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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Magdalena.

Von Arnold Kasten.
(Fortsetzung.)

Die Wirkung der Worte Felsing’s war eine unbeschreibliche. Der Graf war zusammengeschreckt wie vom Blitz getroffen. Er ließ die Waffe fallen, streckte beide Hände wie abwehrend oder einen Stützpunkt suchend vor sich in die Luft, schwankte und stürzte jäh zu Boden.

Laut weinend eilten Gabriele und Hans auf den Vater zu, während der Doktor ihn aufzurichten suchte.

Aber auch auf einen zweiten Anwesenden hatten die Worte Felsing’s wie ein Blitz gewirkt, der plötzlich, die Augen blendend, niederfährt. Emil stand todtenbleich, er war keines Wortes mächtig und starrte bald den am Boden liegenden Grafen, bald Felsing an, dessen Augen Flammen sprühten, während sein Gesicht erdfahl aussah und die Lippen unheimlich zuckten. So blieben Beide einige Minuten unbeweglich, während Richard rasch und energisch im Nebengemach den leblosen Körper der Gräfin aufheben und durch die herbeieilende Dienerschaft nach der andern Seite in ihr Zimmer tragen ließ, ohne daß Gabriele und Hans, die angstvoll um den Vater beschäftigt waren, auch nur ahnten, was nebenan vorging. Eben trat er zur Thür wieder heraus, als die erste leise Bewegung über die Züge des Grafen ging und er tief seufzend den Kopf etwas zur Seite neigte. Jetzt löste sich die Erstarrung, die bisher auf Emil gelegen; er trat rasch vor, knieete neben dem Grafen nieder und suchte die Hand des Mannes zu fassen, für den er ein grenzenloses Mitleid im Herzen fühlte. Aber eine andere Hand griff hart an seine Schulter und suchte ihn emporzureißen.

„Zurück!“ tönte ihm Felsing’s heisere Stimme ins Ohr, „Du hast mit diesem Menschen Nichts zu schaffen, der Dich einst verstoßen und verlassen –“

„Kommen Sie zu sich, Herr Konsul,“ sagte jetzt Richard unwillig mit starker Betonung. „Was Sie auch zu sagen haben, hier ist nicht der Ort dazu. Treten Sie zurück und ersparen Sie ihm Ihren Anblick im ersten Moment. Sie sehen ja – er ist wehrlos!“

Die jungen Männer hoben den Grafen auf einen Sessel, und Gabriele bemühte sich, unter tausend Liebkosungen, ihn zum Leben zurückzurufen. Endlich öffneten sich seine Augen, und ihr erster, starrer Blick fiel auf Emil’s Gesicht. Allmählich kehrte dann die Erinnerung zurück und der Graf flüsterte scheu vor sich: „Mein Sohn – wirklich mein Sohn?“

Aber plötzlich sprang er auf, wie von einem Schuß emporgeschreckt, und sah sich wild um:

„Ist sie todt? Wo habt Ihr sie hingetragen?“

Er stürzte durch die Thür ins Nebenzimmer – es war leer. Vom Gange her trat eben der Haushofmeister ein, er kam aus den Zimmern der Gräfin zurück.

„Ist sie todt?“ schrie ihn sein Herr an.

„Ich habe nach dem Arzt geschickt,“ sagte der Mann betreten, „ich weiß nicht –“

Aber schon war der Graf an ihm vorbei. Schwankend und taumelnd schleppte er sich an den Wänden hin, im nächsten Moment eingeholt und unterstützt von Gabriele und Richard, welchen Hans und die Diener nachfolgten.

Im Arbeitszimmer des Grafen war es todtenstill geworden. Die zwei zurückgebliebenen Männer standen und sahen sich schweigend in die Augen. Endlich griff Felsing nach seinem Hut und sagte rauh zu Emil:

„Komm! Ueberlaß den Bankerotteur seinem Schicksal, der von Deiner Geburt bis auf den heutigen Tag keinen Gedanken für Dich hatte. Komm!“

Allein Emil blieb stehen. „Ich kann nicht so von hier gehen, Vater,“ sagte er aus schwerem inneren Kampfe heraus; „ich muß erst Klarheit haben über mein Verhältniß, zu diesem Manne und zu Dir, ehe ich weiß, was meine Pflicht ist. Sage mir Alles!“ fügte er stehend hinzu.

