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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


„Brrr! im Januar!“ rief Mühüller.

„Perkisch, nimm nur, ich weiß schon, es giebt nirgends –“

„– in Berlin eine bessere Cigarre!“ fiel Perkisch im Ton des Recitativs ein. Er raffte unter dem Deckmantel dieses Duetts, das der pedantische Belzig bei der Cigarre seit Jahren mit ihm intonirte, ein ganzes Päckchen aus den drei Kisten zusammen. Er wußte sich für seine Toaste schadlos zu halten!

Bald, mitten in einer Rossi-Begeisterung, die sich der Gesellschaft bemächtigt hatte, brach man auf.

„Was, Sie haben Rossi noch nicht gesehen, Herr Lieutenant?“ fuhr Melitta in das Gespräch des Generalstäblers mit einer ältlichen Dame, einem gleichgültigen Lückenbüßer der Gesellschaft, herein – „Sie müssen Rossi sehen! Sie können sich nirgends mehr zeigen, ohne ihn gesehen zu haben.“ Sie war ganz Feuer und Begeisterung.

„Ich bin augenblicklich sehr beschäftigt,“ antwortete Eff, mit einem tiefen Athemzug die Schultern hebend. „Ich stecke in einer wichtigen Arbeit, und ich muß sogar die Nächte zu Hilfe nehmen. Ich hätte Rossi sehr gern gesehen.“

Er fügte das mit Nachdruck hinzu, seine Augen in die ihren versenkend.

„O wie schade!“ sagte Frau Belzig, die Mittheilung aufgreifend; sie war mit einer auffallenden Hast herzugerauscht. „Wir haben einen Platz in unserer Loge frei und hofften, wir würden die Ehre haben, mit Ihnen den Abend zu verbringen.“

Es war die kalte Phrase, mehr eine Abwehr, daß er sich ja nicht in seiner Arbeit stören ließe. Der Platz war ja längst für einen Andern bestimmt.

„Rossi ist einzig! Rossi ist entzückend!“ rief Melitta, und ihre Herzensangst vibrirte durch die Worte. Ihre Augen flehten Eff an – ohne ihn wird Rossi entsetzlich, ganz fürchterlich sein!

Der Lieutenant dankte höflich für die Einladung.

„Ja, diese Herren vom Generalstab! Alle möchten sie natürlich gern Moltkes werden!“

Und Frau Belzig rauschte davon, auf Lolo zu, die sich mit dem Grafen unterhielt. Dieser mochte ein neues, noch nicht gebrauchtes Register seines Unterhaltungsrepertoires aufgezogen haben, wenigstens schien sich seine Zuhörerin köstlich zu amüsiren, und in der glitzernden Lebhaftigkeit ihres frischen Gesichtes, das in seiner Rundlichkeit mehr als das Melitta’s dem der Mutter ähnlich war, sah sie besonders lieb, fast pikant aus. Nein, nein, sie brauchte keine Furcht zu haben, daß Jemand sie nur des Geldes wegen zur Frau begehrte!

Und der Graf, wenn er nicht seine müden, greisenhaften Momente hatte und sich auch körperlich aus einer gewissen Gebeugtheit aufrichtete, war wirklich keine üble Erscheinung. Er hat gelebt, er hat seine Vergangenheit – nun, das giebt die besten Ehemänner. Seine Rosaröthe, sein Lächeln, die naive grelle Bläue seiner vorstehenden Augen: das Alles bürgt dafür, daß ihn diese Vergangenheit nur oberflächlich gestreift. Nein, nein, gewiß, wenn man ihn acceptirt, und er scheint sich ernstlich für Lolo zu interessiren, so geschieht es nicht um das dumme Ding einer neungezackten Krone …

Gleich darauf sah man den Grafen Nachewski ein Kompliment machen, das eine Annahme der nunmehr an ihn gerichteten Einladung bedeuten mußte. Und Lolo erröthete verlegen.

„Bravo, bravo! Nun natürlich!“ erläuterte halb für sich Lieutenant Mühüller, der die Scene verfolgt hatte.

Perkisch schmunzelte, auch das entging Mühüller nicht.

