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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

begann. Als er wieder in den Flur zurückkehrte, meinte er Kuni’s zornige Stimme zu vernehmen. Neugierig steckte er den Kopf in die Stube und sah, wie die Dirne mit dunkelrothem Gesicht aus der anstoßenden Kammer trat und die Thür zudrückte, durch die er den Vater lachen und nach Kuni rufen hörte.

„Was is denn? Was hat’s denn geben?“

„Ah mein – Dein Vater – a Bißl z’viel hat er halt!“ erwiederte Kuni in ärgerlichem Tone.

„No freilich hat er z’viel,“ meinte Karli lächelnd, während er vollends in die Stube trat. Gähnend reckte er die Arme und setzte sich, wie von plötzlicher Müdigkeit befallen, wieder an den Tisch.

Inzwischen hatte Kuni zwei Talglichter angezündet. Nun brachte sie die beiden Leuchter herbei, und während sie den einen in der gesenkten Hand behielt, schob sie den andern vor Karli hin und blies an der Hänglampe die Flamme aus. „Da hast Dein Licht! Ich leg’ mich jetzt schlafen derweil. Aufräumen kann ich ja morgen in der Fruh auch noch.“ Sie sagte das mit hastigen Worten, und ihre Stimme hatte dabei einen eigenthümlich heiseren Klang. „Gut’ Nacht also, gut’ Nacht!“

„Gut’ Nacht, Kuni!“ nickte der Bursche und fügte dann lächelnd bei: „Aber was ich sagen will – was is denn mit dem Andenken, wo mir versprochen hast?“

Da blitzten die Augen der Dirne auf wie in heimlicher Freude. Mit einem lautlosen Schritte trat sie dicht vor Karli hin, griff nach seinem Kopfe, und während sie ihn mit sachter Zärtlichkeit an den Haaren schüttelte, beugte sie das Gesicht zu ihm nieder, tauchte ihre Augen mit heißfunkelnden Blicken in die seinen und wisperte ihm zu: „Was mit dem Andenken is? Droben hab’ ich’s – in mei’m Stüberl! Mußt halt nachfragen, wann ich’s g’rad bei der Hand hab’.“

Jählings wandte sie sich nach diesen Worten von ihm ab und huschte mit flinker Eile zur Stube hinaus.

(Fortsetzung folgt.)




Das erste Jahr im neuen Haushalt.
Eine Geschichte in Briefen. 0 Von R. Artaria.
IX.
Neustadt, den 12. März. 

Meine liebste Marie, ich habe oft große Sehnsucht nach Dir und möchte Dich so gern hier haben. Du würdest dann unter Anderem auch mit Erstaunen sehen, was für eine umsichtige Hausfrau Deine leichtsinnige Emmy geworden ist und wie glücklich sie sich dabei fühlt; denn Hugo ist jetzt immer sehr entzückt von seiner kleinen Frau, und das feuert Einen natürlich zu neuen Thaten an. Es ist merkwürdig, wie leicht Alles geht, wenn man sich die Mühe nimmt, es vorher zu überlegen!

So habe ich in den letzten Tagen ein Meisterstück gemacht und die gefürchtete Frühjahrsputzerei ohne Hugo’s Wissen hinter seinem Rücken durchgeführt, als er für einen Termin zwei Tage abwesend war, so daß er beim Zurückkommen Alles rein und blinkend fand. Kaum war er weg, so ergriff ich die ahnungslose Rike und zwang sie, ihres heftigsten Sträubens ungeachtet, zur großen Putzerei. So ohne Weiteres, ohne vorhergehende Gemüthsverdüsterung, gleichsam aus heiterem Himmel, ging es ihr geradezu gegen die Natur; ich blieb aber unerbittlich, räumte ab, klopfte, bürstete mit ihr um die Wette, und so hatten wir bald ein Chaos zu Stande gebracht, daß mir heimlich bang wurde, wie das Alles wieder in Ordnung kommen solle. Mitten drinnen erschien Klara; ich schickte sie schnell heim, um Urlaub für zwei Tage zu bitten; dann half sie getreulich, und es war mir ein rechter Trost, daß sie auch die Nacht dablieb; denn wenn ich auch nicht gerade furchtsam bin, ist es mir doch unheimlich, wenn Hugo nicht da ist. Morgens gestand sie mir freilich, sie fürchte sich Nachts entsetzlich beim leisesten Geräusch – da wäre ich gut beschützt gewesen!