Felsing zögerte mit der Antwort, dann, als er den entschlossenen Widerstand in Emil’s Augen las, zischte er leise zwischen den Zähnen heraus:

„Du bist der Sohn eines armen braven Mädchens, das der hochadelige Herr bethörte und verließ, wie das so aristokratischer Brauch ist. Ich aber, der die Arme in ihrer Verzweiflung sah, der vergebens versuchte, dem vornehmen Sünder das Gewissen zu rühren, ich nahm Dich nach ihrem Tode, und jeder Blick in Dein Kindergesicht war mir eine Mahnung zur Rache an Magdalenens Mörder!“

„Mäßige Dich, Vater,“ bat der junge Mann.

„Ich bin eiskalt,“ versetzte dieser. „Wer fünfundzwanzig Jahre Zeit zur Abkühlung hatte, der deklamirt nicht mehr, wenn er von seinen Vorsätzen spricht!“

„Und es ist also doch so, wie ich ahnte,“ rief Emil; „Du hast den Ruin des Grafen gewünscht und herbeigeführt!“

„Das Beste dazu hat er selbst gethan,“ versetzte Felsing mit seinem unheimlichen Lächeln, „es brauchte schließlich keine große Anstrengung, um den Knoten zusammenzuziehen. Aber,“ fuhr er leidenschaftlicher fort, „auch wenn er klüger gewesen wäre, es hätte ihm nichts geholfen! Auf seinen Fersen war Einer, der nicht mehr von ihm abließ! Jahrelang war der Gedanke an die künftige Rache mein einziges Labsal, er hielt mich aufrecht, wenn mir der Muth sinken wollte; er ließ mich Alles überwinden, was Andern unüberwindlich scheint. Geld, Bildung, Ansehen – ich erwarb mir Eines um das Andere, ich mußte es erwerben, um ihm nahe kommen zu können, um den Eintritt in seine Kreise zu erzwingen. – Ich habe sie dabei kennen gelernt, diese hohlköpfigen Aristokraten, die vor dem gemeinen Mann kriechen, wenn sie Geld von ihm wollen, ich verachte sie Alle, am meisten aber diesen elenden Weichling, der nicht einmal den Muth seiner Schlechtigkeit hat … All ihre falsche Freundlichkeit vergalt ich mit gleicher Münze und ließ dabei keinen Augenblick mein Ziel außer Augen. Heute habe ich es erreicht,“ fuhr er in wildem Triumphe fort, „er ist ruinirt, und er hat Dich gesehen, nicht als schmutzigen Betteljungen, sondern groß und schön, wie Du bist – nun soll er es erleben, wie’s thut, wenn ein solcher Sohn sich voll Verachtung von dem Vater abwendet, der ihn fünfundzwanzig Jahre lang verleugnet hat. Komm!“

„Ich – kann nicht, Vater,“ stieß Emil heraus, indem er seine Hand von dem umklammernden Griff befreite, „kann es nicht so, wie Du willst. Mißverstehe mich nicht,“ rief er angstvoll, als er die unendliche Bitterkeit sah, die sich über Felsing’s Züge lagerte, „Du bleibst mir immer, was Du bis heute warst –“

„Ich verstehe,“ höhnte Felsing und griff wieder nach seinem Hut. „Ewige Dankbarkeit und so weiter! Und dabei Uebergang ins aristokratische Lager! Das Blut, das Blut! Ich hätte das Blut bedenken sollen. Nun, ich kann allein gehen!“

„Du thust mir bitter Unrecht!“ rief der junge Mann empört. „Niemals kann der Graf in meinem Herzen die Stelle eines wirklichen Vaters einnehmen und Dein Haus wird das meinige sein, so lange Du mich nicht aus demselben weisest. Aber laß mich noch eine Viertelstunde hier – ich muß den Unglücklichen noch sehen und sprechen, er flößt mir trotz Allem ein tiefes Mitleid ein – ich kann nicht grausam und unbarmherzig gegen ihn handeln!“

„Und er konnte es doch so gut gegen Dich, Du weichmüthiger Thor! – Mache was Du willst,“ fuhr Felsiug in steigender Erbitterung fort, „vergiß mich und denke nur daran, wie Du ihm die wohlverdiente Züchtigung ersparst; Du hast wahrlich alle Ursache dazu. Ich aber gehe jetzt, ich habe genug an der Luft in diesem edeln Hause, und vielleicht möchtest Du auch nicht gerne zusehen, wie der Herr Graf zum zweiten Mal die Pistole auf mich anlegt …“

Er sah auf Emil, der die Augen abwandte, und ein Krampf des grimmigsten Schmerzes verzog sein dunkles Gesicht. Noch einen Augenblick blieb er wartend stehen, als aber der junge Mann plötzlich aufstand und nach dem Korridor horchte, woher ein fernes Stimmengewirr schallte, da wandte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_557.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2023)