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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Eisenbahnreisen der Kinder. Es ist eine wohlbekannte Thatsache, daß das Rechtsbewußtsein des Volkes, wo es gilt, auf Kosten der Gemeinschaft einen Vortheil zu erringen, mitunter auf recht schwachen Füßen steht. Gar Mancher hält sich für ehrlich und rechtschaffen, weil er es gegen den Einzelnen ist, macht sich aber kein Gewissen daraus, gelegentlich einmal den Staat zu hintergehen, z. B. durch Einschmuggelung zollpflichtiger Gegenstände, durch falsche Angaben bei der Steuereinschätzung oder durch ähnliche Handlungen.

So verhält es sich auch bei den Reisen mit Kindern. Bekanntlich zahlen auf den deutschen Bahnen Kinder unter 4 Jahren, wenn ein besonderer Platz für sie nicht beansprucht wird, kein Fahrgeld und Kinder von 4 bis 10 Jahren nur die Hälfte des gewöhnlichen Fahrgelds.

Um diese Vortheile zu erreichen, werden Kinder, welche das vierte oder zehnte Lebensjahr überschritten haben, von ihren Begleitern zuweilen für jünger ausgegeben, was bisher auch meist straflos geschehen konnte. Neuerdings haben aber verschiedene Eisenbahnen, unter Anderem die preußischen Staatsbahnen, ihr Fahrpersonal angewiesen, in allen solchen Fällen, wo Erwachsene das Alter der von ihnen mitgeführten Kinder zum Zwecke der Fahrgeldersparniß wissentlich falsch angeben, nicht allein den doppelten Fahrpreis, mindestens 6 Mark einzuziehen, sondern auch den Namen der Betreffenden festzustellen, damit nach Befinden die Einleitung des Strafverfahrens wegen Betrugs veranlaßt werden kann.

Diese schärfere Auffassung, welche auch wir unsern Lesern zur Warnung mittheilen, wird zweifellos zu einer Verringerung der Mißbräuche führen. Daß die Eisenbahnen in ihrem vollen Recht sind, wenn sie die Erfüllung der Reglementsbestimmungen mit allen Mitteln durchzusetzen suchen, läßt sich nicht bestreiten; dagegen möchten wir bei dieser Gelegenheit der Frage näher treten, ob die gegenwärtigen für die Beförderung von Kindern auf den deutschen Bahnen geltenden Bestimmungen gerecht sind. Mit Rücksicht darauf, daß in den Nachbarländern die Altersgrenzen noch enger gezogen sind – es werden z. B. in Italien und Frankreich nur Kinder bis zu 3 Jahren unentgeltlich und Kinder von 3 bis 7 Jahren zur Hälfte des Fahrpreises befördert – können die deutschen Bestimmungen immerhin als vortheilhaft betrachtet werden. Trägt man aber dem Umstande Rechnung, daß das Reisen im Laufe der Jahre zu einem wirklichen Volksbedürfnisse geworden und daß namentlich in der Ferienzeit eine Reise für schulpflichtige Kinder von nicht zu unterschätzendem Werthe ist, so wird man sich recht wohl eine noch größere Erleichterung wünschen können.

Wie oft mögen Familien genöthigt sein, wegen der heranwachsenden Jugend ihre Reisen einzuschränken oder ganz aufzugeben, und wie oft mögen Kinder, welche die Altersgrenze überschritten haben, zu Hause bleiben müssen, während jüngere Geschwister mitgenommen werden! Ganz abgesehen von der Unzufriedenheit, die hierdurch hervorgerufen werden kann, und von der mangelhaften Aussicht, unter welcher solche Kinder oft zurückgelassen werden, fällt ins Gewicht, daß der Nutzen, welchen das Reisen bringt, gerade erst in dem Alter beginnt, mit welchem die Erschwerung durch die Fahrgelderhöhung eintritt.

Ein Kind unter 10 Jahren wird selten bleibende Eindrücke von einer Reise empfangen; älteren Kindern dagegen dient eine solche als wirksamstes Bildungsmittel. Aber auch als Erholung ist eine Reise unserer von Schulsorgen gedrückten reiferen Jugend zu gönnen. Der hohe Werth der Erholungsreisen für die Entwickelung der Kinder ist unter Anderem in den sogenannten Ferienkolonien zum Ausdruck gekommen: eine Einrichtung, welche von den höchsten maßgebenden Stellen wirksam dadurch unterstützt wird, daß das Fahrgeld erheblich herabgesetzt wurde, in Preußen z. B. um zwei Drittel des gewöhnlichen Fahrgeldes für Kinder.

