Seite:Die Gartenlaube (1887) 751.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Urwüchsigkeit des Denkens und Empfindens sind die Heldinnen der beiden Romane, die sie in Gemeinschaft mit Mite Kremnitz unter dem Namen „Dito und Idem“ veröffentlicht hat: Astra in dem Romane „Astra“ (1885) und die Prinzessin Ulrike in dem Roman: „Aus zwei Welten“ (1886). „Astra“ spielt in dem Grenzlande Rumäniens, der Bukowina, und die Dichterin hat das Lokalkolorit ihrer neuen Heimath in stimmungsvoller Weise wiedergegeben, wie durch den andern Roman der Hauch und Duft der Rheinlande weht und das Leben auf einem rheinischen Fürstenschlosse mit jener Wahrheit geschildert wird, wie sie nur aus eigener Anschauung hervorgeht. Astra besucht ihre Schwester, die einen Gutsbesitzer Sanden geheirathet hat; in das gaukelnde Irrlicht, die anmuthige Schwägerin, verliebt sich Sanden, und das führt zu einem tragischen Konflikt. In dem andern Roman gewinnt die junge Prinzessin eine lebhafte, durch einen Briefwechsel genährte Neigung zu einem Professor der Kunstgeschichte, dessen Hauptwerk sie mit Bewunderung gelesen hat. Der Briefwechsel führt zu persönlicher Begegnung und diese zu einem Bunde fürs Leben, gegen den Willen der Familie der Prinzessin, die, aus derselben verstoßen, dem Manne ihrer Wahl folgt; doch auch hier in der Welt des Bürgerthums vermag sie erst nach einem schweren Konflikt mit dem eignen Manne heimisch zu werden, der ihr die Reise ans Krankenbett des Vaters verbietet. Beide Romane sind in der Form des Briefwechsels und der Tagebücher geschrieben, ausnehmend eigenartig, oft von genialem Humor durchdrungen, namentlich die Briefe des Professors.

Carmen Sylva braucht nicht die Reklame, die in ihrer Königskrone liegt, um die Blicke auf ihre Dichtungen hinzulenken: ihr originelles bedeutendes Talent würde Aufsehen erregt haben, auch wenn sie in dem einsamen Dachstübchen eines Bürger- oder Proletarierhauses ihre Werke verfaßt hätte.




Der Unfried.
Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)

Als nun der Bursche lang ausgestreckt auf seinem Lager ruhte, verging ihm noch ein Viertelstündchen in wechselnden Gedanken, bis der gesunde Schlaf ihn überkam, den Götz ihm gewünscht. Und da spann sich ihm der letzte Gedanke – der Gedanke an Sanni – hinüber in einen sorgenlos glückseligen Traum. Das war eine lange Geschichte von zärtlichen Stunden mit traulichem Plaudern und endlosen Küssen. Und im Schlußkapitel dieser in die Zukunft wandernden Geschichte sah sich Karli in die Stube des Bygotterhäuschens treten, die ein warmes, goldig zitterndes Sonnenlicht erfüllte. Auf einem Stuhle saß der kurirte, lustig lachende Bygotter, von dessen Kopf der Doktor eben eine ellenlange, weiße Binde schälte. Und Sanni stand an der Seite des Vaters, von Sonnenglanz umflossen, mit leuchtenden Augen, mit glühenden Wangen, das gewisse, flimmernde Krönlein über den zierlich geflochtenen Haaren.

Dieser Traum aber – wie wenig entsprach er der Gegenwart und Wirklichkeit!

Nicht warmes, goldig zitterndes Sonnenlicht erfüllte die Stube des Bygotterhäuschens, sondern der röthlich trübe, zuckende Schein eines mit rußender Flamme brennenden Kienspanes, der in einer Klunse des brüchigen Kachelofens steckte. Hinter diesem Ofen lag der Bygotter auf seinem Kotzenbette, mit verbundenem Haupte. Frische Blutspuren zeigten sich auf seiner fahlen, furchigen Wange und von geronnenem Blute war sein Bart verfilzt. Sanni saß vor ihm auf einem hölzernen Schemel, und während sie die Arme des Vaters auf die Decke niederzudrücken suchte, schluchzte und stammelte sie:

„Vaterl – schau – um tausendgotteswillen thu’ ich Dich bitten – hab’ Dich doch stad – und laß mich fortgehn, daß ich um an Dokter schau!“

„Thörin, Du – Thörin! Was schauest Du mit Deinen Augen aus nach Menschenhilfe! Den Gott verderben will, für den ist Hilfe nicht bei Menschenhänden! Den Gott erretten will, den hauchet er an mit seines Mundes Odem – und siehe, er geht gesund von dannen!“

