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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

mit Menschen angefüllt, das Zaunthor weit geöffnet, hoch über den Köpfen der Leute schwankte der buntbebänderte Stab des Hochzeitladers; ein langer Zug entwickelte sich aus der Hausthür; ihm schlossen sich die Menschen, die den Hofraum füllten, in drängenden Gruppen an, und während die Musikbande unter schmetternden Klängen schon in die Straße schwenkte, blitzten hinter den Scheunen all der Nachbarhöfe die krachenden Schüsse auf.

Eine fahle Blässe hatte das Gesicht des Burschen überzogen; weit offen starrten seine Augen, seine Züge verzerrten sich; die dünne Gerte mit der Blätterquaste, die er sich im Walde geschnitten, sank ihm aus den zuckenden Händen und keuchende Athemzüge erschütterten seine Brust. Er stand, als hätte der Anblick einer gespenstigen Erscheinung seine Glieder gelähmt. Doch als die lustigen Töne des Hochzeitmarsches sich mehr und mehr entfernten, als der Letzte des Zuges hinter den die Straße deckenden Häusern verschwand, da schien ein Taumel die Kniee des Burschen zu brechen. Stöhnend raffte er sich auf. „Vater – Vater –“ kreischte er in schluchzenden Lauten gegen die Straße nieder, schlug die Hand in den Nacken, um die sinkende Mütze auf seinem Kopfe zu halten, und keuchend, stöhnend und schluchzend stürmte er in wahnsinnigem Laufe thalwärts über die Wiesen. Von Sekunde zu Sekunde steigerte sich noch die Hast seines Laufes. Doch als er die Stelle erreichte, an welcher sich der Wiesengrund in steiler Neigung gegen den umzäunten Garten senkte, verlor er die Gewalt über seinen Körper. Er stürzte und wurde mit der ganzen Wucht des jähen Sturzes wider den Gartenzaun geschleudert, daß dieser krachend unter ihm zusammenbrach.

Rasche Tritte näherten sich vom Hofe – und Götz erschien. „Ja was is denn –“ rief er über den Garten her, um erblassend zu verstummen, als er jenen gewahrte und erkannte, den er in weiter Ferne wähnte. „Jesus Maria – Karli – Du!“ stammelte er, sprang herbei und zog den Halbbewußtlosen an seine Brust empor. „Ja mein lieber, lieber Herrgott – was is denn da jetzt g’schehen! Und heut’ g’rad hat Dich Dein Unstern heimführen müssen – heut’ g’rad – Du armer Bua!“

„So – Du – Du bist da!“ glitt es in tonlosen Worten von Karli’s zuckenden Lippen. „Jetzt da schau her – a Knecht daheim – daheim, wenn sein Bauer sein Bauer Hochzeit halt’.“

„Wer hätt’ denn nachher ’s Haus g’hüt’t, wann Alles bei der Gaudi is! Aber geh, Karli – komm – kannst Dich ja schier net auf die Füß’ verhalten – schau’, da – da setz’ Dich a Bißl her!“ Er zog ihn nach einer nahen Gartenbank und drückte ihn darauf nieder. „So, schau’, und g’rad a wengerl hab’ Dich jetzt stad, weißt, daß ich Dir um an Trunk Wasser schauen kann.“

Schwerathmend, zitternd am ganzen Körper, das bleiche Gesicht von Schweiß bedeckt, saß der Bursche und starrte mit irren Augen dem Knechte nach, der um die Scheune verschwand.

Mit einem Krug voll Wasser kehrte Götz zurück. Karli trank in langen Zügen, und wortlos ließ er es geschehen, daß ihm Götz mit nassem Tuche das Gesicht erfrischte. Dann plötzlich krampfte er die Hände um den Arm des Knechtes und schluchzte: „Götz – Götz – sag’ mir’s, Götz – ich hab’s ja g’sehen – hab’s g’sehen mit die eigenen Augen – aber sag’ mir’s – sag’ mir’s Du – is denn auch wahr – sag’, Götz, sag’, därf’s denn wahr sein, daß der Vater so – so was thun kann?“

„Geh’ weiter, Karli, schau’, was hilft denn ’s Reden jetzt! Geh, komm mit ’rein ins Haus! Mag’s jetzt sein, wie’s will – jetzt heißt’s halt: tragen – daß Dich zum Schaden net auch der Spott noch trifft! Schau’ – es is g’rad wegen die Nachbarsleut’! Da spitzt ja schon einer her über d’ Hecken – so dumm! Geh’ – komm mit ’rein ins Haus!“

Götz warf noch einen zornigen Blick auf die nahe Hecke hinüber; dann zog er den Burschen am Arme mit sich fort ins Haus.


(Fortsetzung folgt.)




Der Raub in der Thierwelt.


Charakterdarstellungen von Adolf und Karl Müller. Mit Originalzeichnungen von Adolf Müller.


II.


