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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Die junge Frau trat mit unsicheren Schritten zur Glocke; dann folgte sie stumm dem Mädchen in ihr Zimmer. „Ich komme mir so schlecht, so grenzenlos schlecht vor,“ flüsterte sie.

„Warum, Hortense? Sieh, ich könnte ja hier bleiben. Ihr habt es mir so freundlich angeboten! Daß ich gehe, ist mein freier Entschluß. Lebe wohl!“ Sie schluckte herzhaft die Thränen hinunter. „Die Sachen – Du läßt sie mir wohl nachschicken? Werde nicht krank, Hortense, Du siehst so blaß aus. Wenn Du mich einmal brauchst – es kann ja sein – Du weißt, ich komme. Hier, ich hätte es fast vergessen, die Schlüssel, Deine Schlüssel. Kannst Du mir verzeihen, daß ich – es war nur das Verlangen, Dir nützlich zu sein.“

Sie war die Treppe hinunter geschritten; der Wagen hielt vor dem Portal, derselbe, der sie einst hierher gebracht.

Hortense sprach nicht mehr; sie mußte die Lippen zusammenpressen, um nicht vor den Dienstleuten laut aufzuschluchzen.

„Ich werde Deinen Großpapa gut pflegen,“ sagte Lucie und ihr blasses Gesichtchen bog sich noch einmal aus dem Wagen zu ihr hinunter; noch einmal drückten sich Mund auf Mund, Hand in Hand; dann zogen die Pferde an und der Wagen rollte durch den Park.

Hortense wandte sich und flog die Treppe hinauf und weinte am Halse ihres Mannes; es war als könne sie nicht aufhören. Es weint sich so süß ein Kummer aus, wenn man ein sicheres großes Glück besitzt.

Lucie weinte nicht, während sie in den sinkenden Abend hineinfuhr. Auf der ganzen weiten Welt hätte sie kein einziges Herz gewußt, bei dem sie sich ausweinen durfte, keines.

(Fortsetzung folgt.) 




Im Lenz.

(Zur Kunstbeilage dieser Nummer.)

Die Höhen umwebt ein blauer Duft,
Die Thäler durchfächelt mild die Luft;
Es knospet und treibt mit stiller Macht –
Der Lenz ist gekommen über Nacht:
Es flüstert im Walde, es blüht im Hag,
Und Glocken verkünden den Ostertag.

Das Dörfchen ruht noch wie im Traum,
Doch ringsum grünt es an Strauch und Baum,
Und die Zweige klopfen ans Fensterlein
Und nicken in dumpfe Stuben hinein:
Und Menschenherzen, auf, erwacht,
Die Lerche singt, die Sonne lacht!

Die Blumen sind da und das Osterfest!
Verjaget die Sorgen und vergeßt
Des Lebens Mühe, des Winters Qual!
Das predigt der Frühling im blühenden Thal
Und hat seine Kirche sich gebaut,
So weit nur immer das Auge schaut.

Da drängen die Kinder zuerst hinaus
Aus engem, winterlichem Haus;
Sie springen so fröhlich im luft’gen Gewand
Und reichen dem Lenze die kleine Hand;
Sie pflücken Blüthen im Sonnenschein
Und schauen so hell in die Welt hinein.

O folge still deines Kindes Spur
Und schmiege dich fromm ans Herz der Natur!
Was dich auch quält, verzage nicht,
Thu’ auf deine Seele dem Sonnenlicht!
Dann fühlst du in blühender Lenzeszeit
Des Kindes Osterseligkeit.  Anton Ohorn.




Allerlei Nahrung.

Gastronomisch-naturwissenschaftliche Plaudereien. Von Carl Vogt.
III.0 Muschelthiere.[1]

Könige reisen nur selten ohne Gefolge und auch nur dann, wenn sie in Folge von Niederlagen und Revolutionen froh sein müssen, mit heiler Haut davonzukommen. Königinnen haben wenigstens eine treue Kammerfrau mit sich, welche bei strengster Wahrung des Inkognito mit einem Billett zweiter Klasse reist, während die Herrin in einem Koupé erster Klasse Platz nimmt.

Die Auster ist die Königin unter den Muschelthieren, wenn es sich um materielle Genüsse handelt, die Miesmuschel ist die plebejische Kammerfrau, die ihre Herrin in zweiter Klasse begleitet. Sie kommt nicht so weit wie die Auster, wird weniger gern und nur in ganz besonderer Toilette zu festlichen Tafeln beigezogen, behauptet aber ihren Rang an dem Tische des zweiten und dritten Standes, ganz besonders in ihrem heimathlichen Gebiete.

