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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Stimme, starkes Räuspern, ja Hustenreiz, selbst völlige Heiserkeit hervorruft und vorübergehend die Möglichkeit zu singen beeinträchtigt. Allmählich geht auch die katarrhalische Erkrankung des Kehlkopfs in den chronischen Zustand über, und es bilden sich bleibende, Störungen aus: die Stimme ist andauernd rauh und belegt trotz Räusperns und Krächzens; meist besteht starker Schleimauswurf; das Singen ist überhaupt unmöglich; die Sprache klingt dumpf und raüh und wird bei längerem Gebrauch des Organs völlig heiser und unverständlich. Die Engländer haben für diesen Zuständ, der bei den Geistlichen und Lehrern besonders oft beobachtet wird, den bezeichnenden Ausdruck: clergyman’s oder teacher’s sore throat, Prediger- oder Lehrerhalsweh.

Dieser Kehlkopfkatarrh kann nun auf die eine oder die andere Weise, durch entsprechende Behandlung, Klimawechsel u. s. w. zur Besserung oder gar Heilung gelangen; nichts desto weniger bleiben an den Stimmbändern häufig Störungen zurück, die sich mit dem Verschwinden des Katarrhs nicht gleichzeitig verlieren. Wir bezeichnen dieselben als sogenannte Atonie der Stimmbänder, zu deutsch Stimmbandschwäche.

Dieselbe kommt dadurch zu Stande, daß sich in Folge des Katarrhs häufige wässerige Durchtränkungen der Muskelfasern der Stimmbänder und schließlich Verfettungen in denselben bilden, wodurch die Muskelfasern zuerst in ihrer Fähigkeit, sich zusammenzuziehen und die Stimmbänder zu spannen, beeinträchtigt werden, um allmählich ihrem gänzlichen Verfall entgegen zu gehen. Von dieser sogenannten fettigen Entartung werden zuerst die Randfasern der Stimmbänder, als die am leichtesten zugänglichen, betroffen und damit geht der Schmelz der Stimme, vornehmlich das duftige Piano, für immer verloren.

In weiter vorgeschrittenen Fällen vermögen die Stimmbänder keinen Ton mehr zu halten; eine störende Neigung zum Detoniren macht sich immer mehr geltend, weil die erkrankten Muskelfasern nicht mehr dauernd den gleichen Spannungsgrad hervorzubringen vermögen, und aus dem nämlichen Grunde tritt ein allmählich immer mehr zunehmender Hang zum Tremuliren, verursacht durch den steten Spannungswechsel der Stimmbänder unter dem andrängenden Luftstrom, hervor. Der Sänger macht schließlich immer größere Anstrengungen, um der zunehmenden Schwäche zum Trotz noch einen sangbaren Ton von gleicher Kraft, wie früher, hervorzubringen, und kann hierbei durch eine Ueberanstrengung oder gar Zerreißung der nur zum Theil noch gesunden Fasern die Stimme gänzlich und für immer einbüßen. Der Kehlkopf hat und ist dann „ausgesungen“.

Wir haben Fälle gesehen, bei denen die Stimmbänder, in Folge der verzweifelten Anstrengungen der unglücklichen Patienten chronisch entzündet, ein Aussehen wie rohes Fleisch zeigten. Mit diesen wunden, entzündlich geschwollenen Stimmbändern vermochten sie noch ein paar, allerdings rauhe und gepreßte Töne hervorzubringen, so daß dadurch noch der Schein einer Stimme vorgetäuscht wurde; erst nach Beseitigung der Entzündung, zeigten die abgeschwollenen Stimmbänder das Bild hochgradiger Lähmung und die weitklaffende Stimmritze hatte für immer aufgehört, als Sangeskehle zu existiren.

Und hier können wir nicht umhin, einer Unsitte Erwähnung zu thun, die leider noch heut zu Tage bei vielen Sängern üblich ist und der von Seiten der Lehrer noch immer nicht genügend gesteuert wird. Wir meinen die üble Gewohnheit, während eines schweren Halskatarrhs die Stimme nicht ruhen zu lassen oder wenigstens zu schonen, sondern, wie der technische Ausdruck lautet, „den Katarrh durchzusingen“. Es ist die größte Thorheit, die ein Sänger begehen gegen sein Organ begehen kann, und wir können nur um so eindringlicher davor warnen, als wir während einer vierzehnjährigen Praxis, leider eine erschreckend große Anzahl von Kehlköpfen gesehen haben, bei denen sich aüf diesem Wege in kürzester Zeit die oben geschilderte Stimmbandschwäche entwickelt hatte.

