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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


und jede Hausfrau sollte wissen, daß von solchen Stellen aus die Fäulniß ihren Anfang nimmt.

Wie die klugen Jungfrauen bereits bei Zeiten ihre Lampen mit Oel füllten, so sollten die deutschen Hausfrauen, denen der häusliche Friede am Herzen liegt, niemals ihr Fleisch erst unmittelbar vor der Bereitung des Mahles kaufen, sondern sie sollten sich ihren Bedarf auf längere Zeit sichern und ihn in der angegebenen Weise behandeln; die bewußte alte Kuh wird dann bald in völlige Vergessenheit gerathen, da selbst das Fleisch wohlbetagter Milchspenderinnen einer so liebevollen Behandlung gegenüber seinen zähen Charakter nicht aufrecht erhalten kann, sondern mürbe und weich wird.

Und nunmehr, verehrte Leserin, Einiges über den Fleischeinkauf selbst. Handelt es sich darum, deinen Bedarf an einem so gewöhnlichen Artikel, wie die Kartoffel, zu decken: du wirst beim Einkaufe die ganze Summe deines Scharfsinnes aufbieten, um ja sicher zu sein, daß das genannte Gewächs auch von tadelloser Beschaffenheit ist; verwendest du aber eine gleiche Sorgfalt auch auf das Erstehen des wichtigsten und theuersten Nahrungsmittels? Gewiß nicht! Nur wenige Frauen können es mit den konventionellen Begriffen von deutscher Hausfrauenpflicht in Einklang bringen, selbst in den Laden zu gehen, um das Fleisch nach eigener Wahl zu kaufen, fast allerwärts überläßt man die Sorge für das Fleisch den Dienstboten oder man begeht den kaum geringeren Unfug, sich das Fleisch auf vorherige Bestellung vom Metzger ins Haus bringen zu lassen. Es entzieht sich so völlig der Kenntniß der Hausfrau, wie das Fleisch vom Stück ausgeschnitten wird, und doch kann man nur durch eine solche zu der Fähigkeit gelangen, ein Stück Fleisch seinem wahren Werthe nach zu beurtheilen.

Also fort mit dem falschen Schamgefühl, das dich, deutsche Hausfrau, vom Fleischerladen fern hält, selbst hin zum Fleischer, der keineswegs ein abgefeimter Bösewicht, sondern ein Mann ist, der die Ehre deines allerhöchsten Besuches sehr wohl zu schätzen weiß, und dem nichts erwünschter ist, als mit dir persönlich in Verkehr zu treten, da er trotz seiner robusten Körperkonstitution im beständigen Umgange mit deinem störrischen und verbohrten Küchengesinde schließlich doch merkt, daß er Nerven hat. Selbst hin zum Fleischer, deutsche Hausfrau, du könntest es sonst erleben, daß dein Herr und Gebieter trotz seiner scheinbaren Sanftmuth sich eines Tages offen gegen die bestehende Hausordnung auflehnt, daß er mit kühnem Heldensinne ein Verhältniß zerstört, das offenbar nur dazu da ist, ihm täglich neue Tantalusqualen aufzuerlegen, und daß er – nach dem Vorbilde seiner praktischeren Leidensgefährten in Amerika und auch in England – den Einkauf des Fleisches selbst in die Hand nimmt.

Es sind in Deutschland vielfach Stimmen laut geworden, welche darauf hinweisen, daß der Werth eines Stückes Fleisch in hohem Grade abhängig sei von der Körperstelle, der es entstamme, und man hat eine strenge Klassifikation des Fleisches nach Körperregionen gefordert, wähnend, daß durch eine solche aller Qual mit einem Schlage ein Ende bereitet werde. Man hat hierbei mit besonderer Vorliebe auf die Beispiele in England und Frankreich hingewiesen, wo hin und wieder eine Eintheilung des Fleisches nach Körperregionen vorgenommen wird.

Vielleicht kühlt es unsere Gelüste nach fremden Bräuchen einigermaßen ab, wenn wir hören, wie ein so wohlerfahrener Mann wie Vilain, der Oberthierarzt bei der städtischen Fleischbeschau in Paris, sich über den Werth solcher Eintheilungen äußert:

„Gewisse Städte haben noch Marktordnungen, welche einen Verkauf des Fleisches nach Qualitäten regeln; aber diese Eintheilung ist willkürlich und kann keinen rechten Nutzen bringen, da der Fleischer sich bemüht, Alles als Fleisch erster Qualität zu verkaufen. Thatsächlich verzehren die Bewohner dieser Städte fast alles Fleisch unter der pomphaften Bezeichnung: Fleisch erster Qualität.“

In der Heimath der deutschen Gründlichkeit hat man es nicht für überflüssig gehalten, mit der chemischen Wage in der Hand nachzuspähen, ob nicht der Eintheilung nach Körperregionen doch ein weiser Kern innewohne, es ist das indessen, wie vorherzusagen war, eine reine Sisyphusarbeit gewesen, Differenzen im Nährstoffgehalt, die bestimmend auf den Marktverkehr einwirken, vermochte auch die beste chemische Spürnase in den Fleischproben, die den verschiedensten Körperstellen entnommen waren, nicht aufzudecken.

