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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Aber, Närrchen, mein süßes Närrchen – was soll der Betreffende mit ihrem Namen anfangen? Nun, ich dächte doch, sie ist tüchtig, sie ist liebenswürdig, sie ist hübsch – bedarf es da noch eines Namens?“

„Was soll sie anfangen, wenn der alte Herr nicht mehr lebt?“

Er hob bedauernd die Schultern.

„Weißt Du, es ist eigentlich schade, daß der hübsche Name so spurlos verschwinden soll.“

Sie kam der Sache näher, mit Anstrengung zwang sie sich, ruhig zu scheinen und Alles so nebenher als eine Bagatelle zu behandeln. „Du weißt doch, daß der Name mit ihm ausstirbt?“ fragte sie zum Ueberfluß, obgleich sie genau wußte, daß ihm das nicht unbekannt war.

„Schade, gewiß sehr schade“, – erwiederte er zerstreut. „Was ist an einem Namen gelegen!“ fuhr er in einer ganz kleinen selbsttäuschenden Anwandlung des Trotzes fort. „Name ist Schall und Rauch – wie heißt es doch gleich?“

Sie erinnerte sich nicht. Es war weder Ebers, noch Dahn, noch Julius Wolff.

„Es müßte Jemand kommen, der den Namen rettete – schade, gewiß sehr schade!“

Sie blies in den Pelzbesatz ihres Aermels und beobachtete genau das Auseinanderstieben der zarten Härchen. „Es thäte Jemand wirklich ein gutes Werk.“

Er horchte verdutzt, noch mit dem Schein eines Lächelns um die Lippen, aber innerlich voller Bestürzung: also so stand es? Sie begehrt das Namensding; der Besitz desselben würde sie glücklich machen – und ein seltsames schier unerklärliches Gefühl überkam ihn, als würde er plötzlich von einer Beklemmung erlöst, die ihn seit dem Besuch befallen.

Nun, immer noch zwischen den Worten in die Härchen des Pelzes blasend, sagte sie langsam, mit emporgezogenen Brauen, ziemlich schelmisch: „Ich wüßte Jemand, den der Name ganz vortrefflich kleidete.“

Sie sah ihn immer noch nicht an. Auf einmal ruckte sie den Kopf empor, und mit ihren klarsten, offensten Augen ihn anstrahlend, fuhr sie gerade heraus:

„Wenn man Dir nun den Namen anböte, sag’, würdest Du – würdest Du ihn nicht ausschlagen?“

„Aber durchaus nicht! Ich würde mit zehn Fingern danach greifen – ich wäre der glücklichste Mensch dieser Erde!“

Sie verstand nicht sofort, auch nicht aus dem herzlichen Lachen, mit dem er seine Worte begleitete, ob es Scherz oder Ernst wäre. Verwirrt vor Ueberraschung starrte sie ihn an.

„Nun natürlich! Sofort!“ spottete er. „Komm her, Du bist einzig! Du bist mein liebes köstliches Närrchen!“ und er umschlang sie stürmisch.

„Mein Hut – Walther, mein Hut!“ Nur ein ganz kurzer Ausbruch des Aergers, daß sie sich hatte gehen lassen. Sofort faßte sie sich und heuchelte einen Scherz.

„Also man möchte gern eine schöne imposante Baronin abgeben, he?“ neckte er, zärtlich von oben herab ihr Gesichtchen suchend, das sich an seiner Schulter geborgen.

„Warum nicht, warum sollte ich nicht eine Baronin … es würde mich wundervoll kleiden –“ sagte sie, in schmollender Koketterie mit dem Kopfe nickend. Dann riß sie sich los, richtete sich auf und blitzte ihn mit ihren Augen herausfordernd an. Sie sah zum Entzücken aus in dieser Erregung.

Ein paar Herzschläge lang maßen sich ihre Augen, eins im anderen spürend; dann brachen sie gleichzeitig in ein Lachen aus. Sie fanden Beide die Idee köstlich. Nein, ein Baron, eine Baronin! Die Vorübergehenden blickten verwundert dem Wagen nach, welch ein fröhliches Vögleinpaar mit so herzlichem Lachen dahergeflogen komme.

Später aber, als sie vom Besuche zurückkehrten, schmiegte Melitta das Köpfchen abermals gegen seine Brust:

„Hast Du mich lieb? Hast Du mich auch noch ganz lieb?“ flüsterte sie zärtlich bittend. Und es zitterte eine Angst durch die Bitte, als wenn der Schatten des Namens erkältend über ihre Liebe dahin gefahren wäre.

„Unaussprechlich!“ hauchte er ihr zu, dicht von Lippe zu Lippe.

„Du lieber, lieber, lieber Mann!“ – flüsterte sie, jedes Wort inniger betonend.

Und wenn jene Frage ihn jetzt überfallen hätte, wäre er wohl im Stande gewesen, „nein!“ zu sagen?

