Seite:Die Gartenlaube (1887) 784.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Vom Nordpol bis zum Aequator.

Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Edmund Alfred Brehm.
Land und Leute zwischen den Stromschnellen des Nil.
(Fortsetzung.)

Die Stromschnellen werden thalab bei hohem und mittlerem, bergwärts bei mittlerem und niederem Wasserstande befahren. Während des tiefsten Nilstandes würde wohl jedes zu Thal ziehende Boot zerschellt werden, während der Nilschwelle selbst das größte Segel nicht ausreichen, ein größeres Fahrzeug aufwärts zu treiben. Zur Zeit der Nilsenke müssen Hunderte von Menschen aufgeboten werden, um eine mittelgroße Barke der alles vermögenden Regierung zu Berge zu ziehen; zur Zeit der Nilfälle würden sie auf den wenigen, nicht überflutheten Felseneilanden zu beiden Seiten der in Frage kommenden Fahrstraßen kaum oder nicht Raum finden, um fußen zu können. Die volle Nilschwelle eignet sich am besten für die Thalfahrt, mittelhoher Wasserstand auch aus dem Grunde am meisten für die Bergfahrt, als die um diese Zeit bereits regelrecht wehenden Nordwinde eine verläßliche Segelkraft gewähren.

Alle Boote, welche einzig und allein für den Dienst im Gebiete der Stromschnellen bestimmt sind, unterscheiden sich durch ihre geringe Größe wie durch ihre Bauart, durch Takelung und Gestalt des Segels wesentlich von den übrigen Nilfahrzeugen. Der Rumpf enthält nur wenige Rippen und die Planken werden durch schief eingeschlagene, die Schmalseiten verbindende Nägel zusammengehalten; das Segel ist nicht dreieckig, sondern rautenförmig, auch an zwei Raaen befestigt derart, daß durch die untere derselben mehr oder weniger Leinewand aufgewickelt oder dem Winde preisgegeben werden kann. Bauart und Takelung erweisen sich als durchaus zweckentsprechend. Die geringe Größe, zumal Länge des Bootes gestattet, jähe Wendungen auszuführen; die Zusammenheftung seiner Planken verleiht dem Schiffskörper federnde Bieg- und Schmiegsamkeit, welche bei dem häufigen Auffahren zu Statten kommt; der je nach der Stärke des Windes wie der Strömung zu regelnde Segeldruck endlich ermöglicht annähernd gleich nachhaltige Besiegung des so vielfach wechselnden Widerstandes. Demungeachtet fährt man im Stromschnellengebiete weder stromauf- noch stromabwärts allein, vielmehr stets in Gesellschaft, um sich gegenseitig und rechtzeitig unterstützen zu können.

Unmittelbar nach dem Absegeln vom Befrachtungsorte oder von dem während der Nacht eingenommenen Ruheplatze gewährt eine zu Berge ziehende Bootflotte ein hübsches ansprechendes Bild. Alle Fahrstraßen des Stroms weisen Segel auf; man sieht deren oft zwanzig und mehr zwischen den dunklen Felsen dahinschwimmen. Anfänglich halten noch alle Fahrzeuge ziemlich gleiche Abstände ein; bald aber verändern Strömung und Segeldruck die zuerst innegehaltene Ordnung. Ein und das andere Schifflein bleibt mehr und mehr zurück, ein und das andere läßt den Haupttheil der Flotte hinter sich, und schon nach Verlauf einer Stunde liegt eine weite Strecke zwischen dem vordersten und dem hintersten Boote. Doch fördert die Fahrt, selbst bei heftigem und stätigem Winde, weit weniger, als es den Anschein hat. Wohl brechen sich die Wogen rauschend am Buge des Fahrzeuges; dieses aber hat mit einem so heftigen Gefälle zu kämpfen, daß es trotz alledem nur langsam vorwärts kommt. Es gilt als Kunststück, hier so zu steuern, daß das Schifflein möglichst wenig Biegungen zu beschreiben hat und dennoch den unter Wasser liegenden Felsblöcken ausweicht; denn jede Wendung macht eine Veränderung in der Stellung des ungefügen Segels nothwendig und jeder Aufprall des Schiffsbodens, verursacht einen Leck. Schiffsführer und Schiffsleute haben daher ununterbrochen zu thun. Demungeachtet beginnt ihre eigentliche Arbeit erst Angesichts einer der zahllosen Stromschnellen, welche überwunden werden sollen. Das bisher nur theilweise entfaltete Segel wird gänzlich aufgerollt und dem Winde dargeboten; die Barke jagt wie ein kräftiges Dampfschiff durch das Felsengewirre und erreicht den unter fast allen Wasserstürzen kreisenden Wirbel. Alle Schiffsleute stehen an den ausgelegten Rudern und bereit gehaltenen Tauen, um nach Erforderniß einzugreifen, wenn das Boot, wie voraussichtlich geschehen muß, von dem Wirbel gefaßt und im Kreise umhergetrieben wird. Auf Befehl des Schiffers tauchen auf dieser Seite die Ruder ins Wasser, stoßen auf jener lange Stangen auf die Felsen, um das Fahrzeug vom letzteren abzuhalten; verkleinert oder vergrößert, dreht oder wendet sich das von den erfahrensten Matrosen gehandhabte Segel. Ein-, zwei-, sechs-, zehnmal versucht man vergeblich, den Wirbel zu durchschneiden; endlich gelingt dies doch, und das Boot erreicht das untere Ende des Wassersturzes. Hier aber steht es wie festgebannt: Segel und Wogendruck halten sich im Gleichgewichte. Der Wind verstärkt sich und das Fahrzeug rückt um einen, um mehrere Meter vor; der Segeldruck wird schwächer, und die Wogen werfen es an die alte Stelle zurück.