„Vaterl – mein Gott – so laß Dir doch sagen – schau, g’rad a Bißl hab’ Dich stad! Es muß Dir ja schaden.“

„Nein – nein – nicht ruhen will ich und will nicht schweigen – und stille will ich nicht sein! Denn siehe, meine Feinde toben, und meine Hasser heben das Haupt! Herr – Herr – thu’ ihnen wie Midian, wie Sissera, wie Jabin am Bache Kison! Mache sie dem Wirbel gleich – den Stoppeln vor dem Winde! Verfolge sie mit dem Feuer, das den Wald verbrennt und den Berg entzündet! Verfolge sie mit Deinem Sturme – mit Deiner Windsbraut scheuche sie fort! Zu Schanden müssen sie werden – zu Schanden – umkommen in Hohn und Ekel –“

Er wollte vom Lager springen, aber kraftlos sanken ihm die Arme nieder; schwer fiel sein Haupt zurück auf das raschelnde Kissen, und ein gedehntes Stöhnen quoll aus seiner tief einsinkenden Brust:

„O – o – wie glühender Brand ist mein Gebein – meine Zunge klebt am Gaumen – welk gesenget wie Gras ist mein Herz – um Deines Zornes willen – denn aufgehoben hast Du mich und hast mich niedergeworfen –“

Und wieder erstickte seine Stimme unter dumpfem Stöhnen.

In wortlosem Kummer schlug Sanni die Hände vor das Gesicht und weinte:

„Na – na – mein lieber, lieber Herrgott – was thu’ ich denn g’rad – was thu’ ich denn?“

Die flackernde Helle, welche in der Stube herrschte, wurde trüber und trüber. Der Span war niedergebrannt, und glühende Kohlenstückchen fielen von dem qualmenden Stumpfe, der zu erlöschen drohte. Mit einem müden Seufzer erhob sich Sanni, steckte einen neuen Span in Brand und trat die auf den Dielen zerstreuten Funken aus. Dann kehrte sie zum Vater zurück, befühlte in zitternder Sorge seine glühenden Hände und flüsterte: „Vaterl – Vaterl – laß mich doch gehn! Schau, g’rad fliegen will ich – und auf der Stell’ wieder will ich da sein!“

Er schien sie nicht zu hören; schwer athmend lag er, unverständliche Worte raunend, die heißen Augen mit starrem Blick zur Höhe gerichtet. Ohne sich zu regen, ließ er es geschehen, daß ihm Sanni den blutbefleckten Bund von der Schläfe löste. Beim Anblick des zerrissenen Fleisches überrann ein Schauer ihre Schultern. Sie tauchte den Bund in kaltes Wasser und legte ihn wieder über die wunde Stelle. Wankend, als brächen ihr die Kniee, ließ sie sich auf den Schemel nieder, drückte ihre Hände über die Hände des Vaters und hing mit nassen Augen unverwandt an seinem Gesichte.

Lautlose Minuten verrannen. Ruhiger und ruhiger wurden die schweren Athemzüge des Bygotters; seine Züge verloren ihre Starrheit und erschlafften – und da schloß er nun tiefseufzend die faltigen Lider.

Zweimal erhob sich Sanni, um neues Kienholz aufzustecken, und einmal ging sie, ein Fenster zu öffnen, damit der Qualm, der die Stube füllte, einen Abzug fände. Und immer lag der Vater regungslos und mit geschlossenen Augen. Das gewahrte Sanni mit beklemmender Freude. Und da meinte sie, daß sie wohl auch das Haus verlassen könnte, ohne daß der Vater erwachen würde. Es war wohl ein weiter Weg, den sie im Sinne hatte – aber sie selbst brauchte ja diesen Weg nicht ganz zu machen; nur bis zum ersten Hause wollte sie laufen und Jemand wecken, der ihr für gute Worte ins Dorf hinein nach dem Doktor ginge.

Mit vorsichtigem Zögern erhob sie sich, zog ein wollenes Tuch von der Ofenstange und schlang es um die Schultern. Unhörbaren Schrittes näherte sie sich rücklings der Thür und verwandte dabei keinen Blick von den geschlossenen Augen des Vaters. Der Athem stockte auf ihren offenen Lippen, während sie mit der einen Hand den Drücker, mit der andern den Schnabel der Klinke faßte. Tief athmete sie auf, als es ihr gelungen war, die Thür lautlos zu öffnen, und auf den Zehen huschte sie über die Schwelle.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_751.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)