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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

auf ein einfaches, kleines Blättchen Papier gegeben hat, dann kommen Einem doch auch unruhige Stunden, und sehen Sie wohl, Herr Graf, da wäre ich dann ruhiger, wenn ich würde sehen das Stempelchen auf dem Papier!“

„Genug davon,“ rief jetzt der Graf ärgerlich; „ich kann Ihr Geld so nicht brauchen, Sie können gehen!“

„Schade, Herr Graf,“ seufzte gefühlvoll der Agent. „Ueberlegen Sie sich die Sache, Excellenz, und wennn Sie mich wollen rufen lassen, das Geld liegt parat!“

Damit drückte er sich, diesmal bei Weitem zuversichtlicher und vergnügter, zur Thür hinaus.

(Fortsetzung folgt.)




Das erste Jahr im neuen Haushalt.

Eine Geschichte in Briefen. 0 Von R. Artaria.
VII. 2.

Die Gesellschaft ist überstanden, liebste Marie, und mir ist zu Muthe, wie Einem, den wir einnal in der alten Geschichte hatten – erinnerst Du Dich noch – der auch nicht wußte, als die Schlacht vorbei war, ob er gewonnen oder verloren hatte. Pyrrhus hieß er, glaube ich, oder war es Hannibal? Ich weiß nicht mehr; jedenfalls kann es ihm vorher nicht schlechter zu Muthe gewesen sein, als mir, je näher der fatale Donnerstag kam. Erst hoffte ich, sie würden Alle absagen; aber Gott bewahre, sie wollten Alle das Vergnügen haben! Dann wachte ich manchmal Nachts auf mit dem Gefühl, es sei etwas ganz Schreckliches los, und legte mich mit dem Seufzer: Ja so, Donnerstag! auf die andere Seite. Zuletzt überlegte ich mir noch ein plötzliches Unwohlsein, aber das hätte Hugo nicht gelitten, und so kam endlich der Tag, und ich gewann denn auch gleich den richtigen Schlachtenmuth, als „bei Tagesanbruch das Streitroß wieherte“ und mit gesträubten Mähnen und der Kaffeekanne eine halbe Stunde früher als gewöhnlich ins Zimmer hereinschoß.

„Mache Deine Sache schön,“ sagte Hugo im Fortgehen, „und nicht wahr, richte Alles so ein, daß Du Abends vom Tisch nicht aufstehen mußt; ich mag das nicht leiden.“

O, ich kannte den Grund dieser Abneigung. Vorige Woche sagte Frau von Kolotschine, als sie, wie gewöhnlich, über den Tisch hin perorirte: „Ich finde die deutschen Frauen nicht so praktisch, wie ihre Männer glauben. Sie thun immer selbst die Arbeit der Dienstboten, statt diese zu dressiren. Die Französinnen sind praktischer, die Engländerinnen gebildeter, die Russinnen patriotischer, was ist eigentlich die deutsche Frau? Ich weiß es nicht, ich glaube, sie ist – Frau Buchholtz.“

Nun bitte ich Dich! So Etwas darf man sagen unter dem Vorwand „nationaler Studien“!! Ich kann sie nicht ausstehen, weißt Du; aber einladen mußte ich sie doch, und deßhalb kam es mir selbst darauf an, daß Alles so glatt wie möglich ging. Für den späteren Abend war mir nicht bang; wir wollten, statt stundenlang am Tisch zu sitzen, die Bowle im Salon trinken, dazu Musik machen; ich legte meine Mappe mit italienischen Photographien auf – Frau von Kolotschine sollte sehen, daß der arme Hugo doch nicht ganz so beklagenswerth ist wie sie glaubt. Tagsüber schafften wir eifrig in der Küche, machten italienischen Salat, Rehbraten, Kompote, die Füllung für die Pastetchen zurecht, und gegen Viere ging ich dann daran, den Auszugtisch zu vergrößern. Aber, o Schrecken! das ging nicht; wir zogen, schoben, stießen – umsonst, das frische Holz war aufgequollen und rührte sich nicht. Mich faßte die Todesangst; wir verdreifachten unsere Anstrengungen, knieten und lagen viertelstundenlang darunter; ich rief noch in meiner Verzweiflung Hugo, der gerade fortgehen wollte; er rüttelte fürchterlich und ließ ein paar Donnerwetter los, die auch nicht halfen; endlich holte er einen Hammer – „stoßt den Zapfen aus, Gott bewahr das Haus!“ – ein Krach, und langsam dehnte sich kreischend das Ungeheuer und wir athmeten auf. Aber viel Zeit hatte es gekostet; Hugo versprach mir, die bestellten Südfrüchte selbst mitzubringen; ich konnte unmöglich noch einmal ausgehen! Meinen Tisch deckte ich wunderschön; ich hatte Tischkärtchen gemalt, stellte Silber und Krystall so zierlich wie möglich auf mein schönstes Damastgedecke und sprach mir dabei fortwährend Muth zu. Meine Hauptangst betraf nur Rike. Sie ist schrecklich, wenn sie in „Verbiesterung“ fällt, und das passirt ihr, sowie die Ereignisse sich drängen. Ich suchte ihr beim Kochen und Richten so sanft wie möglich die Servirordnung immer wieder einzuschärfen, aber ihr patziges: „Werd’s schon machen!“ tröstete mich wenig, und der Vergleich ihrer plumpen Gestalt mit unserem geschickten Stubenmädchen daheim war auch nicht gerade zur Erbauung gemacht.