Die Miesmuschel ist nicht sehr wählerisch in Bezug auf ihren Wohnsitz. Sie steigt aus dem Meere in das Brackwasser, ja in fast ganz süßes Wasser hinan: sie siedelt sich sogar über der Grenze der Ebbe an, so daß sie täglich mehrere Stunden auf dem Trockenen liegt, und kümmert sich wenig um Sand, Schlamm und Schlick, obgleich sie reines und ganz besonders bewegtes Wasser vorzieht. Mit ihren Byssusfäden, die sie aus einer Drüse neben dem Fuße spinnt, legt sich die Miesmuschel förmlich vor Anker und bietet den heftigsten Strömungen Trotz. An den Küsten des Kanals wie an denen Schottlands und Norwegens kann man Stellen genug finden, wo bei dem Anprallen der Fluthwellen wie bei dem Rückzüge der Ebbe die Gewässer sich tosend zwischen Felsen durchdrängen, die über und über mit Miesmuscheln bedeckt sind. An vielen Küsten sieht man bei Ebbe meilenweit einen dunklen violetten Saum sich erstrecken: es sind dicht zusammengedrängte Miesmuscheln, die sich unmittelbar unter der Fluthgrenze angesiedelt haben; bei Bergen in Norwegen sah ich seichte Uferbecken, welche bei der Fluth sich mit Meerwasser, bei der Ebbe mit süßem Wasser füllten und deren Boden mit Miesmuscheln gepflastert war.

Ueberall, von Inverneß in Schottland und Ellerbeck in der Kieler Bucht bis nach Otranto und Triest sehen wir dieselben Einrichtungen zum Fange und zur Züchtung der Miesmuscheln, deren man sowohl zur Nahrung, als auch zu Ködern für den Fischfang benöthigt. Seebarsche, Knurrhähne und Schellfische beißen am liebsten an Angeln, welche mit den orangegelben Körpern der Miesmuscheln angeködert sind. Die Küstenbewohner haben ihre Züchtungsmethode der Thatsache abgesehen, daß die Miesmuscheln sich überall ansetzen, an Felsen wie an Holzpflöcke, ja selbst an schwimmendes Holz, an Landungsbrücken, Dammverschalungen und Flöße. Die „Muschler“ rammen Pfähle ein, die sie mit Reisig bekleiden, oder Bäume mit Aesten und Zweigen, verbinden dieselben wohl auch, wie bei Otranto, mit Seilen aus Spart gedreht und warten ruhig drei bis vier Jahre, bevor sie diese so einfachen Fangmaschinen ausziehen und ablesen. Die schwimmenden Larven der Miesmuscheln setzen sich an diese Fänge, wachsen und gedeihen, bis sie marktfähig sind. Die ganze Arbeit der Miesmuschelfischer beschränkt sich also auf das Einrammen und Ausziehen ihrer Faschinenpfähle – alles Uebrige wird der Natur überlassen. Der Austernzüchter hat dagegen beständig mit Reinigen, Umlegen und Bewirthschaftung seiner Parks zu thun; der Auster haftet demnach, abgesehen von ihrer inneren Vortrefflichkeit, ein gewisses Quantum menschlicher Arbeit an, das in dem Preise seinen Entgelt finden muß. Dagegen stellt sich die Miesmuschel in Beziehung auf den Transport weit vortheilhafter; ihre Schalen, die eben so werthlos sind wie die Austernschalen, sind weit dünner und leichter als diese. In einem Centner Miesmuscheln findet sich gewiß doppelt so viel lebende Substanz, wie im gleichen Gewichte Austern.

Ich wüßte nicht, daß die Miesmuscheln so wie die Austern lebendig ohne weitere Zubereitung verzehrt würden. Bei meinen vielfachen Exkursionen im Mittelmeere, an den Küsten des Oceans, des Kanales und der Nordsee schlürften meine Matrosen behaglich die Felsenaustern oder boten sie mir als Leckerbissen an, aber die Miesmuscheln sammelten sie nur, um sie nach Hause zu bringen und dort zubereiten zu lassen. Selbst in Otranto, wo die „Cozze nere“ genannten Muscheln einen Hauptbestandtheil der Volksnahrung ausmachen, werden sie nicht roh verspeist. Dagegen finden sie massenhafte Verwendung entweder in selbständiger Zubereitung, geschmort und lebhaft gewürzt mit Zwiebeln und spanischem Pfeffer oder als Zuthaten bei gewissen Gerichten. Eine „Sole normande au gratin“, der Triumph der Zubereitung einer Seezunge, ist ohne reichliche Beigabe von Moules fast undenkbar. Die Miesmuschel verleiht dem ganzen Gerichte einen feinen, würzigen Duft, der sich weder durch Austern, noch durch Crevetten ersetzen läßt, so anerkennenswerth diese auch sonst sein mögen. Schade, daß die Miesmuschel zuweilen ein gefährliches Gift beherbergt, dessen Wirkungen man wohl kennt, dessen Natur aber noch nicht enträthselt ist. Das Gift entwickelt sich nicht erst nach dem Tode; es steckt in der anscheinend ganz gesunden und lebensfrischen Muschel. Eine todte, verdorbene Auster, die ihre Schalen geöffnet hat, ist das Schrecklichste, was der Mensch in den Mund bekommen kann; sie macht Ekel, Erbrechen, vergiftet aber nicht und verräth sich augenblicklich durch Geruch und Geschmack. Die giftige Miesmuschel riecht und schmeckt wie die andern; sie verräth sich erst, wenn es zu spät ist, durch ihre Wirkung, die ich an mir selbst kennen gelernt habe.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_233.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)