„Na natürlich! Sie beißen auf seinen Grafen an!“

Frau Belzig war ganz glücklich, und die Reflexe und Lichter ihres Gefühles hörten den ganzen Abend hindurch nicht auf von diesem Glück zu erzählen. Von all den Besuchern der heutigen Rossi-Vorstellung leuchtete wohl keinem die Begeisterung für den großen Mimen heller aus dem Antlitz als ihr, deren Loge vorn mit einem leibhaftigen Grafen und zwei „bildschönen“ Töchtern garnirt war. Nach dem ersten Akte waren drei reizende Bouquette, die den süßen Duft der Gardenia verbreiteten, in der Loge abgegeben worden. Von ihm, ihrem erlauchten Gast? Nun, er war doch selbst ein wenig überrascht! Es war ein kleiner hübscher Trumpf, den Perkisch für des Grafen Rechnung ausgespielt. Perkisch ist vorzüglich, er kennt seine Belzigs, und er kennt seinen Grafen, der in seiner unbegreiflichen Sorglosigkeit jedenfalls diese wichtigen Bouquette vergessen hätte.

„Belzig, so applaudire doch!“

Es klang fast, als lüde Frau Belzig ihren Gatten ein, daß er ihr selbst applaudiren möchte. Dieser saß da und brütete jedenfalls, während die italienischen Tiraden Rossi’s sein Ohr betäubten, über einer geschäftlichen Unzerreißbarkeit.

„Ausgezeichnet! Bravo! bravo!“ fuhr er zerstreut empor. Mußte er nicht im Stillen eingestehen, daß nur sie es war, die den Salon Belzig glanzvoll zu dekoriren verstand mit Namen, Titeln und Epauletten, darunter ein paar Generalsepauletten, ja nun gar mit einer Grafenkrone? Ohne ihre rastlosen Bemühungen und ihre fieberhafte Wachsamkeit wäre die „unzerreißbare Firma“ in ihrem Golde erstickt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, so hätten die Thürpfosten ihrer Wohnung nicht ausgereicht für die anlehnende Pose des langweiligen, langmähnigen Litteratenpacks, und er wäre im Stande gewesen, die Mädchen, diese geborenen Prinzessinnen, an einen honorargierigen Belletristen oder an ein übergediegenes Firmenschild mit Kompagnie und dergleichen zu vergeben.

„Applaudiren, Belzig!“

Ja, nun war es genug und völlig abgethan mit jener Redensart, die sie seit zwanzig Jahren stets wie eine Legitimation bei sich getragen. „Bei uns (sie meinte das Haus ihres Vaters, eines Bürgermeisters in einer kleinen niederrheinischen Stadt) verkehrte das ganze …te Husarenregiment, der Kommandeur, ein Graf von Soundso, an der Spitze.“ Bah, sie wollte sich auch nicht mehr darüber ärgern, daß der Lithograph hartnäckig das „van“ in dem „geborene van Schülpchen“ auf ihren Visitenkarten in ein „von“ umwandelte. Wegen eines elenden Vokals!

„Bravo, bravo, bravo!“ rief Belzig, da Rossi eben seinen Abgang hatte, in jenem plärrenden Staccatotempo, das er in einem italienischen Theater gehört.

(Fortsetzung folgt.)




Die Franzosen in der Schweiz.

Eine historische Erinnerung aus der Zeit der großen Revolution.
Von O. Henne am Rhyn.

Eine jener geschichtlichen Unwahrheiten, wie sie oft von ganzen Völkern geglaubt und als unumstößlich richtig angenommen werden, ist auch die in der Schweiz weitverbreitete Ansicht, als ob die Franzosen mit diesem Lande stets im besten Einvernehmen gestanden, ihm nichts als Gutes und Wohlthätiges erwiesen, so als ob sie ihm eigentlich die vorher abhanden gekommene Freiheit gebracht hätten. Dieser falschen Ansicht gegenüber schlagen wir die Bücher der Geschichte auf und finden darin gar Manches, was geeignet wäre, jene „uneigennützigen Bringer der Freiheit“ in einem wesentlich andern Lichte erscheinen zu lassen, als dem, in welchem sie bei einer Menge wohlmeinender, aber in der Geschichte nicht besonders bewanderter Leute stehen. Daß die verrotteten Verhältnisse der Schweiz, wie sie im 17. und 18. Jahrhundert bestanden, auch ohne einen Einfall der Franzosen in das Land eine Verbesserung erfahren hätten, und zwar, wenn auch eine langsame, doch eine natürliche, maßvolle, welche spätere Reaktionen erspart hätte, kann jetzt keinem Zweifel mehr unterliegen.

Allerdings läßt sich nicht leugnen, daß hierzu die französische Revolution von 1789 einen Anstoß gab, dessen Wirkungen unverkennbar sind, allein von diesem Anstoße bis zu einem Raub- und Mordanfalle, wie er 1798 von einem Nachbarvolke gegen ein anderes verübt wurde, ist noch ein weiter und keineswegs nothwendiger Schritt. Jedenfalls war es ein verhängnißvolles Unternehmen der schweizerischen Emigranten, die Hilfe Frankreichs herbeizurufen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_220.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)