Es bestehen an mehreren Orten Vereine, welche sich die Aufgabe gestellt haben, für die allgemeine Ermäßigung der Eisenbahnfahrpreise Stimmung zu machen; wir schließen uns diesen Bestrebungen an, indem wir vorläufig einer Hinausschiebung der Altersgrenze für Kinder bis zum vollendeten vierzehnten Lebensjahre das Wort reden. Niemand wird behaupten, daß Kinder von 10 Jahren aufhören Kinder zu sein, oder daß ein Kind von 12 bis 14 Jahren wesentlich mehr Platz beansprucht als ein solches von 8 bis 10 Jahren. Im Verhältniß zu Erwachsenen sind Kinder von 10 bis 14 Jahren keine vollwichtigen Personen und können sehr wohl noch zum halben Fahrpreis zugelassen werden, weil bei der vorgeschlagenen Begrenzung (4 bis 14 Jahre) das Durchschnittsalter 9 Jahre beträgt und weil mit Bezug auf Gewicht und Platz zwei Kinder von 9 Jahren nicht für mehr zu rechnen sind als eine erwachsene Person. Uebrigens bezeichnet auch nach unseren bürgerlichen Einrichtungen das vierzehnte Jahr einen Lebensabschnitt, mit dessen Erreichung die Kinder selbst aufhören wollen, als solche angesehen zu werden.

Zeitungen in Südafrika. Auch der schwarze Erdtheil hat sich der Publicistik erschlossen und nicht gering ist die Zahl der Blätter, welche im Süden Afrikas erscheinen. Eine Veröffentlichung des Aachener Zeitungsmuseums giebt auf Grund einer Sammlung des deutschen Generalkonsuls Dr. Lieber, die derselbe dem Museum einschickte, genaue Auskunft über die Presse jener Gegenden. Die Sammlung besteht aus 95 Nummern: 69 Zeitungen erscheinen in der Kapkolonie, 12 in Natal, 5 in dem Oranjefreistaat und 9 in der südafrikanischen Republik. Nach Sprachen geordnet erscheinen in Südafrika 76 Zeitungen in englischer, 16 in holländischer, 2 in deutscher Sprache („Das Kapland“ in Kapstadt und „Vergißmeinnicht“ in Natal) und 1 in der Kaffernsprache. Die Mittheilungen dieser Blätter sind oft sehr originell. Ein Blatt in Transvaal, „The Barberton Herald“ („Der Herold von Barberton“) enthielt einen Aufruf an die in den Goldfeldern lebenden Deutschen zu einer Feier des neunzigsten Geburtstages des Kaisers Wilhelm. Es ward zu einem Festessen aufgefordert, welches jedenfalls das theuerste von allen Kaiserdiners der Welt war; denn das Kouvert ohne Wein oder sonstiges Getränk sollte 42 Mark kosten. Außerdem wurde in dem Aufruf vorgeschlagen, eine Anzahl verschiedener Quarze, welche sichtbares Gold enthalten, nach Deutschland zu senden, die, zu einer Pyramide verarbeitet, dem Kaiser im Namen der Deutschen in den Goldfeldern überreicht werden sollten.

Die Hundstage. (Mit Illustration S. 437.) Kein Stern strahlt so glänzend am nächtlichen Firmament wie der Sirius im Sternbilde des großen Hundes. Er ist der hellste unter allen Sternen und hat darum seit uralten Zeiten die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich gelenkt. Die Forscher der Neuzeit berichten, er sei 1 069 000 Sonnenweiten von uns entfernt, so weit, daß der schnelle Lichtstrahl 16,9 Jahre braucht, bis er von ihm auf die Erde gelangt, und er sei so groß, daß aus seiner Masse etwa 14 Sonnen gleich der unsrigen geformt werden könnten. Im grauen Alterthum warteten die Aegypter ungeduldig auf sein Erscheinen; denn um jene Zeit, wo er in der Morgendämmerung zum ersten Male aus den Strahlen der Sonne emportauchte, begann auch der Segen Aegyptens, die Nilüberschwemmung. Das Wiedererscheinen des Hundssternes am östlichen Himmel bezeichnete dagegen für Griechenland die heißeste Jahreszeit, die Opora, in welcher die Früchte, namentlich Obst und Wein reiften, aber auch, wie schon Hippokrates lehrte, schlimme Gallenkrankheiten herrschten. Einen Monat, vom 23. Juli bis zum 23. August, dauerte die Opora, welche nach dem Hundssterne den Namen der Hundstage erhielt. Auch bei uns werden die Hundstage zu den heißesten des Jahres gezählt; sie waren unseren Vorfahren im Mittelalter so lästig, daß sie während derselben an vielen Orten sogar den Gottesdienst ruhen ließen. Die Gelehrten halten noch heute an der klassischen Ueberlieferung fest und verlegen die Hauptferien in diese Zeit. Im Großen und Ganzen richtet sich das Wetter nicht genau nach dem Kalender; aber heiße Tage bringt uns jeder Sommer, und ein charakteristisches Bildchen der Schweißnoth in der Hundstagshitze, wie es unsere heutige Nummer bringt, schien uns gerade geeignet, um mit ihm die „Sommersaison“ zu eröffnen. *