(Fortsetzung folgt.)




Böse Zungen.
(Mit Illustration S. 340 u. 341.)

Böse Zungen – giebt es deren in der That und ist es insbesondere glaublich, daß der Frau, dieser Krone der Schöpfung, etwas eigen sein sollte, was „böse“ wäre?

Könnte die Zunge, die so viel Süßes zu sagen weiß und so glücklich zu machen versteht, auch Wunden schlagen und zwar so gefährliche, als wäre sie mit Widerhaken versehen oder als hätte sie ein Tröpfchen Gift hineingleiten lassen?

Jedenfalls – davon bin ich überzeugt – nicht mit Absicht. Mit so wenig Absicht, wie das Zünglein der Wage, welches die öffentliche Meinung zur Beurtheilung seiner Nebenmenschen in Händen hält. Es schwankt nach der guten und schwankt nach der bösen Seite, erst scheinbar gleich weit über den Balken hinaus, dann immer ein Bischen mehr nach der bösen, bis endlich das Zünglein ganz hinüberschlägt und den Mann in der Wagschale hoch wie leere Spreu in die Luft hebt. Kann das Wagezünglein dafür, daß hier ein Mensch gerichtet wird?

Oder wie das Zünglein des Flämmchens, das unter der Dielritze in Folge eines fortgeworfenen brennenden Spähnchens geboren wird. Es ist so unschuldig, so harmlos; ein Hauch kann es ersticken. Bei Tageslicht ist es gar nicht zu bemerken. Achtlos wirft man Papier und Kleider darüber hin. Aber kaum sieht das Zünglein sich unbeobachtet, so wächst es lustig in die Höhe, leckt und züngelt als verzehrende Flamme an Allem hinauf, was es erreichen kann, und ruht nicht eher, bis Alles der Erde gleich ist. Ist das Zünglein schuld gewesen an der großen Vernichtung?

Diesen Zünglein ähneln jene „bösen Zungen“ oder ähnelten – denn heute wird man sie vergeblich suchen. Unsere Schönen begeistern sich lieber für die großen Fragen der Zeit oder zerbrechen sich ihre Köpfchen über einem sinnreichen Problem der akademischen Zuschneidekunst oder ärgern sich über den unerwarteten Schluß eines Romans, als daß sie sich an die eben so wenig lohnende wie uninteressante Arbeit machen, ihre liebe Nachbarin zu viviseciren. Dazu haben sie gar keine Zeit vor Lyceum, Gesellschaft, Musik und Wirthschaft – dafür haben sie gar keinen Sinn. Der Künstler hat das auch sehr gut gefühlt und uns darum ein solches böse züngelndes Kleeblatt aus dem finstersten Mittelalter zum Besten gegeben.

Mein Gott, was hatten denn damals drei einzelstehende alte Damen Besseres zu thun, als das Bischen Klatschen! Vergnügungslokale wurden nur bei festlichen Gelegenheiten besucht; Bücher gab es wenig, und – ich muß es zur Schande der Damen einräumen – wären welche dagewesen, sie hätten sie nicht lesen können. Und Zeitungen? Nun, die Zeitungen waren sie selbst. Der Raum, in dem sie ohne Zweifel oft und immer hübsch lange zusammen kommen, ist das Redaktionslokal, wo Alles, was in der Stadt vorgeht, hübsch ausgeputzt und sensationell aufgebauscht wird, der Herd, von dem aus es von Zunge zu Zunge „erbaulich weiter klingt“. Hier wird ein Stückchen öffentliche Meinung gemacht, und zwar die Kolportagemeinung, welche die Hintertreppen hinaufschleicht, sich an die Köchin heran macht, von der Köchin zur Zofe, von der Zofe zur Frau, von der Frau zum Herrn und von dem Herrn zum Zunftbruder in der Trinkstube und von der Trinkstube wieder daheim auf die Frauen überspringt, bis es die Sperlinge auf den Dächern pfeifen. Das ist in der That ein Kleeblatt der Nornen; denn hier wird das Schicksal der Nachbarn berathen und bestimmt. Es gleicht dem Hexentrio des Macbeth, welches

„Schwitzend Gift in kalten Stein
In den Topf zuerst hinein“

mischt: wenn es auch nicht hexen kann, so übt es doch auf Manchen eine geheimnißvolle Gewalt aus, gegen die er nicht anzukämpfen vermag, weil er sie nicht sieht. Sie haben auch etwas mit den dunkelen Göttinnen der Griechen, den Parzen, gemein, von denen die eine den Lebensfaden knüpft, die andere ihn fortspinnt, die dritte ihn abschneidet. Sie knüpfen in ihrer regen Phantasie Verhältnisse zwischen Menschen an, die sich fern stehen. Sie spinnen in ihrer Geschwätzigkeit Legenden fort, an denen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_343.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2023)