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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Mir fielen die Hände glatt herunter. Also darum so viel Aufregung und Todesangst! …. Ich konnte es gar nicht fassen und sah Hugo so verblüfft an, daß er laut auflachen mußte. Er zog mich an sich:

„Nun, kleiner Schatz, die Predigt will ich Dir ersparen; es scheint mir, Du hast heute schon genug ausgestanden …“

Wir verabschiedeten uns von der guten alten Frau, die sich herzlich über uns freute, und gingen heim. O Marie, und als wir nun zusammen saßen am Abend in unserem lieben heimlichen Stübchen und alles Schreckliche verschwunden, Alles wieder gerade so schön und glücklich war wie vor dieser fürchterlichen Woche, als mich Hugo in den Arm faßte und sagte, es sei unrecht gewesen, mich so einsam abzuquälen, ob ich denn kein Vertrauen zu ihm habe? – da kam es über mich wie eine Fluth von stürmischer Wonne; ich lehnte meinen Kopf an ihn und da – endlich, vertraute ich ihm das, was uns Beide zu glückseligen Menschen macht. O Marie, freue Dich mit mir, wie will ich jetzt gut sein und es verdienen, daß ich so namenlos glücklich bin! Emmy. 


Der Unfried.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)


11.

Längst waren die Schläge der Feuerglocke schon verstummt; doch immer noch eilten neue Gruppen von Leuten und Kindern nach dem Binderholze hinaus. Aber nur Schreck und Neugier trieb sie, nicht das Mitleid; denn von Jenen, welche bereits zum Dorfe zurückkehrten, konnten sie erfahren, daß es da draußen Nichts mehr zu helfen und zu retten gab.

Das Bygotterhäuschen lag in sich zusammengestürzt, ein glostender Trümmerhaufen, dessen strahlende Hitze kaum ein Nähertreten gestattete. Der dünne, immer wieder versiegende Wasserstrahl, den die verrostete Spritze zwischen die wirr durch einander glühenden Balkentrümmer schickte, verpuffte wirkungslos zu weißem Dampfe. Schreiend und kreischend eilten Männer, Weiber und Kinder, Eines das Andere hindernd, mit den ledernen Wasserkübeln hin und her. Als aber der Maurer-Hans meinte: „Ich mag nimmer, es is ja dengerst Alles umsonst,“ – da redete ihm Eines ums Andere diese Meinung nach, warf den Kübel bei Seite und schob die nassen Hände in die trockenen Taschen. Sie Alle hatten es überhaupt mit dem Reden nöthiger gehabt als mit dem Wassertragen und Löschen. In Schreck und Jammer hatte man hin und her gestritten, ob der Bygotter mit seinem Kinde verbrannt wäre oder ob er nicht etwa schon vor Ausbruch des Brandes mit Sanni das Haus verlassen hätte. Nur Wenige waren dieser letzteren Ansicht. Die Meisten glaubten, daß Vater und Tochter unter dem glühenden Gebälk verkohlt und begraben lägen. Und während diese das entsetzliche Schicksal des lieben Mädchens beklagten, sprachen sie mit Bezug auf den Alten von einem „Gericht Gottes“ – und sie äußerten diese Meinung besonders laut in der Nähe des Pfarrers, der im Kreise der Gemeinderäthe stand, finsteren Blickes auf die rauchenden Trümmer starrte und keine Silbe verlauten ließ.

Während so geredet, gestritten und gejammert wurde, hatte ein Einziger immer wieder die Schreier zum Zugreifen angetrieben und dabei selbst mit verzweifelter Hartnäckigkeit gegen das Feuer gekämpft, um wenigstens die Gluth jener Balken zu ersticken, die über Kammer und Stube niedergestürzt waren. Schließlich aber hatte auch er seine kühne Mühe als erfolglos aufgeben müssen. Die stäubenden Funken hatten faserige Löcher in seine durchnäßten Kleider gebrannt, sein Haar und Bart war angesengt, und sein Gesicht und seine Hände waren schwarz von Ruß und Rauch. Alle Glieder zitterten an ihm, während er sich dem Brunnen näherte, um sich zu waschen. Es war der Götz. Schwerathmend richtete er sich auf, schleuderte das Wasser von den Händen und fuhr sich durch die Haare. Ihm fehlte sein Hut. Wo aber hätte er den wohl suchen und finden mögen? Seufzend schüttelte er den Kopf, drängte sich durch die schreienden Leute, nickte dem Lehrer und seiner Frau, welche mit blassen Gesichtern Seite an Seite standen einen wortlosen Gruß zu und verließ das Gehöft.