Nochmals beginnt es seinen Kampf mit Strudel und Wellen und nochmals wird es durch letztere besiegt. Jetzt gilt es, das glücklich errungene Ziel festzuhalten. Einer der Schiffsleute packt das Tau mit den Zähnen, wirft sich inmitten des ärgsten Wogenschwalles in den Strom und versucht, schwimmend das schwere Tau nach sich schleppend, einen oberhalb des Schiffes über die tosenden Wogen emporragenden Felsblock zu erreichen. Die Wellen schleudern ihn zurück, bedecken, überschütten ihn; er aber wiederholt seine Anstrengungen, bis er einsehen muß, daß seine Kräfte den gewaltigeren des Stromes unterliegen und er auf seinen Wink am Taue selbst zum Boote zurückgezogen wird. Noch einmal spielen, vernichtungsmächtig, Strudel und Wellen mit dem ihnen gegenüber, so gebrechlichen Gebäude, noch einmal treibt es der Wind, beiden zum Trotze, vorwärts.

Da hört man plötzlich einen beängstigenden Krach; der Steuermann verläßt in demselben Augenblicke seinen Platz und fliegt in hohem Bogen durch die Luft, in den Strom: das Boot ist auf einen unter den Wellen verborgenen Felsen gefahren. Eiligst bemächtigt sich einer der Schiffsleute des Steuers, unverzüglich wirft ein zweiter dem im Strudel treibendem Steuermanne einen aufgeblasenen, an einem Seile befestigten Schlauch zu und ohne jegliche Zögerung stürzen sich die übrigen, Hammer, Meißel und Werg in den Händen haltend, in den Schiffsraum hinab, um den bestimmt zu findenden Leck sofort zu verstopfen. Der Mann am Steuer wahrt, so viel ihm möglich, das Fahrzeug vor neuem Unheil; der gebadete Steuermann entsteigt mit einem mehr gestöhnten als gebeteten: „El hamdi lillahi“ – Gott sei Dank – den trüben Fluthen; die Uebrigen hämmern und stopfen und wehren dem eindringenden Wasser; Einer opfert sogar sein Hemd, einen welcher bereits alles vorhandene Werg in sich aufnahm. Und abermals segelt das Boot durch Strudel und Wellen, schwankend, ächzend, knarrend wie ein Seeschiff im Sturme; abermals erreicht es die Stromschnelle und abermals wird es festgehalten durch Wind und Wogen. Zwei Schiffsleute springen gleichzeitig in den Strom, arbeiten mit Anstrengung aller Kräfte gegen dessen Wogen, erreichen glücklich das ersehnte Felsstück, umschlingen es mit dem einen Ende des Taues und winken den Uebrigen, das Boot heranzuziehen. Dies geschieht; an den Felsen angekettet liegt das Boot, inmitten des heftigsten Wogenschwalles ununterbrochen so stark auf und nieder schwankend, daß es Seekrankheit verursachen kann und thatsächlich verursacht.

Ein zweites Boot nähert sich und bittet um Unterstützung. Ihm wirft man vermittelst des aufgeblasenen Schlauches ein Tau zu und erspart ihm so Zeit und Arbeit. Bald liegt es, wenig später ein drittes, viertes unter demselben Felsen, und alle tanzen, gemeinschaftlich auf und nieder.

Nun aber ist die vereinigte Schiffsmannschaft zahlreich und stark genug, um die Ueberfahrt vollends bewerkstelligen zu können. Doppelt so viele Matrosen, als jedes Fahrzeug führt, besetzen alle nöthigen Posten des einen; die übrigen schwimmen, waten und klettern, Taue nach sich ziehend, zu einer Felseninsel oberhalb der Stromschnelle, und schleppen eins der Boote nach dem andern, ihre Kraft mit dem Segeldrucke vereinend, über das rauschende Gefälle der Stromschnelle hinauf. Hier und da und dann und wann genügt wohl auch der Segeldruck allein, um dasselbe zu erreichen; unter so günstigen Umständen aber gefährdet nachlassender Wind nicht selten Fahrzeug und Bemannung. Oft muß ein Boot mitten im Wogengebrause stunden- und selbst tagelang

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_784.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)