Seite:Die Gartenlaube (1887) 657.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Vor Metz.

Eine Kriegserinnerung an den 16. August 1870.
Von E. v. Wald-Zedtwitz.

Wie hieß es doch, das alte Château? – – Château – Mon – Monte – Montagnard! Richtig!

Es sah aus wie ein Mausoleum im großen Stile. Graue, düstere Mauern, darin Fensterchen, schmal und winzig und in so geringer Zahl, daß man nach ihnen suchen mußte. Vier spitze, altmodische Giebel sahen nach allen vier Richtungen der Windrose aus, hinter ihnen strebte das Dach zusammen, von einem ehemals wohl vergoldeten, jetzt aber rostbraunen, im Verhältniß zu dem Ganzen viel zu großen Kreuze gekrönt.

Unheimlich – und dennoch das freudig ersehnte und jubelnd begrüßte Ziel meiner Kompagnie sowie ihrer Officiere und ihres Führers. Ein „höllischer“ – ein Kriegsmarsch im wahren Sinne des Wortes war’s gewesen. Heute Morgen noch einige Meilen hinter dem Schlachtfelde des 14. August, dann quer über das Leichenfeld hinüber – ein unerfreulicher Weg, um eine Stunde von Novéant diesseit der Mosel in Château Montagnard Alarmquartiere zu beziehen, denn das alte Raubnest lag mitten in dem eisernen Ringe, welcher sich nach und nach um den Riesenleib der Jungfrau Metz schmieden sollte.

Alarmquartiere! Also nach vierzehn Tagen wieder einmal eine Decke über den Kopf, Dielen unter den Füßen und – wenn’s Glück gut ist – eine Matratze oder ein ehemaliges Luxussofa, auf dem sich die ermüdeten Glieder strecken können.

Was das bedeutet, wenn man vierzehn Tage nur den griesgrämigen Regenhimmel, dem am Tage die Sonne, in der Nacht Mond und Sterne den Dienst versagten, über sich, einen sumpfigen Wiesengrund oder den Sturzacker unter sich spürte, wo selbst dem Anspruchsvollsten eine Schütte Stroh als ein kostbares Geschenk erschien!

„Château – feudaler Sitz – Haushofmeister – seidene Strümpfe und Schnallenschuhe – geflüchtete Marquise – Weinkeller – uralter Bordeaux – Veuve Cliquot – Küchenjunge – Bratenspieß – – das Wasser läuft mir schon im Munde zusammen – Poularde de BrestDindon aux truffes etc.“ – deklamirte der Premierlieutenant meiner Kompagnie, Maximilian von Westenberg.

Je näher wir dem alten Bau kamen, desto unwahrscheinlicher wurde es, daß er die Heimstätte der angenehmen Begriffe war, welche diese Worte bezeichneten.

„Rattennest – Burgverließ – hu – Gespenster – Knochengerüst – Särge – trockenes Brot und Wasser – Hunger – Durst –!“ deklamirte von Westenberg wieder.

„Schadet nicht, doch wenigstens ein Obdach!“ Damit suchte ich mich selbst und ihn zu trösten.

Von allen Seiten Soldatenströme. Metz zog, was kampfgerüstet war, magnetisch an, Château Montagnard schien ein Brennpunkt zu sein, ein Zankapfel war es jedenfalls. Der dicke Rittmeister der württembergischen Ulanen wenigstens versuchte es mir so energisch streitig zu machen, daß ich endlich die Hilfe meines Brigadekommandeurs in Anspruch nehmen mußte. Der arme, wohlbeleibte Württemberger! – Mutter Grün bot ihm und den Seinigen auch heute wieder Nachtquartier.

Westenberg hatte leider mit seinen letzten Stichworten das Richtige getroffen: alte, verwetterte Räume, dumpfe, eingeschlossene Luft, kaum trockenes Brot, Dindon aux truffes ein mehr als kühnes Phantasiegebilde – und statt des Haushofmeisters in Escarpins und Schnallenschuhen eine alte, griesgrämige, schlumpige Hexe als Cerberus dieses reizlosen Heims.

Meine Kompagnie ist in den zerfallenen Ställen und im sogenannten Ahnensaal untergebracht, obgleich auch nicht ein einziges Bild des Rittergeschlechts Montagnard diese Bezeichnung rechtfertigt – wahrscheinlich sind die alten Gemälde irgendwo versteckt oder die Ratten haben sie aufgefressen.

