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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

lächelnd und das Glas im Auge, der jungen Frau nachschaute. Es mochte wohl etwas Besonderes in dem Blick des Hausherrn liegen; das Lächeln auf Rostau’s Gesicht verschwand; er rückte sich etwas höher in seinem Stuhle und begann wieder mit der Schnur des Monocle zu spielen.

„Weber, was macht Ihre famose Kegelbahn?“ fragte einer der Officiere, „wie wär’s mit einem Partiechen?“

„Ich bin gern bereit, meine Herren, warten Sie nur einen Augenblick; wenn ich nicht irre, ist Herr Rostau im Begriff aufzubrechen. Ich möchte ihn nur noch in seinem Wagen sehen, dann –“

„Allerdings deutlich!“ sagte Rostau lachend und wurde um eine Schattirung fahler.

„Es freut mich, daß Sie verstanden haben,“ erwiederte Weber, und dem Diener, der eben eintrat, zurufend: „Herr Rostau wünscht seinen Wagen!“ wandte er sich an die völlig verdutzten Officiere: „Es wird mir eine Ehre sein, die Herren mit meinem Geschirr nach E. zu fahren, wie es mir stets eine große Freude sein wird, Sie zu sehen wenn Sie – ohne diesen Herrn mein Haus besuchen.“

Eine unangenehme Pause trat ein, die bestürzten Gesichter schauten Weber fragend an.

„Es ist hier nicht der Ort, meine Herren, zu näheren Auseinandersetzungen; ich muß Sie auf später vertrösten.“

„Der Ansicht bin ich auch,“ schnarrte Rostau, die Handschuhe mit Seelenruhe zuknöpfend. „Ich denke, Sie werden meinem Sekundanten Aufklärung geben, mein Herr.“

„Mit größtem Vergnügen!“

„Auf Wiedersehen!“ Im nächsten Augenblick war Rostau verschwunden.

„Er hat stark getrunken, Herr Weber,“ entschuldigte ihn einer der Officiere, während ein zweiter Rostau nacheilte.

„Er ist ein Verleumder! Ein Unverschämter!“ erwiederte Weber.

„Es war allerdings sein Benehmen der gnädigen Frau gegenüber etwas unbegreiflich; ich saß wie auf Kohlen,“ sprach der Andere. „Verzeihen Sie, bester Herr Weber, daß wir – es war eine tolle Laune von uns.“

„Bitte sehr! Wollen Sie nicht Platz nehmen?“ Er klingelte und hieß die Kegelbahn zum Spiel bereit machen. Dann schritt er hinüber in das kleine lauschige Boudoir Hortense’s. „Schieben Sie Kegel, Röder? Wir sind eben im Begriffe, hinunter zu gehen.“

Der Hauptmann empfahl sich den Damen und folgte dem Hausherrn.

„Darf ich mich Ihnen zur Verfügung stellen, Weber?“ fragte er und nahm die Cigarre, die ihm dieser präsentirte.

„Ich wollte Sie darum bitten.“

„Wie wurde es?“

„Ich warf ihn einfach hinaus.“

„Unverschämter Bursche!“ murmelte der Hauptmann. „Denken Sie, Weber, Ihre Frau Gemahlin glaubte, daß ich mit Rostau gekommen sei –. Ich habe sie dabei gelassen; es wird ihr weniger auffallend sein; sie darf keinesfalls eine Ahnung haben. Wie?“

„Durchaus nicht!“ rief Weber. „Es ist doch merkwürdig, Röder, daß heute, wo ich mit Ihnen überlegte, wie ich den Gentleman am besten fassen könnte, er hier angegondelt kommt!“

„Also Pistolen, Weber?“

„Selbstverständlich! Alles Uebrige überlasse ich Ihnen. – Lieutenant von Weißkirchen ist mit ihm gefahren,“ bemerkte Weber und blickte, mit dem Hauptmann über den nassen Kies des Gartens kommend, zu der eleganten Kegelbahn hinüber, wo nur zwei Officiere standen, leise das Geschehene besprechend. Bald rollten die Kugeln über die glatte Bahn, und die Stimme des kleinen Pferdeburschen, der als Kegeljunge fungirte, rief laut die Anzahl der Gefallenen.

(Fortsetzung folgt.)




Der Gehirnschlag und seine Folgen.
Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch in Prag-Marienbad.

