Seite:Die Gartenlaube (1887) 313.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Das Scherenrecht.

Erzählung von Otto Sigl. 0 Mit Illustrationen von J. Watter.
(Schluß.)

Benigna sowie die Aebtissin waren sehr im Irrthum befangen, als sie meinten, der romantische Verbrecher sei der Justiz des Stiftes verfallen und mit Hilfe des ergebenen Kanzleidirektors würde sich seine Befreiung ermöglichen lassen. Bald stellte sich heraus, daß Werner außer der Gerichtsbarkeit des gefürsteten Stiftes stand. Der Garten, in dem der Raubanfall vorgefallen, war zwar durch Kauf Privateigenthum des Klosters geworden, aber unter der Territorialhoheit der Reichsstadt verblieben. Je unbedeutender damals ein Gebiet war, desto eifersüchtiger wachte es über die Ausübung seiner Hoheitsrechte, als deren vornehmstes das Malefizrecht galt. So beeilte sich denn die Obrigkeit der Stadt, beim Kanzleidirektor Dominikus Fernhaber den im Stiftsgefängniß verwahrten Uebelthäter zu reklamiren. Herr Dominikus mußte, so ungern er auch den denkwürdigen Fall aus den Händen ließ, ohne Weiteres dem berechtigten Ansinnen Folge geben. Noch am Abend des Unglückstages wurde Franz Werner der Reichsstadt ausgeliefert.

Da am andern Morgen ohnehin das hochnothpeinliche Gericht zusammentrat, um ein paar Strauchdiebe zu richten, so kam Franz Werner auch gleich mit zur Aburtheilung. Die Verhandlung nahm einen außergewöhnlich raschen Verlauf. Der junge Mann verschwieg zwar hartnäckig Namen und Herkunft, gestand aber die That, deren er beschuldigt war, unumwunden zu. Er gab an, daß er in Folge einer Bittschrift, worin er sich, um williger Gehör zu finden, für einen Landsmann der Aebtissin ausgegeben, Audienz erhalten habe. Da nun die begleitende Stiftsdame sich etwas entfernt und Niemand sonst in der Nähe war, so sei plötzlich die Versuchung übermächtig an ihn getreten, das kostbare Kleinod, welches ihm aus aller Noth helfen konnte, zu rauben.

Nach kurzer Berathung fällten die Richter das Verdikt, daß fraglicher Ungenannter nach Ablauf der gesetzlichen Gnadenfrist von drei Tagen durch den Strick vom Leben zum Tod gebracht werden solle.

In dumpfem Hinbrüten, das Haupt in beide Hände gestützt, saß Werner, als er nach dem Wahrspruch ins Gefängniß zurückgebracht worden war, in seiner Zelle. Wie himmelweit verschieden war die heroische Stimmung, welche den Jüngling zu der aufopfernden That hingerissen, von der Niedergeschlagenheit, die sich jetzt seiner bemächtigte! Nicht als ob er sein Thun bereut oder gar daran gedacht hätte, durch Preisgeben der Wahrheit sein Leben zu retten – aber eine Wandlung vollzog sich in dem Gefangenen, die er selbst vor vierundzwanzig Stunden nicht für möglich gehalten hätte. Die Leidenschaft zu der schönen Aebtissin begann in der schauerigen Kerkerluft sich merklich abzukühlen. Sie nahm also ohne Weiteres sein Opfer an und that keinen Schritt zu seiner Befreiung, die Grausame konnte es wirklich mit ansehen, daß er um ihretwillen Leben und Ehre verlor, wo sie mit einem Wort ihn retten konnte! Was hatte sie dagegen zu verlieren, wenn sie die Wahrheit offenbarte? War ja doch alle Schuld auf seiner Seite und die junge Aebtissin hatte höchstens boshafte Nachrede, die sich an die Geschichte knüpfen mochte, zu befürchten. Und darum sollte er in der Blüthe seiner Jahre den Henkertod erleiden, wie der gemeinste Missethäter? Der Gedanke an den entehrenden Strick um den Hals war ein zu beklemmender, als daß nicht in dem jungen Blut die Liebe zum Leben mit Allgewalt sich regte. „Dulce et decorum erst pro – amore mori“[1] sprach Franz in bitterer Parodie vor sich hin. Er hatte es ganz überhört, daß der Schließer in seinen Kerker getreten war, bis er vor ihn hintrat, mit einem großen Deckelkorb am Arm.

Der alte Gefangenwärter Zacharias war einer der originellsten Käuze, welche je dieses düsteren Amtes gewaltet, und bei aller anscheinenden Rauhheit ein gutmüthiger Geselle. Er versuchte nicht selten, die armen Schelme, welche auf der fatalen Grenze zwischen Sein und Nichtsein schwebten, durch humoristischen Zuspruch aufzuheitern. Darin fand er freilich meistens wenig Anklang; Zacharias war aber schon zufrieden, wenn es ihm gelang, ein Lächeln auf dem Gesicht eines armen Sünders hervorzurufen. Seine gutgemeinten Späße hatten gewöhnlich einen etwas schauerlichen Beigeschmack.

Heute aber schien er besonders gut gelaunt zu sein. „Rathet einmal, was da drinnen ist?“ fragte er schmunzelnd und lüftete den Deckel des Korbes, daraus ein köstlicher Duft von Gebratenem das Gefängniß erfüllte und ein paar Flaschenhälse lockend hervorguckten. „Nichts Geringeres, als ein vollständiges Mahl von der eigenen Tafel der Frau Aebtissin! Das gute alte Fräulein von Elmenau hat’s hierher geschickt; Ihr mögt Euch den Gnadenschmaus munden lassen, richtete der Klosterdiener aus, und besonders sollt Ihr dem weißen Wecken zusprechen. Es sei Mohn darin, der Euch vielleicht hilft, in Eurer schweren Kümmerniß Schlaf zu finden.“

Bei Erwähnung des Fräulein von Elmenau zog eine frohe Bewegung in das Antlitz des Gefangenen. So kurze Zeit er auch Benigna ins Auge gefaßt, hatte ihn doch die Herzensgüte, die aus ihren Zügen sprach, für sie eingenommen. Zugleich überkam ihn wie ein lichter Hoffnungsschimmer die Vorstellung: sie denken also doch meiner im Stift; die Elmenau ist Frau Mathildens Vertraute; sie weiß jetzt längst Alles und wird gewiß mit der Prinzessin auf Hilfe sinnen.

  1. Süß ist es und ehrenvoll, für – die Liebe zu sterben.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_313.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2023)