Ich liege auf einem zerschlissenen, mit großblumigem Seidenstoffe überzogenen Staatssofa in einem Zimmer des unteren Stockes. Neben mir auf einer zerflederten Matratze Premierlieutenant von Westenberg; in einer eisernen Bettstelle der Lieutenant Mackowski, ein geborner – wie wir seiner Sprache wegen scherzten, „gebrochener“ – Pole, und Fähnrich von Ucker balancirt auf einem dreibeinigen Rokokostuhl, der in besseren Tagen vier Füße und reiche Vergoldung aufzuweisen hatte.

Trotz der vorgerückten Jahreszeit haben wir uns im Kamin ein Feuer angezündet – dennoch ist uns zu Muthe, als säßen wir im Keller. Dem Fähnrich ist das Amt des Koches zugefallen, er ist für den Punsch verantwortlich, der im Feldkessel seine ersten Wallungen versucht.

„Fertig, Fähnrich? – Kosten!“

„Hm – da fehlt noch Gewürz, Citrone – und Gott weiß was.“

„Wahrscheinlich Alles! Haha –!“

„Ich werde doch einmal eine Rekognoscirungspatrouille übernehmen, ob nicht – für Geld und gute Worte –“

Er ist schon hinausgegangen – – und richtig, nach kurzer Zeit kehrt er nicht allein mit den kostbaren Gewürzen zurück, sondern hinter ihm erscheint, im höchsten Diskante lachend, die alte Schloßwardeinin, zwei bestaubte Flaschen unter dem Arme. Er selbst brüllt vor Lachen.

„Das Donnerwetter, Fähnrich, wie haben Sie denn das angefangen?“

„Rathet, Messieurs, rathet und bewundert meinen Opfermuth – haha!“ entgegnet der Junker.

„Hihihi!“ kichert dabei die Alte.

„Das ist unbezahlbarer Kognak! Für Geld ist er zum zweiten Male nicht in ganz Frankreich zu haben – hahaha!“

„Hihihi –“ hört man immer noch die Alte, und dabei laufen ihr die Thränen über das faltige Gesicht. Wie ein Raubvogel sieht sie aus.

„Nun für was denn, Junker?“

„Für – für – haha – für einen Kuß!“

„Einen Kuß!? – Mensch, Sie sind des Deibels! Sie – haben – – – der alten – Kartaune da –!?“

„Für einen Kognak von Anno 1847 – natürlich – das Leben gäbe ich darum!“ ruft vergnügt der Fähnrich. „Die alte Hexe wollte ja nun einmal durchaus einen Kuß von einem preußischen Junker haben.“

Wir hörten noch immer das schrille Lachen der Frau, doch nach und nach ging dasselbe in ein Schluchzen über, und endlich weinte sie laut auf. Der Eindruck war eigenthümlich, wir schwiegen und sahen uns betroffen an.

„Na, Alte, lag Euch denn gerade an einem Kuß von einem preußischen Junker?“

Sie nickte und weinte nun still vor sich hin.

„Aber warum mußte es denn gerade ein Junker sein?“

Sie wurde still, starrte ins Feuer, und als ich mir das jetzt durch den Widerschein der Flammen lebhafter gefärbte Gesicht näher ansah, bemerkte ich erst, daß ihre Züge noch immer edle Linien zeigten und daß sie in der Jugend gewiß schön gewesen war. Ihr eingefallener Busen kämpfte, tiefe Bewegung zuckte über ihr Gesicht.

„Das sind so Erinnerungen, so alte –“ Sie wandte sich beschämt ab. „Von damals noch, Messieurs, als die Preußen schon einmal zu uns kamen –“

„Aha – als wir Napoleon dem Ersten die Hosen klopften.“

Sie nickte. „Hm – ja – bon soir, messieurs!“

„Halt – hier geblieben! War damals Château Montagnard eben so gastlich wie heute?“

„Fast eben so.“

„Nur Ihr wart jünger – haha?“

„Freilich – freilich!“

„Da hattet Ihr auch preußische Einquartierung?“

„Hm – hm –“

„Und einen Junker? Ich merke – ja, ja, das sind Teufelsbengel! Saßen unsere Kameraden von damals auch so wie wir ums Feuer? Brachten Sie ihnen auch alten Kognak? Nun, so erzählt doch, Mutter! Was machtet Ihr denn? Wie war’s denn? – Raus mit der Sprache! – Wie heißt Ihr denn?“

„Nanette, mein Herr.“

„Nun also, wie war’s?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 657. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_657.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)