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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Abschiedsbriefe, die sie noch aufs Papier warf, waren kurz und enthielten keinen Aufschluß über die Motive ihres Unterganges. Testament und Briefe wurden in einem Fache untergebracht, wo man sie sogleich finden mußte, wenn sie nicht mehr zurückkehrte.

Das Vollbringen dieses Geschäftes ließ ihr eine erstickende Ruhe des Gemüthes zurück. Sie warf sich sogar angekleidet zum Schlummer nieder, wenn sie auch oft wieder mit einem heftigen Aufzucken emporfuhr. Endlich erhob sie sich beim Schlage der Uhr, und sie war es, welche die Kammerfrau weckte, statt, wie es verabredet war, von ihr rechtzeitig geweckt zu werden.

Das Rasseln des Zuges, das Kommen und Verschwinden der Mitreisenden ging an ihr vorüber wie ein unverständliches Schauspiel; sie hatte Mühe, sich zu besinnen, weßhalb sie auf der Reise war. Wenn Menschen, die niemals aus dem gewohnten Geleise des vorgeschriebenen Thuns und Lassens gekommen sind, durch ein unerwartetes Schicksal zu einer außerordentlichen Handlung aufgerüttelt worden sind, dann ist es, als ob sie sich selbst auf der neuen Bahn nicht wiedererkennen würden und sich in jedem Moment erst fragen müßten, wozu sie entschlossen und wohin sie gerathen sind.

Der Abend war schon angebrochen, als sie in dem ihr von Perser bezeichneten Hôtel gegenüber der Besitzung Glowerstone’s anlangte. Man wies ihr Zimmer in der zweiten Etage an, und nachdem sie sich umgekleidet hatte, überlegte sie, ob es nicht noch an diesem Abend möglich wäre, da sie ja angeblich zu einem praktischen Geschäfte gekommen war, bei Glowerstone vorzusprechen. Da vernahm sie Geräusch auf dem Korridor, das ihr in einem Hôtel nicht auffallen konnte; aber die Kammerfrau trat bei ihr ein mit der Frage, ob die Geheimräthin geneigt sei, noch in so später Stunde die Gräfin Surville zu empfangen.




12.

Als die Geheimräthin hörte, wer bei ihr vorsprechen wollte, war ihre Ueberraschung keine ganz freudige. Sie hatte nichts von Ermüdung und Abspannung gespürt, so lange alle ihre Kräfte ausschließlich auf den Zweck gerichtet waren, der sie hierher geführt und der wie Feuer durch ihre Adern rann. Darum wäre sie am liebsten sogleich in das Haus Glowerstone’s geeilt, um vor Allem die Situation zu übersehen. Im Augenblicke, da sie einer bloß geselligen Pflicht genügen sollte, fühlte sie sich von der Reise todmüde und der Erschlaffung hingegeben, die auf jede Ueberspannung folgt. Fast war sie im Begriffe, den Besuch abzulehnen, als ihr plötzlich die Verwandtschaft der Gräfin mit Sir Albert vor das Gedächtniß trat und sie sich zum Empfang bereit erklärte. Das Zimmer war behaglich erwärmt und beleuchtet, und die Gräfin stellte sich vor, indem sie bemerkte, daß die zwei einzigen Gäste dieses Hauses sich nicht früh genug mit einander gegen die etwaigen Unzukömmlichkeiten in einem Dorfwirthshause verschwören könnten.

„Ich habe mir die Berechtigung, Sie aufzusuchen, Frau Geheimräthin,“ sagte hierauf die Gräfin, „vom Baron Perser geholt. Er glaubt den Auftrag, den Sie ihm in der Hauptstadt gegeben, nicht völlig erfüllt, weil er, durch eine amtliche Beschäftigung an Wiesbaden gebunden, Ihnen nicht zur Seite stehen kann.“

„Er ist, wie ich meine, hier so fremd wie ich selbst,“ erwiederte Brigitta, „und könnte mir wohl wenig nützen. Freilich ist er mit Sir Albert Glowerstone befreundet, noch aus alter Zeit, und könnte mich dort einführen. Allein ich komme in Geschäften und weiß von praktischen Dingen wenigstens so viel, daß man überall gut angenommen wird, wo man ein Geschäft mitbringt. Perser hat mir telegraphirt, daß das Gut, welches ich in der Gegend anzukaufen wünsche, in den Händen Glowerstone’s ist.“

„Und Sie haben Niemand,“ versetzte die Gräfin, „der Sie als Sachverständiger begleiten würde? Sind Sie zufällig so bewandert in der Forstwirthschaft, um die Verrechnungen über den Holzertrag und die Anforderungen des Schiffsbaues an den Wald zu würdigen, zu verstehen? Dann bewundere ich Sie, Frau Geheimräthin; wenn aber nicht –“

