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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Magdalena.

Von Arnold Kasten.
(Schluß.)
12.

In Ruitenheim,“ begann Felsing, „einem kleinen Orte, der mitten in den Besitzungen des Grafen liegt, bin ich geboren. Meine Eltern waren arm, der Vater ein kleiner Handwerker, dem langjähriges Siechthum den Erwerb rüstigerer Jahre aufgezehrt. Einst hatte er eine wohleingerichtete Werkstatt besessen, in welcher er Scheren, Messer, Sicheln, Sensen und andere bäuerliche Werkzeuge verfertigte. Aber er war, wie gesagt, durch Krankheit und sonstige Unfälle herunter und so weit gekommen, daß er schließlich, schwach und krank wie er war, mit Umherziehen sich und seine Familie ernähren mußte. Ich war noch ein kleiner Knabe und verstand nicht viel vom Leben, aber doch wurde ich immer traurig, wenn er oft schon vor Tagesanbruch auszog aus unserer ärmlichen Behausung und sich im Zwielicht über mein Lager beugte, um mich zum Abschied zu küssen. Ich seh’ es noch, das blasse Gesicht mit den müden, kranken Augen, die mich so zärtlich anblickten. Die Mutter – Gott, sie war auch elend genug – erhob sich immer mit ihm und gab ihm das Geleit bis vors Dorf hinaus; dann kehrte sie zurück, und ich sah still liegend – denn ich konnte nicht mehr schlafen – beim Scheine eines Lämpchens ihre mageren Hände sich bewegen in rastloser Arbeit, dann die Milch zum Feuer stellen für mich und Magdalena.“

Emil’s Züge geriethen bei der Nennung des Namens in lebhafte Bewegung.

„Für Magdalena, meine Mutter?“ frug er.

„Für Magdalena, Deine Mutter. Damals war sie noch ein kleines, zartes Kindchen, drei Jahre jünger als ich, und ich hielt sie für mein Schwesterchen. Das war sie aber nicht. Sie war des Vaters Schwesterkind und von den Eltern auferzogen worden, nachdem ihre Mutter gestorben. Die war einmal sehr schön gewesen und hatte eine wundervolle Stimme, mit der sie Alle entzückte, die sie singen hörten. Da war denn eines Tages ein fremder Herr durchs Dorf gekommen, der hatte sie gehört und ihr gesagt: wenn sie mit ihm käme und ihre Stimme fürs Theater ausbilden ließe, so könnte sie große Ehre und Reichthümer erwerben und sich und die Ihrigen glücklich machen. Da ist sie denn mit ihm gegangen, und es schien auch so zu kommen, wie der Herr es ihr gesagt: sie wurde eine berühmte Sängerin und verdiente viel Geld und wurde bewundert und hofirt, und ein Baron soll sie sogar geheirathet haben. Aber lange hat die Herrlichkeit nicht gewährt: als ihre Stimme nachließ, verschwand auch der Baron. Da ging’s mit ihr herunter, tiefer und tiefer, und endlich kam sie wieder im Dorfe an, arm und krank! Aber nicht allein kam sie, sie brachte ein Kindchen mit von wenig Monaten, die kleine Magdalena.

Ich hatte große Freude, als ich das Kindchen sah, wenn auch Vater und Mutter unwirsch waren über die unerwartete Bescherung. Ich freute mich, weil ich nun doch nicht mehr so allein sein mußte, denn mit den andern Kindern im Dorfe hatt’ ich keinen Umgang, oder vielmehr, sie hatten keinen mit mir – unser Häuschen lag etwas abseits, vor dem Dorf draußen! Das hatte mich oft traurig gemacht, jetzt fühlt’ ich es nicht mehr, denn jetzt hatt’ ich ja ein Schwesterchen, die kleine Magdalena. Mit ihr konnt’ ich den ganzen Tag spielen, wenn ich nicht zu lernen hatte, denn der Vater brachte uns von Zeit im Zeit alte, zerbrochene Puppen und Spielsachen, welche die Kinder der reichen Leute nicht mehr mochten.

So vergingen mehrere Jahre und wir wuchsen trotz all der Armuth froh heran. Wenn der Frühling und der Sommer kam, da gingen wir mit einander hinaus an den Bach und in den Wald an den schönen Waldsee, legten uns nieder unter den großen Bäumen, pflückten Gräser und Blumen, und Magdalena erzählte dann wunderbare Geschichten von Nixen und Feen, von verzauberten Prinzen und Prinzessinnen und prächtigen Königsschlössern, die sie alle in ihrem Kopfe erfand. Sie hatte den hoffärtigen Sinn und das phantastische Wesen von ihrer armen Mutter. Die wurde nun kränker und kränker, und als ich eines Abends mit der kleinen Magdalena vom Walde heimkam, da lag sie kalt und steif auf dem Bette ausgestreckt, und mein Vater und meine Mutter saßen in einer Ecke und weinten. Dann nahm der Vater die kleine Magdalena an der Hand und führte sie zu der Todten hin; aber das Kind bekam einen solchen Schreck, daß es in Krämpfen umfiel und fast auch gestorben wäre. Magdalenens Mutter wurde begraben, und mein Vater wurde noch stiller und trauriger als vorher. Das Elend seiner Schwester war ihm sehr nahe gegangen und das hatte sein Leiden noch verschlimmert. Er nahm mich jetzt manchmal mit ins Geschäft auf die Wanderschaft.