Nun, am zweiten Tage ließen wir denn alles Feinere durch unsere Hände gehen und stellten allmählich in allen Zimmern die zierlichste Ordnung her. Freilich war Klara nicht immer recht bei der Sache; sie träumte manchmal, mit dem Staubwedel in der Hand, vor sich hin. Aber allerdings saß ich selbst auch ein gutes Weilchen vor Hugo’s Schreibtischschublade, darin meine Briefe aus der Brautzeit lagen, nebst ein paar Blumen, die ich wohl kannte, und außerdem – noch ein paar alte wacklige Albums mit Universitätsfreunden und den verschiedenen Flammen aus den schönen Studententagen. Die wollte ich mir einmal gründlich betrachten; Hugo hatte sie mir immer so schnell aus der Hand genommen. Viel Besonderes war übrigens nicht daran: die Männer haben doch, wenn sie jung sind, meist einen recht schlechten Geschmack!

Als ich emporsah, saß Klara mit aufgestützten Armen auch in ein Photographie-Album vertieft; sie klappte es schnell zu, als sie mich aufstehen hörte, wurde roth und stäubte hastig weiter ab. Das gab mir zu denken.

Abends um fünf Uhr waren wir fertig. Schön war es geworden, blitzblank und duftend nach irischen Vorhängen, aber – naß. Die Fußböden aus nicht gestrichenen Dielen trocknen schwer am kalten Frühjahrsabend. So sagte ich zu Klara:

„Hier können wir nicht bleiben; wir wollen noch eine Stunde ausgehen und trocknen lassen; dann heizen wir Abends gehörig ein und essen lustig zu Nacht.“

So gingen wir. Unterwegs hatte sie noch eine Besorgung, und während ich vor dem Laden wartete, kam Brandt des Wegs, gelangweilt einherschlendernd wie gewöhnlich.

„Nun,“ fragte ich ihn, „gehen Sie heute nicht zum ‚Familienabend‘ ins Museum?“

„Was soll ich dort thun?“

„Sich amüsiren wie die Andern.“

„Das kann ich leider nicht.“

„Es sind doch ganz hübsche Mädchen da.“

„In der That? Ich habe bis jetzt nur ihre Hände und Handschuhe gesehen; das hat mich verhindert, weiter empor zu blicken.“

„Sie sind ein unausstehlicher Mensch. Was treiben Sie denn jetzt eigentlich?“

„Ich trage Folgen.“

„Schon,“ sagte ich, „da sind wir eben auch dabei; das läßt sich ja gemeinsam besorgen. Wissen Sie was“ – der Gedanke fuhr mir durch den Kopf, als eben Klara aus der Ladenthür trat und bei seinem Anblick lebhaft erröthete – „kommen Sie heute zum Abendessen; es giebt freilich nur Frikandellen,“ fuhr ich lachend fort. „Frikandellen und Kartoffelsalat. Können Sie das essen?“

Heroische Bejahung, neues Erröthen Klara’s beim Gedanken, den „hohen Stern der Herrlichkeit“ zu Frikandellen einzuladen, große Heiterkeit meinerseits, freilich mit einem kleinen Stich im Gewissen, daß ich es in Hugo’s Abwesenheit that. Aber nun war’s bereits geschehen.

Zwei Stunden später saßen wir äußerst lustig bei dem besagten schrecklichen Mahl, denn ich hatte Klara’s flehentlichen Bitten, wenigstens noch etwas Schinken holen zu dürfen, erbarmungslos widerstanden.