Wir pflegen als erste Bedingung zu einer erfolgreichen Kur das Aussetzen des Singens für einige Zeit zu beanspruchen und gestatten erst nach völliger Beseitigung des Katarrhs und erfolgter Kräftigung der Nerven durch entsprechende elektrische Maßnahmen eine vorsichtige Wiederaufnahme der Gesangsstudien. Nur bei völliger Schonung und Ruhe des Organs kann man von einer geeigneten Behandlung die Wiederherstellung desselben in seiner früheren Schönheit und Stärke erwarten. Ja, man beobachtet nicht selten, daß die Stimme an Umfang und Kraft noch erheblich zunimmt.

Eine zweckmäßige Behandlung hat aber hauptsächlich zwei Gesichtspunkte zu verfolgen: zuerst die Beseitigung der eigentlichen verderblichen Ursache, des granulösen Katarrhs, dann aber die elektrische Kräftigung der vorhandenen Stimmmittel. Eine leichte Besserung des granulösen Katarrhs erzielt man wohl durch Touchirungen; eine radikale Beseitigung allerdings, nur durch galvanokaustische Operation, das heißt durch Wegätzen aller kleinen Wucherungen und Knötchen auf gavanokaustischem Wege. Mit einem feinen Platinaknöpfchen, das durch den galvanischen Strom erhitzt wird, werden sämmtliche Wucherungen im Rachen betupft, eine nach vorhergehender Einpinselung der Schleimhaut mit Cocaïnlösung absolut schmerzlose Operation, die allerdings, besonders bei reizbarer Rachenschleimhaut, eine gewisse Uebung und Geschicklichkeit von Seiten des Operateurs erfordert. Die geätzten Wucherungen schrumpfen zusammen und werden durch den Heilungsproceß theils abgestoßen, theils aufgesogen, so daß die Rachenschleimhaut nachher schön glatt und eben erscheint.

Erst nach Erzielung dieses Resultats verspricht die elektrische Behandlung des Kehlkopfes einen sicheren und dauernden Erfolg. Man kann dieselbe in verschiedener Weise durchführen; wir haben von der galvanischen Massage, verbunden mit der inneren Elektrisirung, die besten Resultate gesehen. Es ist nicht der Zweck dieses Aufsatzes, sich über unsere Behandlungsmethode des Weiteren zu verbreiten; erwähnen wollen wir nur, daß man auf diesem Wege den Kehlkopf nicht nur vollkommen wieder zu kräftigen, sondern die noch vorhandenen Stimmmittel zu ihrer denkbar glänzendsten Entfaltung zu bringen vermag.

So wollen wir diese Zeilen mit dem Wunsche schließen, daß sie auch ihrerseits dazu beitragen möchten, das schönste aller musikalischen Instrumente, die menschliche Gesangstimme, vor dem Ruin durch den schlimmsten ihrer Feinde, den chronischen Rachenkatarrh, mehr und mehr zu bewahren: dann ist ihr Zweck erreicht.




     Blühende Dornen.

Am Wege steht ein Strauch,
Dem Dornen nur beschieden,
Weßhalb er in der Welt
Verlassen und gemieden.

Des Vogels Fittig eilt,
An ihm vorbei zu schweifen,
Damit die Aeste nicht
Den Glanz der Federn streifen.

Es rauscht an ihm dahin
So kalt des Baches Welle;
Zum Ort der Ruhe wählt
Kein Wand’rer diese Stelle.

So steht er lange Zeit,
Von Trauer übergossen;
Da ist ihm über Nacht
Ein Blüthenmeer entsprossen.

Noch mahnt des Winters Spur
An Welken und Verblühen,
Indeß schon hell an ihm
Des Lenzes Herzen glühen.

Was giebt’s, das seiner Pracht,
Dem Schmelz der Blüthen gleiche?
Ein König, steht er da
Im großen Schöpfungsreiche.

Es strömt sein Wohlgeruch
Empor gleich Opferdüften;
Der Lerche Morgenpsalm
Erklingt ihm aus den Lüften.

So ist der Dornenstrauch
Zuerst bestimmt auf Erden,
Im weiten Frühlingsdom
Altar des Herrn zu werden.

 Karl Schäfer.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_443.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)