Als „Gehirnschlag“ bezeichnet man seit alter Zeit jenen krankhaften Vorgang, durch welchen der wunderbare Apparat unseres edelsten Organes, von dem alle Seelenthätigkeit, jegliches Wahrnehmen und Denken, Vorstellen und Ueberlegen, Wollen und Empfinden, die willkürliche und unwillkürliche Bewegung beherrscht wird, mit einem Male ganz plötzlich vernichtet oder mindestens in seinem feinen Getriebe wesentlich gestört wird. In der That spielt sich dieser Vorgang zuweilen so unerwartet und so rasch ab, als ob die betreffende Person von einem Schlage getroffen würde. Scheinbar vollkommen wohl sich befindend, inmitten seiner gewohnten Beschäftigung, stürzt das Individuum, einen Schrei ausstoßend oder auch nur tief seufzend, zusammen und ist, ehe man ihm noch die geringste Hilfeleistung zu bieten vermag, todt. Zuweilen ist der Ausgang kein ganz so furchtbarer. Der plötzlich Zusammengestürzte ist nicht todt, sondern nur bewußtlos, und nach kürzerer oder längerer Zeit qualvoller Erwartung für die nächste Umgebung bekundet er Zeichen wiederkehrenden Bewußtseins – aber welche Veränderung ist während dieser Stunden oder Tage eingetreten! Die Gedanken sind unklar und verwirrt, die Zunge ist schwerfällig, die Sprache undeutlich, das Gesicht schief verzogen, die eine Körperhälfte gelähmt; Arm und Bein dieser Seite versagen den Dienst. Der bis vor dem Anfalle blühend aussehende Mann, dessen Körperkraft vielleicht allgemein beneidet, dessen scharfer Geist und sprühender Witz vielfach bewundert wurde, ist nun nach jeder Richtung gebrochen, hilflos, elend, ein bemitleidenswerthes Beispiel für die Hinfälligkeit der menschlichen Maschine.

Was hat die plötzliche Wandlung zu Wege gebracht? Ein kleines Blutgefäß des Gehirns oder seiner Häute ist geborsten; ein Bluterguß hat stattgefunden, und der Blutherd wirkt durch seinen Druck vernichtend oder störend auf die betroffenen Hirntheile … Die Forschung der Physiologen, unterstützt von den höchst wichtigen Experimenten am lebenden Thiere, hat nun nachgewiesen, daß nicht alle Hirnstellen gleiche Bedeutung und gleichen Werth für die Gehirnfunktion haben, und darum hängt von der Oertlichkeit des Blutherdes die Art der Störung ab, die er in seinem Gefolge mit sich bringt. Es ist jetzt sichergestellt, daß Verletzungen bestimmter Theile des Gehirnes ganz bestimmte charakteristische Störungen hervorrufen.

Wenn man niedere Wirbelthiere ihres Großhirnes beraubt, so büßen dieselben die Fähigkeit ein, willkürliche und solche unwillkürliche Bewegungen vorzunehmen, welche eine Folge von Sinneswahrnehmungen und Vorstellungen sind, vermögen aber jene Bewegungen zu vollziehen, deren Mechanismus von den niederen Hirntheilen und dem Rückenmarke ausgelöst wird, wie Gehen, Springen, Fliegen, Putzen der Federn etc. Ein Frosch, dem man das Großhirn herausgenommen hat, bleibt in stoischer unstörbarer Ruhe auf einem Flecke sitzen; nichts kann ihn aus dieser Ruhe herausbringen, kein Haschen mit der Hand, kein lautes Geräusch, kein Schwirren von Insekten, die sich dicht an ihn heranwagen. Nur wenn man ihn faßt, schlägt, sticht, macht der großhirnlose Frosch passende abwehrende Bewegungen, kriecht oder springt davon, um jedoch bald wieder seine Ruhestellung einzunehmen. Eine Taube, welche des Großhirnes beraubt wurde, steht gleichfalls in unverrückt ruhiger Haltung auf ihrem Platze, den Kopf zwischen den Flügeln eingezogen, und läßt sich aus dieser Ruhe weder durch die sie bedrohende Hand bringen, noch durch die nahende Gefahr in Gestalt eines Hundes oder einer Katze, aber auch nicht durch vorgeworfene Erbsen hinweglocken. Schlägt man eine solche Taube, so macht sie Gehbewegungen; wirft man sie hoch in die Luft, so fliegt sie schräg geradeaus.

Auch bei niederen Säugethieren, wie Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten, ist es mittelst ähnlicher Versuche durch Entfernung des Großhirnes gelungen, den Nachweis zu liefern, daß dieses letztere der Sitz aller Seelenthätigkeiten ist. Höhere Säugethiere vertragen nicht den Eingriff der vollkommenen Beraubung des Großhirnes, und die Versuche an ihnen mußten sich auf Entfernung einzelner Theile des Gehirnes beschränken. Da zeigte es sich nun, daß die Entfernung eines gewissen Hirntheils stets Störung eines bestimmten Sinnes zur Folge hat. Wird ein bestimmter Abschnitt an beiden Hälften der Großhirnrinde des Hundes, welche man die Sehsphäre nennt, entfernt, so erblindet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_204.jpg&oldid=- (Version vom 9.11.2023)