Brigitta schlug die Augen nieder; das war die erste Verlegenheit, die ihr aus dem in Verzweiflung gewählten Vorwand erwuchs. Die Gräfin, welche nicht den Anschein hatte, die Befangenheit Brigitta’s zu bemerken, wie sehr sie auch ihre Aufmerksamkeit darauf gerichtet hielt, kam der Erröthenden zu Hilfe:

„Ich wollte sagen, wenn das nicht der Fall ist, wenn Sie von der Waldökonomie, die mit dem Ankauf der Villa unzertrennlich verknüpft ist, keine Kenntniß haben, so kann vielleicht ich Ihnen Beistand leisten. Ich erlaube Ihnen zu lachen; wer sollte mir auch glauben, daß ich in Land- und Forstwirthschaft zu Hause wäre und den wirklichen Werth einer ausgedehnten Besitzung zu ermessen wüßte? Die Sache ist aber einfach: ich selbst war einmal nahe daran, aus Rücksicht auf die Wünsche meines Vetters Sir Albert den ganzen Komplex anzukaufen, und habe mich deßhalb von allen Einzelheiten unterrichten lassen. Ich setze indessen voraus, daß es Ihnen zu langweilig wäre, sich noch heute davon zu unterhalten, und es fragt sich nur, ob Sie sich Glowerstone noch heute als eventuelle Käuferin anmelden wollen.“

Brigitta bejahte mit großer Lebhaftigkeit, und die Gräfin erbot sich, die Einführung selbst zu übernehmen. Es wären nur wenige Schritte zurückzulegen, und man käme Sir Albert und seiner Tochter zu jeder Zeit gelegen, besonders aber dem Vater, der nach Unterhaltung, nach irgend etwas Neuem in der Eintönigkeit seiner Existenz immer verlange. So begaben sich denn die beiden Damen über die Dorfstraße, in deren Finsterniß die Gräfin gut Bescheid wußte, nach dem Bauernhofe, wie Glowerstone selbst seine Besitzung gern nannte, um anzudeuten, welcher heroischen Einfachheit des Lebens ein von der Welt zurückgezogener Philosoph fähig wäre. Sie hatten die Schwelle noch nicht überschritten, als Brigitta dem unwiderstehlichen Drang ihrer Leidenschaft, den sie bisher mit Selbstbeherrschung zurückgehalten hatte, durch die Frage nachgab, ob nicht in der Angelegenheit des Gutskaufes schon der Legationsrath Siegfried Malköhne bei Glowerstone vorgesprochen hätte.

Die Gräfin dachte einen Augenblick nach, dann erwiederte sie:

„Ich kann nicht sagen, was den Legationsrath hierher geführt hat; aber ich weiß, daß er den Nachmittag des gestrigen Tages in diesem Hause verbrachte; er hat es mir selbst erzählt. Ich glaube jedoch nicht, daß wir ihn jetzt hier antreffen werden.“

Brigitta zuckte unwillkürlich zusammen; eine geheime Furcht, ihm zu begegnen, war sie los geworden, und dennoch blieb wieder ein leises Bedauern darüber in ihr zurück.

(Fortsetzung folgt.)




Skizzen von einer Sängerfahrt nach Amerika.[1]

Von Herm. Mohr (Königl. Musikdirektor in Berlin.)
I.0 New-York.

Es war am Freitag, den 9. Juli 1886 gegen Mittag, als die freudige Nachricht die Schiffsräume der „Ems“ erfüllte: „Land! Land!“ Da standen wir nun, mit Ferngläsern bewaffnet, sahen den Leuchtthurm auf Long-Island aus dem Meere auftauchen, sahen die Küsten näher und näher hervortreten, und endlich – endlich fuhren wir bei prächtiger Abendbeleuchtung durch die Festungswerke von Long-Island und Staten-Island in den herrlichsten und großartigsten Hafen der Welt. Wir hatten von Bremerhafen aus neun Tage und sieben Stunden zur Fahrt gebraucht.

Das Gefühl, wieder festes Land zu betreten, ist ein eigenthümlich ergreifendes, und so war meine Stimmung eine hocherregte, als ich das erste Mal meinen Fuß auf amerikanischen Boden setzte. Plötzlich höre ich, daß Jemand meinen Namen ruft,

  1. Wir entnehmen diese Skizzen einem umfangreichen Manuskripte, in welchem der Verfasser seine Reise zu dem vorjährigen deutsch-amerikanischen Sängerfeste in Milwaukee geschildert hat.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_792.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2023)