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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

schmale Frau war sie, mit einer Oberlippe, wie Papa, wenn er sich nicht rasirt hat, und sprach mit einer Husarenstimme. Gegen Tante schien sie gereizt, ich weiß nicht weßhalb. Ihre Tochter ist sehr hübsch, sie hat traurige Augen und einen lachenden Mund. Die alte Baronin trug eine verblichene Atlastoilette, die Tochter aber war frisch und kleidsam angezogen.

Herr von Trauermantel-Papier war noch um zehn Grad wärmer als am Vormittag. Er stand an der Thür, als wir eintraten, und griff nach meiner Hand, sobald er Tante begrüßt, die ihn schon ganz bekannt anlächelt.

„Ich bin so glücklich, Sie abermals zu sehen,“ redete er mich an, „freuen Sie sich denn auch ein Bischen darüber?“

Ich verzog keine Miene. „Ich freue mich immer, mit Tante in Gesellschaft zu gehen.“

„Sie ist noch ein scheues Ding, die das rechte Wort nicht findet,“ sagte Tante und kniff mich dabei in den Arm.

„Wer wollte sie anders wünschen! Diese jungfräuliche Herbheit ist ja ein besonderer Reiz!“ aber er seufzte doch dabei.

Ich glaube, die Baronin mit der Husarenstimme hätte es gern, wenn ihre Tochter auch ein coup de foudre für den Trauermantel wäre, wenn ich nur wüßte, wie ich ihr dazu verhelfen könnte! Sie kam immer, wenn er sich gerade neben mich setzen wollte, und fing ein Gespräch mit ihm an.

„Mein lieber Vetter – warum sieht man Sie denn gar nicht mehr in der Ostra-Allee?“

„Die Blumenausstellung zum Besten der Volksküchen hat mich sehr in Anspruch genommen.“

„Was macht denn Ihre Musik?“

„So so – la la! – Gnädiges Fräulein sind auch musikalisch?“ wendete er sich an mich.

„Ich höre gern Musik …“

„Das ist freilich genügsam,“ sagte die Baronin, „Annette hat zwei reizende vierhändige Piècen von Schullzoff zu Hause – wann wollen Sie mit ihr spielen?“

„Nächste Woche … ich kann den Tag noch nicht bestimmen …“

„Annette, Du sollst etwas musiciren,“ rief sie dem jungen Mädchen zu.

„Nicht doch, Mama!“

Aber Herr von Tranermantel war sogleich aufgesprungen und hatte das Piano geöffnet.

„Fräulein Annette wird vorspielen,“ rief er der Gräfin Nolimé ins Ohr und führte das junge Mädchen dann ans Instrument. Sie ließ sich nicht lange bitten.

Tante sah sich etwas beleidigt nach der Husarenstimme um, als ob sie ihr einen Vorwurf mache, Herrn von Trauermantel von meiner Seite entfernt zu haben. Er kam leider bald zurück, schob seinen kleinen Sessel noch etwas näher an meinen Stuhl als vorher und flüsterte mir zu. „Ich begünstige die Musik, weil wir uns dabei ungestörter unterhalten können – begreifen Gnädige?“

Ich begriff. „Aber ich liebe die Musik und möchte zuhören!“ rief ich schnell. Ich fange an, mich vor ihm zu fürchten.

Er lehnte sich zurück und sah mich von der Seite an.

Das junge Mädchen war sicher eine echte Künstlerin. Ihr Spiel glich mehr ihren traurigen Augen als dem lachenden Munde. Sie fixirte manchmal ein ihr gegenüberhängendes Oelbild, aber ich glaube nicht, daß sie den Ritter mit schwarzem Barett und langer weißer Feder sah, der darauf gemalt war. Ihre Gedanken schienen auch nicht allein bei der Musik zu sein – vielleicht hat’s ihr auch Jemand angethan, daß sie immerfort an ihn denken muß! …

Drei alte Herren in einer Fensternische fuhren trotz des Spielens fort, sich zu unterhalten. Der eine sprach sogar heftig und gestikulirte dabei.

Herr von Trauermantel zuckte die Achseln, als ich eine mißbilligende Bewegung machte.

„Bei dem Leichenmarsch kann man es ihnen nicht verdenken,“ flüsterte er mir zu.

Es schien mir, als ob die alte Baronin seine Worte errathen hätte.

„Spiele doch etwas Pikantes – etwas Heiteres, Annette!“ kommandirte sie nach dem Flügel.

Da schloß das junge Mädchen mit einem ungeduldig hingeschleuderten Accord ihr Adagio und begann Cadenzen zu rollen, erst mit einer, dann mit der andern, dann mit beiden Händen. Drauf legte sie die Rechte bei Seite, als sollte die sich ausruhen, und spielte im Baß allein mit der Linken. Plötzlich fuhr die Rechte wieder dazwischen, beide Hände sprangen im höchsten Diskant abwechselnd in die Höhe wie junge Ziegen auf einer Wiese, wirbelten dann mit fabelhafter Geschwindigkeit in den Mitteltönen herum und paukten die Schlußaccorde so laut, als sollte man sie in der nächsten Straße hören.