Vor einiger Zeit (vergl. Jahrgang 1886, S. 598 und 635) haben wir ein Gemälde der hervorragendsten Räuber unter den Säugethieren unserer Heimath vor den Augen unserer Leser entrollt. Wir räumen jetzt das Feld den geflügelten Räubern zur Entfaltung der Eigenthümlichkeiten ihres Raubwesens.

Hoch im Aether schwebt über Bergeshängen und Matten der stolze Steinadler. Ruhig zieht er seine Kreise, und es scheint, als wolle dieser Herrscher der Lüste majestätisch den ewigen Frieden der Erdenwelt diktiren. Aber sein Auge sucht nur in der Runde die Gegenstände seiner heißen Mordlust. Es ist wie ein Fernrohr, dieses Auge, welches die Objekte nahe rückt; zusammenziehbar und ausdehnungsfähig erscheint die Pupille und dieser Wechsel vollzieht sich blitzschnell nach Bedürfniß und Umständen. Die Wahrnehmungen werden alle seelisch verarbeitet. Die Beute, welche den Räuber mächtig anzieht zum Ueberfall in die Tiefe, die Nähe des Hirten, die Schwere des Raubes, welcher wie Bleigewicht an den Fängen hängen und den Vogel an den Boden bannen würde, die Gefährlichkeit des bewaffneten Mannes oder die Ohnmacht des Kindes – kurz, eine ganze Summe von Gedanken, Schlüssen und wechselnden Empfindungen drängt sich in der Seele des Adlers zusammen bei aller scheinbaren Ruhe und Gleichgültigkeit. Da tauchen Erinnerungen in seinem Kopfe auf an Thaten der Vortage, der Vormonate, der Vorjahre, und die Uebung im täglichen Ausspähen des weiten Plans in der Runde macht ihn zum Meister in der Kombination, zum Beherrscher seiner selbst, zum Strategen im Guerilla- und Franctireurkriege, den er jedoch entweder nur allein oder in Gemeinschaft des Ehegatten führt.

„Ich habe,“ sagt Girtanner, „den Steinadler und sein Weib oft ganze Alpengebiete so regelrecht absuchen sehen, daß ich in der That nicht begreifen könnte, wie diesen vier Adleraugen bei so überlegtem Vorgehen auch nur eine Feder hätte entgehen mögen. Von der Felsenkante in der Nähe des Horstes gleichzeitig abfliegend, senkt sich das Räuberpaar rasch in die Tiefe hinab, überfliegt die Thalmulde und zieht nun an dem unteren Theile der Gehänge des gegenüberliegenden Höhenzugs langsam in wagerechter Richtung dahin, der eine Gatte stets in einiger Entfernung vom andern, doch in gleicher Höhe, so daß, was dem ersten entgangen, dem nachfolgenden um so sicherer zu Gesicht und was etwa von jenem aufgescheucht, diesem um so bestimmter in die Krallen kommen muß. Auf diese Weise am Ende des Gebirges angelangt, erheben sich Beide, um hundert Meter und darüber aufzusteigen, ziehen in dieser Höhe in entgegengesetzter Richtung zurück, erheben sich sodann wieder und suchen so in weiten Zickzacklinien den ganzen Gebirgsstock aufs Sorgfältigste ab.“

Der Adler weiß auch zu warten und die Zeit zu benutzen; er versucht zu täuschen, gedeckt zu nahen, zu überraschen, jäh herniederzufahren. Charakteristisch bleibt bei seinen Raubthaten die furchtbare Gewalt seines Niedersausens, seines mit allem Kraftaufwande geführten Schlags beim Angriff.

Beim Anblick der Beute senkt sich der kreisende Räuber erst in Schraubenlinien hernieder; dann legt er die Schwingen dicht an und fährt wie ein sausender Pfeil schief zur Erde herab, seine beiden weit vorgestreckten geöffneten Fänge dem Thiere in den Leib schlagend. Um das Gleichgewicht zu erhalten, stützt er sich mit den ausgebreiteten Schwingen und dem Schwanz. Den bissigen, wehrhaften Thieren schlägt er den krampfhaft sich zusammenziehenden Fang um den Hals, um sie zu ersticken, oder deckt das Gesicht, zermalmt mit dem Schlage das Gebiß, während der andere Fang in die Brust oder die Weichtheile sich eingräbt.

Mit furchtbarem Andrang greift auch der Bart- oder Lämmergeier die Beute an. Mit rasenden Flügelschlägen drängt er das widerstrebende Opfer an den Rand des Abgrundes, sucht es zu betäuben, zu blenden, zu verwirren und über die Felswand hinabzustürzen, mit dem Schnabelhaken und den Fängen es fortzureißen zur entscheidenden Stelle, um dann im Siegesgefühl gemessen hinabzuschweben in die gähnende Tiefe.

Was will gegen solche Großartigkeit das niedere Gebahren des Schmutz- oder Aasgeiers sagen, dieses Vielfraßes, von dem wir

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_682.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)