Merke dir nun, geneigte Leserin: von einem brauchbaren Familiengliede der Species Hausrind ist alles Fleisch gut und wohlschmeckend, mit Ausnahme der reichlich mit Sehnen und Sehnenhäuten versehenen Theile an den unteren Abschnitten der Gliedmaßen und dem Kopfe, dem sich dann noch gewisse Stücke vom Halse und die unteren Bauchwandungen zugesellen. Einen ganz hervorragend zarten Charakter zeigt das Lendenfleisch oder – um mich eines in Deutschland besser bekannten Ausdruckes zu bedienen – das Filet; es liegt unterhalb der Wirbelsäule in der Lendengegend, doch merke dir, daß es bei allen seinen sonstigen Vorzügen seinen ganzen Heiligenschein erst durch eine kunstgerechte Würzung und Zubereitung erhält und daß es ohne eine solche unangenehm weich und fade von Geschmack ist. Körperabschnitte mit einer recht dicken Muskulatur – sie sind oben am Rücken (hier wächst das Roastbeef) und in der Beckengegend zu suchen – liefern ein besonders geschätztes Fleisch. Abgesehen von den oben genannten Ausnahmen richtet sich der Werth eines Stückes Fleisch weniger nach der Stelle seiner Abstammung, als nach der Dicke seiner Muskulatur und seinem Gehalte an Fett, Knochen und Sehnen. Das Fleisch ist ganz allgemein um so werthvoller, je dicker und massiger die rothe Fleischmasse selbst, je geringer deren Gehalt an Sehnen und Sehnenhäuten, je schöner die Fleischmasse auf dem Querschnitte marmorirt und je zarter sie mit Fett durchwachsen erscheint, je weniger Talg zwischen den einzelnen Muskeln abgelagert ist (es giebt Fleisch, welches sich besser für die Talgschmelze als für die Küche eignet) und je geringer sich der Knochengehalt erweist. Das Mengenverhältniß zwischen eigentlichem Fleisch, Knochen und Fett muß also bestimmend auf den Marktpreis des Fleisches einwirken.

Die vielgeschmähten Knochen verachte nicht grundsätzlich, sie sind ein nothwendiges Uebel, und du mußt sie – um mich des geflügelten Wortes eines Berliner Fleischers zu bedienen – so lange willig hinnehmen, bis es den Fortschritten des Darwinismus gelungen sein wird, ein Rindvieh zu züchten, das statt auf Knochen auf Bratwürsten läuft. Finde im Uebrigen einigen Trost in dem zutreffenden alten Sprichwort: „Je näher dem Knochen, desto süßer das Fleisch“, tröste dich aber vor allen Dingen auch damit, daß knochenreiches Fleisch weit billiger im Preise ist als knochenarmes.

Und nunmehr, geehrte Leserin, lebe für heute wohl! Empfange den Dank dafür, daß du mich in Geduld und Sanftmuth hast ausreden lassen; bin ich dir nicht zu langweilig erschienen, so gestatte mir demnächst auf kurze Zeit Eintritt in dein chemisches Hauslaboratorium, damit wir, wenn wir hier unter vier Augen sind, ein recht wichtiges Kapitel, „die Küchenphysiologie des Fleisches“, erfolgreich besprechen können. Also, verehrte Leserin, auf Wiedersehen in der Küche!




Blätter und Blüthen.

Ein Brief von Ottilie Wildermuth. Der verstorbenen Schriftstellerin Ottilie Wildermuth ist in Tübingen, wo sie lange Jahre lebte und wirkte, ein Denkmal errichtet worden, und zwar am Neckar, im schönsten Promenadentheil. Das reich und geschmackvoll ausgehauene Denkmal hat einen achteckigen Sockel, der auf einer starken Sandsteinunterlage steht. Eine Inschrift unter dem kräftigen Gesims trägt die einfachen Worte: „Ottilie Wildermuth gewidmet von deutschen Frauen“. In halber Höhe des Aufbaus ist die überraschend ähnliche Büste der Dichterin in Hautrelief in Bronzeguß eingelassen. Die Eröffnungsfeier fand am 10. August unter Reden und Gesängen statt; Karl Gerok feierte die entschlafene durch ein Gedicht voll echter Empfindung; die Verehrung, welche ihr von Alt und Jung gezollt wird, zeigte sich bei dieser Feier im schönsten Licht.

Die Töchter der Schriftstellerin, Agnes Willms und Adelheid Wildermuth, wollen ihr aber auch noch ein litterarisches Denkmal setzen und die Biographie derselben größtentheils auf Grund ihrer eigenen Aufzeichnungen und Briefe herausgeben. Wir sind in der Lage, unsern Lesern einen dieser Briefe, welcher über die vielbesprochene Frage der Frauenschriftstellerei handelt, mitzutheilen. Er ist an Robert Prutz gerichtet und lautet:

 „Verehrter Herr!
Obgleich wir in einer Universitätsstadt, also an einer Quelle geistigen Lebens wohnen, genießen wir doch den Nachtheil – oder Vortheil? alle litterarischen Neuigkeiten erst zu Gesicht zu bekommen, wenn die Zeit, in der sie entstanden sind, gehörig ausgegohren hat.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_646.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2023)