„Bravo – bravo! Ja, sie versteht’s!“ schrie jetzt der Trauermantel und klatschte, was das Zeug hielt. Und die Gräfin Nolimé, die den Spektakel auch gehört, klatschte ebenfalls – wie alle Welt, selbst die drei Schwadroneurs in der Nische. Die Papierbaronin aber sah sich sehr befriedigt um.

Ich ging auf das junge Mädchen zu und drückte ihr die Hand. Ihr lachender Mund schien mir in der Nähe weniger von einer fröhlichen Stimmung abzuhängen als von einer etwas kurzen Oberlippe, welche die schönen Zähne fast immer ein wenig sichtbar ließ. Sie sah mich befremdet, fast feindselig an. Gleich stand auch der Trauermantel neben uns. Er machte ihr Komplimente über ihr Spiel.

„Dein Lob will nichts sagen,“ rief sie mit einem pikirten Ausdruck, „Du hast nur Jahrmarktsgeschmack!“

Dabei wandte sie uns den Rücken. Die Herren in der Nische waren unterdeß schon wieder an einander gerathen.

„Wie kann man sich in einer Gesellschaft so zanken!“ sagte ich zu Herrn von Trauermantel.

„Zanken! Gnädige, Sie profaniren den Eifer für die Wissenschaft durch dieses Wort. Gelehrte nehmen es mit ihrer Meinung immer ernst. Onkel Nolimé ist aber stolz, diese geistigen Berühmtheiten in seinem Hause zu empfangen – sehen Sie nur, wie er schmunzelt!“

Wirklich; der alte Graf – sehr alt und runzlig, aber in einem ganz hellen Anzug und hellblauem Schlips – saß zwischen den Streitenden und lächelte bald dem einen, bald dem andern zu.

„Ich dachte, über so eine alte Geschichte, wie die der Jungfrau von Orleans, könnte man nicht mehr verschiedener Meinung sein?“

Trauermantel blickte mich zum ersten Male etwas überlegen an: „Ich habe der Debatte im Anfang beigewohnt. Sie ist höchst interessant. Es handelt sich nämlich darum, wie die heutige Karte von Frankreich aussehen würde, wenn die Engländer die Jungfrau von Orleans damals nicht verbrannt hätten. Professor Gründlich spricht den Franzosen in diesem Falle den ganzen südlichen Theil von England zu.“

„So war es doch wohl gut, daß man die Arme verbrannte?“

„Für uns jedenfalls. Aber dabei beruhigen sich die Herren noch lange nicht. Sie werden heut kaum zu einem Resultate kommen.“

Während eine große Baisertorte herumgegeben wurde, sah ich Herrn von Trauermantel auf einem Puff neben Tante. Sie sprachen ebenfalls sehr eifrig, ein paar Mal richteten sich Tantens Augen nach mir. Wenn sie nur nicht etwa darüber disputirt haben, wem ich einmal zufallen soll! … Ehe ich diesem Trauermantel gehörte, da wollte ich noch lieber von Engländern verbrannt werden, wie die Jungfrau von Orleans – ja wahrhaftig, das wollte ich!

Als wir heimkamen, sagte Onkel zu Tante: „Ihr kommt recht spät. Heinrich wollte Dir gern sein Kompliment machen und hat gewartet und gewartet. Er wurde zuletzt ganz ungeduldig.“

„Das ist ja etwas ganz Neues,“ entgegnete Tante. „Gewöhnlich hält er mich seiner gelehrten Gegenwart gar nicht für werth.“

„Ich weiß nicht, was er hat,“ fuhr Onkel fort, „er ist in der letzten Zeit recht nervös geworden. Ich denke, sein Verleger chikanirt ihn. weil er das Werk über die Astronomie der Alten nicht für den Osterverlag druckfertig hatte. Der könnte mir auch gestohlen werden, der Bilder und gelehrte Werke nach der Uhr schafft!“

„Er hat eben seine Launen – das ist Alles!“

„Nein – er hat keine Launen!“ fuhr Onkel auf „Er meint’s ernst mit seinem Beruf und ist kein Frauenzimmerheld. Aber das will kajolirt sein – das will flattirt sein! Versteht’s Einer nicht, gleich muß er ,Launen‘ haben. Du wirst ihn übrigens bald los – er geht in den nächsten Tagen nach Leipzig zurück!“

Ich glaubte zu wissen, warum er auf uns gewartet hat – es machte mich froh … aber daß er fort geht, daß ich ihn vielleicht nie wieder sehe! … das machte mich traurig.

Ich trat schnell ans offene Fenster, damit man meinem Gesicht die Gedanken nicht anmerkte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_710.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)