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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

ihre Tage geglänzt; nun sollten sie langsam, langsam weitergleiten, nicht von lebendiger Welle geschaukelt, sondern auf regloser, fast stagnirender Oberfläche, deren dunkler Grund ohne Tiefe war. Der schöne Tag leuchtete ihr nicht mehr in das Herz; sie neigte sich weit über das Geländer und starrte tiefsinnig hinab auf ihr eigenes Spiegelbild, das ihr unbewegt entgegensah. Da erblickte sie auf einmal drunten neben ihrem Gesicht einen zweiten Kopf mit wallendem lichten Haar, dem sie träumerisch zulächelte, seine Züge glitten oft genug durch ihre Phantasie, um ihr jetzt nicht befremdlich zu erscheinen. Als aber das Bild nicht verschwand, sondern sich regte und gleichfalls lächelte, fuhr sie zusammen und wendete unwillkürlich den Kopf. Hinter ihr, den schlanken Oberkörper etwas vorgebeugt, stand ein junger Mann, der nun höflich den Hut vor ihr zog.

(Fortsetzung folgt.)




Bulgarische Bilder.

Von Karl Braun-Wiesbaden. 0 Mit Driginalzeichnungen von F. Schlegel.

Donaulandschaft bei Sistowa.

Ich habe Bulgarien zu verschiedenen Zeiten bereist, sowohl vor als nach dem russisch-türkischen Kriege von 1877. Vor dem Kriege war die Stimmung in Bulgarien panslawistisch, oder wenn man es kurz sagen will: russisch. Selbst die orthodoxe (griechische) Kirche wollte los von dem Patriarchen in Konstantinopel und strebte nach dem Anschluß an Rußland. Von der andern Seite machte die römisch-katholische Kirche Propaganda – ein Unternehmen, das Napoleon III. eingefädelt hatte. In Konstantinopel sagte man 1875, der russische Botschafter Ignatieff gedenke Bulgarien zu russischen Agitationszwecken zu bereisen.

„Ich wette, er geht nicht hin,“ meinte ein französischer Diplomat, „denn er befindet sich in Verlegenheit mit dem Glauben. Soll er zu den Priestern gehen, die es mit dem Patriarchen, oder zu Denen, die es mit Rußland halten?“

Nach dem Kriege fand ich die Stimmung geändert. Jetzt ist sie antirussisch, und die Abneigung gegen Rußlaud ist so groß, daß man sogar die Aeußerung hörte: lieber wieder türkisch als russisch.

Ein seltsamer Umschwung in wenigen Jahren! Dazu kommt, daß die Gelehrten entdeckt haben: die Bulgaren, obgleich sie jetzt slawisch sprechen, sind ethnologisch eigentlich gar keine Slawen sondern ein eingewanderter mittelasiatischer Volksstamm, am nächsten verwandt mit den Finnen und den Magyaren – Eroberer gleich diesen.

So meldet der altrussische Chronist Nestor. Indessen herrscht Streit über diese Frage. Unstreitig aber ist es, daß die Bulgaren einen andern Charakter haben als die übrigen Slawen im Süden. Ich möchte sagen: sie sind aus einem härteren und dauerhafteren Stoffe gebacken als z. B. die Serben, obgleich letztere mehr westeuropäischen Schliff haben und auf den ersten Blick uns mehr für sich einnehmen.

Ich reiste 1875 in Bulgarien mit einem englischen Freunde. Dieser faßte mir gegenüber sein Urtheil in die Worte zusammen: „Was die Deutschen auf dem europäischen Festland, das sind die Bulgaren auf der Balkan-Halbinsel. Sie sind kräftig an Körper und Geist, mäßig und bedächtig, fleißig und sparsam, kaltblütig und beinahe phlegmatisch, aber dabei beharrlich und, wenn es sein muß, auch tapfer. Der Bulgare unterscheidet sich von den übrigen slawischen Völkern der Balkan-Halbinsel, die keck, lebhaft und beweglich sind, durch jene, ich möchte sagen deutschen Eigenschaften namentlich durch seine zähe Geduld, durch seine Hartnäckigkeit und seine kluge Berechnung. Seine Nachbarn pflegen ihn nicht zu lieben, aber zu achten. Entschuldigen Sie meine Offenheit: ich möchte wiederholen, es ist gerade wie mit den Deutschen. Auch der Bulgare weiß dem härtesten Druck zu widerstehen. Scheinbar unterwürfig, sinnt er auf Befreiung. Man kann ihn biegen, aber nicht brechen. Er konspirirt wider den Türken, wie einst die Deutschen gegen die Fremdherrschaft der Franzosen.“

Türkische Straße in Tirnowa.

So mein englischer Freund. Er war mir, dem Deutschen, gegenüber zwar nicht allzu höflich, aber offenherzig und ehrlich; und während der bulgarischen Krisis und ihres Verlaufes seit 1885 ist mir oft jene treffende Aeußerung des vielgereisten Mannes wieder eingefallen.

Den wahren Typus des Bulgaren, das heißt des „slawisirten Tataren“ oder Finnen, findet man bei den dortigen Bauern. Sie sind groß, stattlich, muskulös, aber nicht ungeschlacht. Freilich, sie sind nicht so beweglich wie die Serben. Ihr Gesicht zeigt einen intelligenten aber ruhigen Ausdruck, und es hat starke Backenknochen.

Eigenthümlich kontrastirt ihr langes, blondes, schlichtes Haupthaar mit ihrer dunklen Gesichtsfarbe; sie lassen nur den Schnurrbart stehen, ältere Männer rasiren sich wohl

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_591.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2023)