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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Blätter und Blüthen.


Der große alte Mann. Das ist das Beiwort, welches die begeisterten Anhänger Gladstone’s ihrem Herrn und Meister geben; jedenfalls ist Gladstone, wenn er auch jetzt nicht das Staatsruder in Händen hält, der bedeutendste Staatsmann Englands, und wie man auch über seine auswärtige Politik denken mag, welche bei Weitem nicht den kühnen Ideenflug derjenigen des Lord Beaconsfield erreicht: in Bezug auf die innere Politik ist Gladstone zu allen Zeiten einflußreich und maßgebend gewesen.

Man macht sich oft genug von dem „großen alten Mann“ ein verkehrtes Bild, welches durch neuere Berichterstatter die richtigen Umrisse erhält. Gladstone hat energische Züge, eine hohe gebietende Stirn, einen nicht minder beherrschenden Blick, einen festen entschlossenen Gang; aber er hat nicht die Kühnheit, die seinem Gegner Lord Beaconsfield eigen war, wenngleich sein Temperament zu kühnem Aufschwung geneigt ist; er versteht dasselbe im Zaum zu halten und sucht seine Weisheit im Zaudern, wie er die Tugend im Puritanismus sucht; seine Meinungen sind gemäßigt; er folgt dem Gange der Ereignisse und sucht sich der öffentlichen Meinung anzuschmiegen. Er ist ein „Opportunist“, und man hat von ihm gesagt, daß er eine Mischung von Cromwell und Gambetta sei.

Er besitzt ein umfassendes Wissen. Wie viele englische Staatsmänner, liebt er das Studium des Alterthums, der klassischen Dichter, wie seine Schriften über Homer, sein Interesse für Schliemann’s Ausgrabungen beweisen. Ein eifriger Theologe und Anhänger der Hochkirche, hat er stets gegen das Papstthum gestritten, und nichts ist irriger, als die Beschuldigung des Jesuitismus, die man gegen ihn gerichtet hat. Er liebt den Fortschritt, ist ein Anhänger des Freihandels, der Gleichberechtigung der Religionen und Sekten, des möglichst ausgedehnten und unabhängigen Stimmrechts. Er ist geduldig, peinlich, unermüdlich in der Agitation. Seine Beredsamkeit hat etwas Mächtiges; sie ergeht sich oft ins Breite und es fehlt ihr nicht ein bitterer sarkastischer Zug, besonders wenn er aufs Unbarmherzigste die Fehler seiner Gegner geißelt. Doch alle diese Vorzüge, die ihm eigen sind, wenn er auf Seiten der Opposition steht, verblassen, wenn er die Herrschaft in Händen hat: dann wird seine Politik schwankend und unsicher. Die Stimme des Volkes hat er für sich und es hat ihm nie an begeisterten Huldigungen gefehlt. Er ist ein Ehrenmann, von einer rücksichtslosen Freimüthigkeit, welche schon oft gegen ihn die parlamentarischen Stürme entfesselt hat; nur aufrichtige Empfindungen haben früher seine Politik bestimmt. In letzter Zeit hat seine Volksthümlichkeit ihm etwas zu viel Selbstgefühl, Stolz und Reizbarkeit gegeben; er ist ein Doktrinär und unduldsam geworden. Seine Gegner bestreiten ihm die Eigenschaft eines Staatsmannes: sie behaupten, seine Gelehrsamkeit, seine Philosophie machten ihn zum Vertreter der grauen Theorie in der Politik und seine Erfolge verdanke er nur seiner Beredsamkeit und seiner parlamentarischen Gewandtheit; er habe das gefährliche Talent, daß er immer Recht zu haben scheint, wenn er spricht, mag er sich auch noch so sehr auf Abwegen befinden.