Als er eine halbe Stunde später den Pointnerhof erreichte, hörte er aus der Stube die zornig keifende Stimme des Bauern, welcher in kurzen Zwischenräumen von der jungen Bäuerin mit erregten Worten unterbrochen wurde.

Ein bitteres Lächeln irrte über seine Lippen. „A guter Anfang – das muß ich sagen!“

Zögernd betrat er die Stube; da humpelte der Pointner gerade in die Kammer hinaus, und während er hinter sich die Thür zuwetterte, rief ihm Kuni mit bebender Stimme nach:

„Mußt ihn halt an anders Mal an Dein’ Bettfuß anbinden! Oder hätt’ ich ’leicht in aller Fruh schon vor seiner Thür stehen sollen und aufpassen, wo er hinrennt?“

„Wann der Bauer wissen möcht’, wo der Karli is,“ ließ sich Götz von der Schwelle her vernehmen, „am Sonnberg is er droben bei der Holzarbeit.“

„So? Und wer hat’s ihm denn ang’schafft?“ fuhr Kuni zornig auf.

„Ich, Kuni – oder – ah ja – von heut’ an muß ich ja Bäuerin sagen – ich werd’ mich schwer d’ran g’wöhnen. Ich also, Bäuerin – ich hab’s ihm g’rathen – und daß er über die ersten Tag’ leichter wegkommt, hab’ ich g’meint.“

Auf Kuni’s Lippen schien ein heftiges Wort zu liegen; aber es wurde nicht laut; denn als sie das Aussehen des Knechtes gewahrte, stammelte sie erschrocken:

„Ja lieber Herrgott – Götz, wie hast denn Du Dich zurichten lassen! Es wird Dir ja doch am End’ nix g’schehen sein?“ Sie wollte ihm entgegen eilen, doch hielt sie inmitten der Stube wieder inne.

Es mochte sie die abweisende Handbewegung verdrossen haben, mit welcher Götz erwiederte:

„Was soll mir denn g’schehen sein! A paar Löcher hat’s mir halt in d’ Joppen brennt – aber viel weiter als bis auf d’ Haut ’nein, mein’ ich, is ’s net ’gangen!“

„Aber – draußen nachher – wie steht’s denn draußen?“

„Da is Alles hin – Alles! Und wann der Bygotter net selber an’zündt hat und is mit sei’m Deandl auf und davon, vor ’s Feuer zum Dach ’naus g’schlagen hat – so mein’ ich, er halt’ den Bauern so bald kein’ Predigt nimmer – und – und ’s Deandl, das arme, wird auch lang ausg’schnauft haben. Gelt – ja – da kann Ein’ d’ Sprach’ verlassen. Aber weißt denn auch, wer d’ Sanni g’wesen is?“

Die Stimme zu zitterndem Flüstern dämpfend, war er Schritt um Schritt auf Kuni zugetreten. Den Hals gestreckt, mit zuckenden Lippen und Wimpern, als wären ihm die Thränen nahe, schaute er ihr in die Augen. Kuni erwiederte diesen Blick, den Oberkörper wie in Scheu und Furcht ein wenig zurückgeneigt, den Kopf zwischen die aufgezogenen Schultern geduckt, mit einem blassen, von scharfen Zügen durchschnittenen Gesichte, das während eines Tages und einer Nacht um Jahre gealtert schien.

Wäre Karli jetzt vor diesen Beiden gestanden, so hätte er bei der Erinnerung an jenen seltsamen Schatten wohl kaum mehr die Klugheit seines Schutzengels in Rechnung ziehen mögen; er hätte die Erklärung in der erschreckenden Aehnlichkeit gefunden, welche nun so jählings in den Gesichtern dieser Beiden zu Tage trat.

Und während sie vor einander standen, wiederholte Götz mit zitterndem Flüstern:

„Weißt auch, wer d’ Sanni g’wesen is? – Dem Karli sein Schatz!“

Sie hatte es gewußt – wenigstens hatte sie es geahnt, seit jenem ersten Tage schon, an welchem sie den Pointnerhof betreten. War es doch diese Ahnung gewesen, die ihren Uebermuth gereizt hatte. Und der Kampf mit jenem kleinen, blassen, schwächlichen Ding, das sie auf der Straße draußen hatte vorübergehen sehen, war ihr als ein gar leichter erschienen, als einer, den man spielend gewann. Und wie war sie unterlegen! Wie übel war ihr das gefährliche Spiel gerathen!

Daran aber dachte sie in diesem Augenblick mit keinem Gedanken. Nur Mitgefühl und tiefe Erschütterung sprachen aus ihren Zügen, während sie die Hände in einander schlug, während Thränen ihre großen Augen füllten und ihre blassen Lippen sich wortlos bewegten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_767.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)