Ursprung der Polka. Wie das Skatspiel, das jetzt zur unbestrittenen Herrschaft gelangt ist, durchaus kein ehrwürdiges Alter besitzt, sondern erst im Jahre 1835 vom Altenburgischen aus sich in Deutschland verbreitet hat: so ist auch der beliebteste Salontanz, die Polka, ein Kind dieses Jahrhunderts, ungefähr gleichaltrig mit dem Skat; denn am Anfang der dreißiger Jahre tanzte ein junges Bauernmädchen in Elbeteinitz in Böhmen diesen selbsterfundenen Tanz und sang dazu eine passende Melodie, welche der dortige Lehrer, Joseph Neruda, niederschrieb. Bald darauf wurde der Tanz zum ersten Male in Elbeteinitz öffentlich getanzt. Um das Jahr 1835 geschah das auch in der Hauptstadt Böhmens, und wegen des in ihm vorherrschenden Halbschrittes erhielt er von dem tschechischen Worte pulka, die Hälfte, den Namen: „Polka“. Vier Jahre später wurde er durch das Musikkorps der Prager Scharfschützen in Wien verbreitet. Im Jahre 1840 tanzte ihn ein böhmischer Tanzlehrer, Raab, auf dem Odeontheater in Paris, und dort wurde er bald in allen Salons heimisch.

So ist die Polka tschechischen Ursprungs und vielleicht das Einzige, was auf dem Kulturgebiete die Deutschen den Tschechen verdanken, welche ihrerseits der deutschen Bildung, so sehr sie’s ableugnen mögen, soviel zu danken haben.

Die wachsende Bedeutung des Pumpernickels. Dem Magistrat der Stadt Osnabrück gebührt das Verdienst, das über den ganzen Erdball verbreitete Dessertbrot, welches unter dem Namen Westfälischer Pumpernickel bekannt ist, als Gebäck eingeführt zu haben. Dieses „Bonum paniculum“ wurde zuerst, vor vielen Jahrhunderten, bei Gelegenheit einer Hungersnoth in Osnabrück als Massenernährungsmittel gebacken und verbreitete sich bald über ganz Westfalen. Die Zubereitungsweise dieses Gebäcks war unverändert stets dieselbe: dies bezeugt auch das zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges erschienene berühmte Buch „Simplicius Simplicissimus“. Westfalen ist das Vaterland des Pumpernickels geblieben; denn außerdem giebt es nur noch in Moabit bei Berlin eine Fabrik, die dort seit vierzig Jahren besteht, Sökeland und Söhne, die aber auch aus Westfalen stammt. Jetzt richten nun auch Armeeverwaltungen ihr Augenmerk auf den Pumpernickel. Bei einer vorgenommenen Prüfung ergaben Hamburger Schwarzbrot 25,26%, Berliner Schwarzbrot 24,31%, Weißbrot feinster Art 20,59%, Westfälischer Pumpernickel 38,71% und Moabiter Pumpernickel 49,52% leichtlösliche Nahrungsstoffe. Es dürfte der bisher nur als Dessertbrot betrachtete Pumpernickel, welcher zur Zeit mit Benutzung von Maschinen und technischen Erfindungen hergestellt wird und mit der Schmackhaftigkeit auch vorzügliche gesundheitliche Eigenschaften verbindet, einer sich fortwährend steigernden Verwendung entgegen gehen.

Schuldverschreibung. (Mit Illustration S. 440 und 441.) Kein größerer Gegensatz, als das steinerne gefühllose Antlitz des Wucherers auf unserem Bilde, der, anscheinend in die Zeitungslektüre vertieft, den Mann in seinem Arbeitskabinet auf das Schärfste fixirt, und die schmerzergriffenen Züge des bedrängten Mannes, der in der Schuldverschreibung, die er ausstellt, offenbar sein letztes Hab und Gut dem unbarmherzigen Gläubiger verpfändet. Die weinende Frau im Hintergrunde macht jeden Kommentar überflüssig. Mit welchen Gefühlen wird der arme Mann zu Hut und Stock greifen, um den Heimweg anzutreten! Er weiß, daß er jetzt nichts mehr sein eigen nennen kann: mitleidslos aber wird der hartherzige Geschäftsmann seinen Profit einstreichen.

Ein Franzose über die deutschen Frauen. Jean Graud-Carteret, welcher bereits ein Buch über die „Karikatur in Deutschland“ veröffentlicht hat, schrieb jetzt ein Werk über „Die Frau in Deutschland“, das er allen Französinnen und seiner eigenen Gattin gewidmet hat. Sein Urtheil ist überaus günstig und die Pariser Chauvinisten werden damit wenig einverstanden sein. Den deutschen Frauen rühmt er nach, daß ihr Reich das Haus und die eigene Familie sei, daß sie gute Wirthinnen seien, an der Behaglichkeit des Hauswesens immer weiter arbeiten, im Kleinen sparen und selbst den Strickstrumpf in die Hand nehmen, daß sie ernste Gespräche führen und harmlos lachen können. Was die Mädchen betrifft, so hebt er hervor, daß sie frei mit den jungen Männern verkehren, ganz anders als in Frankreich, wo die Mädchen ja meist in den Pensionaten eingesperrt sind und in den Familien aufs Sorgfältigste behütet werden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_451.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)