Als ich endlich gegen Sieben mit Allem fertig war und hinaufeilte, mich rasch ins Kleid zu werfen, da fühlte ich wahrhaftig etwas wie Neid gegen diese Rike, die nur ruhig weiterzukochen brauchte und nicht nach aller Hetze und Arbeit noch die liebenswürdige Hausfrau vorzustellen hatte!

Knapp war ich angezogen, da erschienen die ersten Gäste und fast zugleich mit ihnen Hugo; ich sah ihn nur eiligst entschwinden, aber zur Begrüßung kam er doch noch zurecht. Bald war die Gesellschaft beisammen; Oberamtmanns, die Schwiegermama und Reutter, Amtsrichters, die Oberstin Baer, Frau von Kolotschine mit ihrem Schwager, Klara und Brandt. Dieser fand für angemessen, einen großen Veilchenstrauß mitzubringen und mir mit seiner zusammenklappenden Verbeugung zu überreichen. Ich ärgerte mich über den einfältigen Menschen, der wohl weiß, daß dergleichen hier nicht Sitte ist, und stellte den Strauß bei Seite. Fräulein Berghaus lächelte spöttisch, und die Mama sah skandalisirt aus.

Die Unterhaltung beim Thee ließ sich ganz gut an. Die alten Damen saßen; Frau von Kolotschine stand, die Tasse in der Hand, bei den Herren, entfaltete eine pompöse Schleppe und war sehr graziös und animirt, besonders mit Hugo, den sie bei jeder Gelegenheit auszeichnet. Leider waren die Tischplätze an seinen Seiten für das Alterthum bestimmt, und er konnte sie nicht führen. Aber wenigstens kam sie ihm gegenüber: das ist für schöne Augen auch Etwas!

Endlich saßen wir und das Essen sollte erscheinen. Es dauerte lange, zu lange; ich wollte vom Stuhl auffahren; Hugo’s Blicke bannten mich fest. Die Unterhaltung begann spärlich zu werden.

„Wir sind dreizehn!“ sagte Frau von Kolotschine zu Brandt, flüsternd, aber doch hörbar genug. Wir waren es allerdings, aber nur, weil ihre Schwester nicht mitgekommen war; sie hätte davon schweigen können; denn unangenehm bleibt das immer, auch wenn man sonst wirklich aufgeklärt ist! Hugo schlug sich ins Mittel. „Daran wird sich doch ein so großer Geist nicht stoßen?“ sagte er scherzhaft.

„Ich weiß nicht,“ erwiederte sie, „wir in Rußland sind abergläubisch. Denken Sie sich, einmal bei dem Fürsten X…“

