wesens. Um die Ausgaben für seine Person einzuschränken, läßt z. B. der Kaiser die Uniformsstücke, sogar die Leibwäsche, ausbessern oder ändern. Er trägt neuerdings mit Vorliebe ältere, ihm jetzt bequemere Kleidungsstücke. Die historischen hellgrauen, großen russischen Kragenmäntel, deren sich der Monarch bei Ausfahrten bedient, sind davon nicht ausgeschlossen.

Der Kaiser verläßt Punkt halb acht Uhr Morgens sein eisernes Feldbett und kleidet sich sogleich vollständig militärisch an. Schlafrock oder Schlafschuhe kennt er nicht. Dann nimmt er das erste Frühstück, Thee, zu sich und begiebt sich an seinen Arbeitstisch, wo er Schriftstücke und die ausgelegten Zeitungen liest, oder schreibt. (In den Journalen werden die den Monarchen besonders interessirenden Stellen roth und in die Augen fallend angestrichen.)

Alsdann kommen die Leibärzte, um nach dem Befinden Seiner Majestät zu sehen, und um zehn Uhr beginnen die Vorträge, die mit militärischen Meldungen abwechseln. In letzterem Falle vertauscht der Kaiser seinen schwarzen Interimsuniformsrock ohne Ausnahme mit dem dienstmäßigen Waffenrock.

Gegen elf Uhr wird das zweite Frühstück gebracht, das der Monarch meist stehend zu sich nimmt. Es besteht gewöhnlich nur aus einem belegten Brötchen und Bouillon, oder einem Glase Madeira oder Portwein. Später arbeitet der Kaiser wieder, hört Vorträge oder ertheilt Audienzen, die sich bis gegen zwei Uhr ausdehnen.

Ist das Wetter schön, dann unternimmt der Kaiser von zwei bis drei Uhr eine Spazierfahrt in Begleitung des dienstthuenden Flügeladjutanten. Später folgen dann wieder Audienzen, und um fünf Uhr wird das Diner eingenommen, auch wenn Einladungen dazu ergangen sind. Abends pflegt der Monarch das Theater zu besuchen mit Vorliebe Oper und Ballett, wo er oft bis zum Schlusse verweilt. Alsdann finden entweder noch größere oder kleinere Gesellschaften in den Gemächern der Kaiserin statt, oder der Kaiser bleibt Abends in seinem Arbeitszimmer und schreibt oft noch anhaltend und viel. Es ist kaum möglich, sich eine Vorstellung zu machen, welch überaus große Arbeitskraft der Monarch bei seinen hohen Jahren besitzt. Derselbe schreibt seine Privatkorrespondenzen meist allein, womöglich auch wohl dienstliche Erlasse oder dergl., so daß oft zwei Kopisten vollauf zu thun haben, um des Kaisers Arbeiten zu bewältigen.

Um den greisen Herrscher vor Erkältungen zu bewahren, war auf dringendes Anrathen der Aerzte das Arbeitszimmer aus der kälteren Ecke in das Vorzimmer verlegt worden. Der Monarch hat aber darauf bestanden, wieder zu dem historischen Eckzimmer zurückzukehren.

Sind keine größeren Festlichkeiten oder Gesellschaften bei den Majestäten, so begiebt sich der hohe Herr regelmäßig um halb elf Uhr zur Ruhe und das Tagewerk ist vollbracht.

So vollzieht sich das Leben des Kaisers alle Tage in Arbeit und Berufstreue!

Die einzige Veränderung, die sich in dem Wesen des bejahrten Monarchen neuerdings bemerkbar gemacht hat, ist eine größere Schweigsamkeit. Früher betheiligte sich derselbe mit besonderer Vorliebe auch einmal an den leichteren, mit Scherz vermischten Gesprächen und flocht in seiner trockenen Weise selbst launige Bemerkungen bei. Auch jetzt ist der Sinn für den Humor in ihm nicht erloschen, aber er greift jetzt seltener in derartige Konversation mit ein.