Ich ging anfangs nicht gern mit, aber mein Vater sah mich dann immer so ängstlich an und sagte: ‚Komm, Johann, komm, es muß sein! Was wollt Ihr machen, wenn ich sterbe, Du und die Mutter und die Magdalena? Sieh’ zu, daß Du etwas verdienen lernst, damit Ihr nicht Hungers sterben müßt.“

Und ich ging mit dem Vater und half ihm mit meinen schwachen Kräften den schweren Karren mit dem Schleifstein ziehen von Ort zu Ort, half ihm auch beim Schleifen und Ausbessern der vielerlei Werkzeuge, welche uns die Bauern auf die Straße heraus brachten, wo wir denn, der alte kranke Mann und ich armseliger kleiner Junge, Tage lang standen in Sonne, Hitze und Winterkälte, in Regen und Sturm. Damals machte ich meine Lehre durch fürs ganze Leben, eine harte Lehre.

Ich hatte aber gleich von Anfang Geschick zum Geschäft und der Vater hatte seine Freude an mir, denn als er dann immer kränker wurde und schwächer, da konnt’ er doch zu Hause bleiben und sich pflegen: ich besorgte das Geschäft allein und verdiente mit vierzehn Jahren, was wir Alle brauchten. Hätte wohl auch noch etwas erübrigen können, wenn die Krankheit des Vaters nicht so viel Geld gekostet hätte, denn ich holte ihm den besten Arzt aus der Stadt. Der kam zweimal in der Woche und verschrieb ihm theure Arzneien und gutes Essen und Trinken. Aber es war Alles umsonst, der Vater mußte doch sterben, und in seiner letzten Stunde, als er immer schwächer wurde und kälter und sein Athem schwerer ging und er spürte, daß es bald zu Ende sei mit ihm, da winkt’ er mir mit den Augen und ich kam an sein Lager, und er suchte meine Hand und sprach:

„Du bist ein guter Sohn, Johann, und machst mir das Sterben leicht, denn ich weiß, Du wirst für Deine Mutter und die kleine Magdalena sorgen. – Du verstehst ja das Geschäft, und weil Du Vater und Mutter geehrt hast, so wird Dir der liebe Gott beistehen und Dir weiter helfen!“

Dann sank sein Kopf schwerer ein ins Kissen, ich kniete nieder, er legte mir die kalte Hand auf den Kopf und gab mir seinen Segen. Und ich fühlte plötzlich eine große Furcht und rief der Mutter, die draußen arbeitete und gar nicht wußte, daß es schon so weit mit ihm war. Der gab er auch noch die Hand und sah sie lange unverrückt an, bis er starb.“

„Mein armer guter Vater!“ seufzte Emil, indem er die Hand auf Felsing’s Schulter legte.

„Ja,“ fuhr dieser fort, „es war recht traurig, als wir ihn begruben. Ich ging mit Magdalena hinter dem Sarge her. Es gingen sonst nur noch ein paar arme Taglöhner und alte Weiber mit. Als die Schollen mit dumpfem Gepolter in die Grube fielen, da nahm ich mir’s vor, für die Mutter und Magdalena zu sorgen und nicht zu rasten und zu ruhen, bis ich sie in bessere Verhältnisse gebracht. Es ging wohl schwer in der ersten Zeit. Die lange Krankheit und die Beerdigungskosten hatten viel Geld verschlungen, und nun wurde auch die Mutter krank. Aber gern müht’ ich mich vom Morgen bis zum Abend und fuhr meinen Karren von Ort zu Ort, von Haus zu Haus, bis mich die Füße schmerzten, und ließ mich hundertmal des Tags von den Leuten abweisen, wenn ich nur unsern Lebensunterhalt verdiente und Abends meiner Mutter was Gutes zu essen und zu trinken bringen konnte zu ihrer Stärkung. Auch war’s gar nicht traurig bei uns trotz der Krankheit der Mutter, denn Magdalena wuchs heran und blühte auf wie eine Rose, und das niedere, ärmliche Zimmer, in dem wir wohnten, glänzte hell von ihrer Schönheit. Sie war jetzt achtzehn Jahre alt geworden und ich einundzwanzig,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_574.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2023)