Ich war ihr jetzt aufrichtig dankbar, dennn während sie ihre Schauergeschichte erzählte, achtete Niemand darauf, wie lange es dauerte, bis Rike erschien. Endlich, endlich kam sie mit dem schwanken Brett und gab die Bouillontassen herum, von rechts natürlich und bei Hugo anfangend, statt bei seiner Nachbarin. Sie hatten zu lange gestanden, waren kühl geworden und jede zeigte einen leichten Fettrand. Das war unangenehm; aber ich ließ mir nichts merken, und das Bedienen ging leidlich; nur dröhnte das Zimmer unter Rike’s Schritt. Würde sie nun die Pastetchen glücklich füllen und hereinbringen? Es dauerte wieder eine fürchterliche Zeit, und ich hatte ihr doch Alles zugerichtet! Eben setzte der alte Notar aus einander und belegte es mit vielen Beispielen, daß die Zahl dreizehn nichts Lebensgefährliches an sich habe; da trat Rike aufs Neue an, mit finsterer Entschlossenheit die Schüssel vor sich hertragend, hochgehäuft – sie hatte gleich die ganze Reserve dazu genommen – nun trat sie neben den Stuhl der Amtsrichterin und statt anzubieten schwupp! leerte sie zwei von den Pastetchen auf deren Teller ab, dann wieder schwupp! zwei auf den des Majors und würde, wenn ich ihr nicht sofort in die Zügel gefallen wäre, in dieser Weise weiter „servirt“ haben. Du kannst Dir meine Alteration vorstellen! Hugo machte finstere Augen, Frau von Kolotschine lächelte; ich zog Rike hinter die Portiere zu einer energischen Flüsterung, kam dann hinter ihr heiter und unbefangen wieder heraus und beobachtete mit starrem Lächeln, während der Herr Oberamtmann in dem unterbrochenen Bericht über Ursachen und Wirkungen seiner Karlsbader Kur fortfuhr, Rike’s ferneren Schmerzensgang um den Tisch. Die vergessene Erbsenschüssel hatte Klara schnell aus der Küche geholt.

Nun ging es mit dem Dekorum zu Ende. Rike’s Gemüthszustand hatte sich durch den erhaltenen Rüffel dergestalt verdüstert, daß Alles zu befürchten stand. Ich sah ihrer Miene an, daß die Explosion beim ersten Wort erfolgen würde. So griff ich denn mit Klara an und gab die Schüsseln herum – bei Oberamtmanns neulich war ja auch nicht servirt worden; das tröstete mich einigermaßen. Aber ach! die Bratenplatte ließ einen häßlichen Rußrand auf dem Damasttuch zurück; die Saucière war im ungeschickten Eingießen vollgetropft; ich litt innerliche Qualen, wie der Indianer am Marterpfahl. Hätte ich doch hinausgehen dürfen, wie die hiesigen Frauen, die ganz unbefangen verschwinden, ehe der Braten kommt, und mit ihm triumphirend zurückkehren! Aber freilich macht sich Frau von Kolotschine eben über diese lustig!

Die Unterhaltung aber ging inzwischen laut genug, Alles sprach und schrie kreuz und quer über den Tisch.

„Und ich sage Ihnen, die Schwurgerichte müssen reformirt werden.“

„Ich sage Ihnen, Bismarck könnte, wenn er nur wollte, aber er will eben nicht –“

„Das leugne ich, Fräulein Berghaus. Man kann Aerztin, Malerin, Bildhauerin sein und daneben eine vorzügliche Hausfrau und Mutter. Ich habe eine Freundin, welche sieben Kinder –“

„Die armen Würmer!“ …

„Nicht einmal theuer! Wenn ich denke, daß mein Dunkelgrünes eine Mark fünfundsiebzig –“

„Emmy!“ rief Hugo dazwischen, „,wo ließest Du das Brot?’“

Mein Gott, ich hatte vergessen, noch ein Körbchen zu füllen, aber war es wohl zart von ihm, mir das über den ganzen Tisch hinüber zu rufen? Ich hatte genug, übergenug. Und jetzt stand ich auf, trotz des Verbotes, winkte Klara, schellte Rike herein; wir räumten ab, kehrten das Tischtuch, setzten Butter und Käse auf, nun die Südfrüchte, ja – wo waren die?!

Ich trat an meines Gatten Stuhl. „Hugo,“ fragte ich leise, „wo sind die Datteln und Malagatrauben?“

„Herrgott, die habe ich vergessen!“

„Wie einfältig!“ stieß ich im Zorn heraus; denn ich war wüthend, weil nun mein ganzes Dessert verdorben war. Die paar Tellerchen mit Weihnachtskonfekt nahmen sich gar zu mager aus.

Ich sage Dir, ich war fertig, bis dieses Souper zu Ende war. Die gute Mama Baer sah, was in mir vorging, und drückte mir die Hand, als ich ihr den Teller reichte. Neben dem Oberamtmann wieder sitzend, machte ich eine Bemerkung, über die kleinen Mißgeschicke, welche scherzhaft sein sollte.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_466.jpg&oldid=- (Version vom 15.5.2023)