Wenn sich ihm Personen seiner Umgebung vordem mit Wünschen oder Bitten nahten und mit zaudernder Vorrede um die Erlaubniß baten, noch etwas vortragen zu dürfen, bediente sich der Kaiser häufig einer Berliner Redensart, die schon durch die Fassung und durch den ermunternden Ton eine halbe Gewährung enthielt. „Na, denn schießen Sie ’mal los!“ erwiederte er launig und lehnte sich horchend zurück.




Blätter und Blüthen.


Die Wiege des Kaisers.

Die Wiege des Kaisers. Wahrhaft große Menschen sind für immer von einem Strahlenkranz umgeben, die Stätten, welche sie betraten, „eingeweiht“, und die Personen und Gegenstände, welche zu ihnen in Beziehung gestanden, nehmen Theil an der Verehrung, die jenen gezollt wird. Die unscheinbarsten Gegenstände sind es oft, die deßbalb pietätvoll aufbewahrt werden. Der erhabenen Persönlichkeit halber, die vor nunmehr neun Jahrzehnten im damaligen und auch gegenwärtig wieder kronprinzlichen Palais in Berlin in der einfachen Wiege geruht, von welcher wir heute eine Abbildung bringen, ist uns auch diese ein Gegenstand von unschätzbarem Werthe. Und zugleich tritt noch ein anderes Bild als das des jungen Prinzen, der eine Leuchte des Vaterlandes werden und die Kaiserkrone tragen sollte, vor unsere Augen und erhebt Anspruch auf Verehrung: an der Wiege des Prinzen Wilhelm war der schönste Platz der edelsten aller Frauen, der Platz der Königin Luise, deren treues Mutterauge auch den Schlummer des Lieblings überwachte. * *     

Eine Revue Kaiser Wilhelm’s vor siebenundsechzig Jahren in Luxemburg. In einem vergilbten Familienbrief eines preußischen Officiers in Luxemburg wird von einer Revue erzählt, welche unser greiser Heldenkaiser, damals ein Prinz von 22 Jahren, kurz zuvor über die in der damaligen Bundesfestung Luxemburg stehenden Truppen abgehalten: eine Schilderung, die heute noch von Interesse sein dürfte. Der Premierlieutenant Hübner gedenkt des Ereignisses in nachstehenden schlichten Worten:

„Prinz Wilhelm, zweiter Sohn unseres geliebten Königs, hielt den 16. und 17. Oktober (1819) Revue über unser Regiment und die übrige Garnison. Wir haben seine ganze Zufriedenheit und sein höchstes Lob davongetragen; der Prinz war sowohl mit der Propreté, als mit allen Evolutionen völlig zufrieden. Er hat ganz den väterlichen Ernst und mit seinem Kennerauge sah er jeden Einzelnen; ihm entging nichts. Wohl dem Vaterlande, wo solche Stützen um den Thron versammelt sind!“

So der Briefschreiber, der längst verstorben, während jener Prinz Wilhelm erst jüngst nach nahezu sieben Jahrzehnten als deutscher Kaiser unter dem Jauchzen und Frohlocken der Bevölkerung der wiedergewonnenen Reichslande Elsaß und Lothringen die Besichtigung ihrer Heerscharen abhielt.

König Wilhelm 1861. Das Portrait (S. 188) des jetzigen Kaisers aus der Zeit, wo er die Regierung antrat, ist nach den zwei besten Photographien, welche er damals für diesen Zweck empfohlen hatte, auf den Stein gebracht worden. Dem Künstler, Herrn Ernst Milster, bewilligte der König zwei bis drei Sitzungen, in denen er das Bild nach dem Leben zeichnete, auch gab der Monarch seine Unterschrift dazu. In voller Manneskraft und Mannesfrische ergriff damals der König die Zügel der Regierung: jetzt blickt der greise Monarch auf eine ruhmvolle Zeit zurück, deren glänzende Erfolge in erster Linie seiner Energie, seinem Muth, seinem unerschütterlichen Pflichtgefühl zu danken sind. Damals ahnte er wohl nicht, daß er ein einiges Deutschland schaffen und sich die Kaiserkrone aufs Haupt setzen werde. Doch ein Dichterwort spricht es aus: „In Deiner Brust sind Deines Schicksals Sterne“, und dort leuchteten sie schon damals dem Herrscher für den Ruhm der Zukunft. †      