„Er ißt, was wir haben, und damit Punktum.“

Ich wollte ihn auf die Probe stellen, und ich muß sagen, er hat sie ganz gut bestanden. Es ist, wie ich vermuthete: die Affektation sitzt ihm nur äußerlich; er ließ, meiner konsequenten Nichtachtung gegenüber, allmählich die blasirte Hülle sinken, und es kam ein ganz ordentlicher junger Mensch von gutem Humor zum Vorschein, der sich bald an unseren harmlosen Späßen nach Kräften betheiligte. Besonders unsinnig lachten wir, als ich ihnen den Zusammenhang unserer heutigen Abendmahlzeit mit Hugo’s morgender Rückkehr erläuterte, und auch Du sollst diese Geschichte noch zum Schluß hören, liebste Marie, denn sie ist sehr schön.

Ich habe Dir schon früher erzählt von Hugo’s altem Pintsch, von dem garstigen ruppigen Thier, welches er mit einer unbegreiflichen Zärtlichkeit liebt, und das ich hasse, weil es lauter widerwärtige und abscheuliche Angewohnheiten hat. Aber Hugo hat es sein ganzes Junggesellenleben durch als Tischgenossen im Wirthshaus gehabt und dort hat sich Muckel eine entschiedene Verachtung aller vegetarischen Nahrungsmittel angebildet; er frißt nur Fleischbrühe, ja, er soll sogar mit Sicherheit einen Kapaun vom gewöhnlichen Brathuhn unterscheiden. Unter meinem Regiment allerdings ist er noch nicht in die Verlegenheit dieser Wahl gerathen!

Aber von den gewöhnlichen Braten muß er sein Theil haben, und ich kann Dir sagen, es ist eine Geduldsprobe für mich, das garstige Thier immer beim Essen da sitzen zu sehen, schnappend, wenn ihm Hugo nicht augenblicklich sein Stück reicht. Aber ich darf nicht an dieses Pietätsverhältniß rühren. Hugo hat mir neulich einmal gesagt: den Thieren gegenüber seien die Frauen entschieden gemüthloser als die Männer! Es ist also eine Schwachheit, die man dulden muß; er hat ja so viele gute und angenehme Eigenschaften.

Eine der allerhervorragendsten ist, daß er gerne Frikandellen ißt (das thun ja die Andern beinahe alle nicht!); deßhalb darf ich sie jede Woche einmal bringen. Allerdings verbessere ich sie auch noch mit Bratwurstfüllsel, damit sie recht gut schmecken. Neulich einmal nun goß es in Strömen; Rike konnte nicht fort, ich hätte selbst zum Fleischer gehen müssen und, ehrlich gestanden, ich hatte keine Lust dazu. So betrachtete ich mir die Fleischreste, die freilich nur sehr gering waren, und beschloß, noch ein Brötchen mehr in die Masse zu thun und sie dafür recht hüsch zu backen. Sie rochen auch sehr gut, als sie auf den Tisch kamen; Hugo freute sich, gab nach seiner Gewohnheit die erste dem geliebten Muckel und dieser – wandte den Kopf weg, zog den Schwanz ein und ging davon!!

„Das ist gleich einer chemischen Analyse auf Fleisch,“ sagte Hugo empört, und in Folge dessen hat er sich bis auf Weiteres die Frikandellen verbeten, und das danke ich nur diesem verwünschten Thier; denn Er hätte es nicht gemerkt!

„Ach, nun verstehe ich,“ sagte Brandt lachend, als ich so weit erzählt hatte. „Auf das Vergnügen, von Zeit zu Zeit einen Mann Frikandellen essen zu sehen, kann, wie es scheint, eine Frau nicht verzichten, und darum haben Sie mich heute an Stelle Ihres Gatten zum Schlachtopfer erkoren.“

„Durchaus nicht.“ erwiederte ich rasch; „das geschah zur Vorbereitung auf Ihren eigenen zukünftigen Haushalt!“

„Niemals!“ erwiederte er mit einem plötzlichen Rückfall in die düstere Weltfeindlichkeit. Aber wir zogen ihn bald wieder heraus. Der Unsinn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_619.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2023)