Von den leidenschaftlichen Angriffen, denen er fortwährend ausgesetzt ist, erfährt er wenig genug: man überwacht ihn sorgsam und giebt sich alle Mühe, ihm alles zu unterschlagen, was gegen ihn geschrieben wird. Er ist seiner Popularität so sicher, daß er ganz außer sich gerieth, als er einmal beim Besuch der Hygiene-Ausstellung ausgepfiffen wurde. Ja, seine Umgebung läßt es kaum zu, daß man ihm gegenüber eine andere Ansicht vertritt. Als eine große Dame es einmal wagte, bei einem Diner mit ihm zu streiten, schickte ihr Mrs. Gladstone alsbald ein Blättchen zu, welches bei Tisch die Runde machte und worauf die Worte standen: „Man streitet nicht mit dem ersten Minister.“

Für die Salons ist Gladstone nicht geboren; er spielt darin keine glänzende Rolle wie etwa Lord Granville, Lord Spenser u. A., er trägt zu kurze Beinkleider; aber im vertrauten Gespräch weiß er reizend zu plaudern; er versteht zuzuhören und spricht auch über gelehrte Fragen ohne Pedanterie; er hat Humor und singt gelegentlich den „Vikar von Bray“, ein altes Lied, in welchem der brave Vikar ohne viele Umstände seinen Glauben wechselt, nur unter der Bedingung, daß ihm sein Gehalt dabei nicht verloren geht. Böse Zungen haben oft dies Lied benutzt, um Anspielungen auf die religiösen Meinungen des Ministers zu machen; gelegentlich singt er auch ein anderes Kouplet. Es ist bekannt, daß der fünfundsiebzigjährige Greis in seinen Mußestunden noch die Axt des Holzschlägers handhabt, und es gehört zu seinen kleinen Eitelkeiten, wenn er seine Gäste in seinem Schloß Hawarden empfängt, in ihrer Gegenwart einen Baum zu fällen. Wie oft hat er als Geschenk eine Ehrenaxt erhalten! Er ist ein unermüdlicher Fußgänger, schreckt vor zehn Meilen nicht zurück und trotz der Ritter vom Dynamit durchwandert er ganz allein die Straßen Londons. Einmal wäre er fast von einem Wagen überfahren worden, als er einem Blinden half, Piccadilly zu überschreiten. Dabei ist der alte Herr sehr galant, und man erzählt sich allerlei Geschichten davon, z. B., daß die Jesuiten ihn durch eine schöne Irländerin zum Katholicismus bekehren wollten. Als ihm eine anmuthige Dame, Laura B., die er früher verehrt hatte, ihr Portrait schickte, wurde es von Mrs. Gladstone, welche über Gegenwart und Vergangenheit ihres Gatten sorgsam wacht, aufgefangen und an die Absenderin zurückgeschickt. Auch wenn es Gladstone einfällt, von seinem Lehnstuhl im Parlament an irgend eine schöne Zuhörerin eine Liebesepistel zu senden, so beobachtet dies Mrs. Gladstone sehr genau von ihrer Loge aus, welche der Ministerbank nahe ist. Mit mächtigen Opernguckern bewaffnet, verfolgt sie alles mit den Blicken, was ihr Gatte schreibt und thut. Wenn der kleine Liebesgott seine billets-doux in die politischen Aktenstücke einschmuggelt: dann passen ihre geheimen Sendlinge denen des Gatten auf und entreißen ihnen die verfänglichen Briefchen, welche dann die Gattin unschädlich macht.

Trotz dieses umsichtigen Verfahrens, trotz ihrer Tüchtigkeit und Bravheit entgeht Frau Gladstone nicht den Lästerzungen, welche ihre schwache Seite entdeckt haben. Es ist das nicht bloß der Mangel an Takt, sondern auch der Mangel an Sorgfalt in Bezug auf ihre Toilette. Daher das Witzwort der modischen Kreise: Hopeless, hopeful, soapless: hopeless, hoffnungslos, ist Vater Gladstone; hopeful, hoffnungsvoll, der Sohn, und soapless, ohne Seife, die Mutter.

Riesenstiefmütterchen. 0 Natürliche Größe.

Das Stiefmütterchen. Eine der dankbarsten Florblumen, welche im Sommer unsere Gärten schmücken, ist unstreitig das Stiefmütterchen (Viola tricolor maxima), Gedenkemein, Sammetveilchen, Tag- und Nachtblume oder Pensée nach französischer Benennung bezeichnet.