Berlin am Geburtstage des Kaisers. Selbst die Hauptstraßen der größten Weltstädte haben für den Beschauer auf die Länge ein einförmiges Gepräge. Ausnahmen von dieser Gleichartigkeit des Lebens und Treibens sind aber nicht selten, und eine solche bildet in Berlin der Geburtstag des Kaisers Wilhelm. Schon die Häuser haben an diesem Tage einen anderen, festlichen Charakter. Bunte Fahnen wehen berab von jedem Dach, ein reges Treiben macht sich bemerkbar in den Unter den Linden belegenen Hôtels. Fremde, Vergnügungslustige, hohe Herrschaften und Fürstlichkeiten aus dem ganzen Reiche sind herbeigeeilt, und wenn nun die Stunden kommen, in denen der Monarch die Glückwünsche zu empfangen pflegt, ist das Palais umlagert von Tausenden, welche herbeigeeilt sind, um das fesselnde Bild zu schauen. Unzählig sind die Karossen und Equipagen, welche die Rampe des kaiserlichen Palais hinaufrollen. Da präsentirt die Garde links und rechts; die Jäger springen herab, Prinzen und Fürsten steigen aus und die Dienerschaft öffnet die Thüren. Und so fort! Stundenlang bleibt das vielseitige, wechselnde Bild. Auf dem Palais flattert die kaiserliche Hausfahne. Aus den Fenstern der Häuser und Paläste schauen Hunderte, so weit die Linden sich dehnen, und drunten wogen Tausende in festlicher Stimmung. Nun zeigt sich der Monarch am Fenster! „Der Kaiser! Der Kaiser!“ ertönt es. Die Köpfe recken sich, die Neugierigen drängen sich zusammen. Und jetzt dringt aus den Kehlen ein nicht endendes, brausendes Hoch! Besondere Bewegung entsteht, wenn die Mitglieder des königlichen Hauses anfahren. Jeder will den Kronprinzen, den Prinzen Wilhelm sehen. Sechsspännig, mit feurigen Rappen fahren die Hofequipagen heran. Nun sind es gar 90 Jahre geworden, die des greisen, erhabenen Monarchen Scheitel decken. Kaum war wohl ein Sterblicher in seinem Wirken so berechtigt, das Dichterwort auf sich anzuwenden, wie Kaiser Wilhelm: „Die Arbeit, die uns freut, wird zum Ergötzen!“ – Ja! Er kannte nur Pflicht und Arbeit, und sie ward zum Ergötzen ihm und Millionen!

Tiroler im Elsaß. Bisweilen bereiten unsere Nachbarn jenseit des Rheins uns unerwartete Ueberraschungen. Da bringt ein illustrirtes Blatt „La France illustrée“ ein Bild, welches uns eine Gruppe von Landleuten zeigt, die einen Toast ausbringen, und schreibt darunter: „Im Elsaß. Ein Toast auf Frankreich!“ In dem Text zur Illustration wird hervorgehoben, es sei kein Wunder, daß die Elsässer einen solchen Toast ausbringen, wegen der erdrückenden Militärlasten, welche das Deutsche Reich ihnen aufgebürdet – und der Abgeordnete Winterer wird mit seiner Erklärung dafür ins Feuer geführt.

Sehen wir aber näher hin: wen erkennen wir in diesen guten Elsässern wieder? Die Tiroler Defregger’s; es ist ein Bild unseres deutschen Meisters, „Zur Gesundheit“, welches sich das französische Blatt annektirt hat, um daraus Kapital zu schlagen für seine chauvinistischen Bestrebungen. Eine derartige Anleihe bei der deutschen Kunst, um die Bestrebungen der

Patriotenliga zu unterstützen, gehört allerdings zu den merkwürdigsten

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