Zeitig im Frühjahr, sobald die Natur zu neuem Leben erwacht, erscheinen die ersten Blumen, und ihr Flor währt bei richtiger Behandlung ununterbrochen fort, bis im Herbste Nachtfröste denselben zerstören. Durch Auszeichnen sowie gegenseitiges Befruchten der größten und schönsten Blumen ist es nach vieler Mühe gelungen, dieses anfangs unscheinbare Blümchen zu einer nie geahnten Vollkommenheit zu bringen, und immer noch arbeiten hieran zahlreiche Züchter. Unter diesen verdient wohl in erster Linie die Kunst- und Handelsgärtnerei von Friedrich Roemer in Quedlinburg erwähnt zu werden. Die einzelnen Blumen der von ihr gezüchteten riesenblumigen fünffleckigen Stiefmütterchen erreichen eine enorme Größe, bis 10 Centimeter Durchmesser; sie sind zirkelrund, von fester Haltung und zeigen die reichsten und brillantesten Schattirungen. Die Eigenart dieser Species tritt besonders dadurch hervor, daß jedes einzelne Blumenblatt mit einem großen massiven Fleck gezeichnet ist, welcher oft fast den ganzen Raum desselben einnimmt und nur mit einem schmalen helleren Rande umsäumt ist.

Im Anschluß hieran mag uns gestattet sein, in Kürze einiges über die Kultur der Stiefmütterchen hinzuzufügen. Die günstigste Zeit zur Aussaat für Stiefmütterchen ist die Zeit von Ende Juni bis Ende August. Man säe den Samen in kalte Mistbeete, kleine Holzkästen oder Töpfe, je nachdem man damit versehen ist, welche sowohl bei heißem Wetter wie auch bei starkem Regen eine Ueberdeckung der Sämlinge gestatten. Im Nothfalle benutze man einen halb schattigen Platz im Garten.

In diese Beete oder Kasten berge man nahrhafte, mit Sand vermischte Erde, säe den Samen möglichst dünn aus, drücke denselben leicht an und begieße mit einer feinen Brause. Hierauf bedecke man den Samen höchstens einen halben Centimeter hoch mit feingesiebter Erde. – Bis znm Auflaufen des Samens ist vor allen Dingen für gute Beschattung bei Sonnenschein zu sorgen, da die schwache Erdschicht leicht austrocknet und hierdurch das Auflaufen des Samens erschwert, oft ganz verhindert wird.

Bis zum Erscheinen der jungen Pflanzen, was in der Regel nach 14 bis 20 Tagen geschieht, ist die Erde regelmäßig feucht zu halten. Anfang bis Ende September, je nach der Aussaat, sind die Pflanzen so weit herangewachsen, daß sie an ihrem Bestimmungsorte ausgepflanzt werden können und zwar in Abständen von 20 Centimeter auf gut gedüngtes Land. Als Dünger ist Kuhmist vorzuziehen; scharfe Düngerarten und Salze begünstigen das vorzeitige Absterben der Pflanzen. Eben so sollten dieselben, falls man sie zu Teppichbeeten verwenden will, auch gleich im Herbste an Ort und Stelle in Verbindnng mit Bellis perennis, Myosotis alpestris, Silene pendula etc., in diesem Falle aber nur 10 Centimeter weit gepflanzt werden. Nur auf diese Weise ist ein langdauernder schöner Flor gesichert, während, wenn dieselben im Frühjahre wieder umgepflanzt werden, der Flor nur von kurzer Dauer und lange nicht von solcher Schönheit ist. Deßhalb muß auch zu gleicher Zeit auf Anschaffung der oben genannten Frühlingsblumen Bedacht genommen werden. Besonders bemerkt sei noch, daß die Stiefmütterchen, wenn zur richtigen Zeit verpflanzt, also im September, unsere strengsten Winter ohne jede Bedeckung aushalten.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_435.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2023)