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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Karli lehnte, ein Knie auf die Holzbank stützend, in einer Fensternische und schaute mit zerstreuten Blicken in die sinkende Nacht hinaus. Er sah über den dunkelnden Himmel in raschem Zuge schwere, finstere Wolken aufwärts steigen, welche nach dem vergangenem schönen Tag einen der jähen Witterungswechsel zu bringen schienen, wie sie im Hochland dem Herbste eigen sind. Unter verlorenen Gedanken schaute Karli zu, wie hinter den treibenden Wolken Stern um Stern erlosch und wie die dunklen Kuppen der Berge immer tiefer in die wallenden Nebel versanken.

Lautlosen Schrittes kam der Pointner in seinen Filzpantoffeln aus der Kammer geschlichen. Während hinter ihm die Thür langsam zufiel, lugte er mit schiefen Augen auf den Ofenwinkel. Schwer seufzte er auf – er mochte wohl der vergangenen Zeiten gedenken, in denen er auf dem nun immer besetzten Sofa dort hinten die Dämmerstunde verduselt hatte, bis man ihn zur dampfenden Schüssel rief. Mit nickendem Kopfe, gähnend und seufzend, begann er ein unruhiges Umhertrippeln und griff in wehmüthiger Zerstreutheit mit den Händen nach allen Dingen. Ein paarmal räusperte er sich, nur um die drückende Stille zu unterbrechen, die in der Stube herrschte; dabei glitten seine Augen immer wieder mit halb scheuen, halb ungeduldigen Blicken zu Karli hinüber. Schließlich trat auch er an das Fenster, legte die Hand auf Karli’s Rücken, duckte den Kopf und schaute durch die Scheiben.

„Mir scheint, es überzieht sich a Bißl!“ sagte er mit einer Stimme, als hätte er dafür, daß es sich da draußen „ein Bißl überzog“, um Entschuldigung bitten müssen.

„A Bißl? So schau nur g’rad, ganz schwarz wird Alles,“ erwiederte Karli, während er ein wenig bei Seite rückte, um dem Vater Platz zu machen. „Mir scheint, heut’ Nacht schlagt ’s Wetter um!“

„Ja, kann schon sein!“ klang es mit dünnem Lächeln hinter dem Ofen hervor.

Die Beiden am Fenster schienen diese Stimme aus dem Hintergrunde überhört zu haben.

„Ah na, ich glaub’s net!“ versicherte der Pointner, während er sich, erleichtert aufathmend, neben Karli ins Fenster legte. „Der Mond is im Wachsen, der reißt’s schon wieder durch.“

„Wird sich wohl hart machen! Schau nur g’rad an, wie’s d’ Nebel niederdruckt. Aber am Heimweg hab’ ich mir schon so ’was ’denkt, weil’s auf amal gar so frisch über d’ Leithen ’runter ’zogen hat. Völlig frieren hätt’s Ein’ können! Wer weiß – ’leicht wirft’s uns schon an Schnee über’s Dach.“

„Jetzt gehst mir aber weiter,“ lachte der Pointner. „Drei Tag’ noch auf Allerheiligen – und schneien! Wo Ein’ die Sonn’ heut’ noch am Buckel ’brennt hat!“

„Macht nix! Wirst es sehen, heut’ über Nacht schlagt’s um. Der Götz hat die ganze Zeit schon g’meint, daß der Winter nimmer lang’ warten laßt! Und der versteht sich aufs Wetter.“

„Natürlich! Der Götz! Wann der was sagt, nachher haben bei Dir alle Andern ausg’redt!“ schmollte der Pointner in einer Anwandlung von Eifersucht. Nun hörte er ein Poltern an der Thür, und da er sich die Ursache desselben wohl zu deuten wußte, richtete er sich auf, strich die Hand über Karli’s Haare und sagte in traulichem Tone: „Aber komm, jetzt gehn wir essen.“

Zenz und Kuni hatten die Stube betreten, und hinter ihnen war Stoffel über die Schwelle gestolpert.

Kuni brachte ein hölzernes Geschirr voll gebratener Kartoffeln; dieselben schüttete sie rings um die irdene Schüssel, welche Zenz in die Mitte des Tisches gestellt hatte, und in welcher eine „braungeschmalzene“ Brotsuppe dampfte. Einen Teller erhielt nur der Bauer, für welchen auch ein Extragericht aufgetragen wurde – Nudelsuppe mit einer halben Henne.

„In Namen Gottes, Vaters und des Sohnes –“ fing der Pointner, sich bekreuzigend, zu beten an, worauf die Andern mit murmelnden Stimmen einfielen.

Der Erste, der sich nach dem Amen hinter den Tisch schob, war Gregor. Mit nicht sonderlich erbauten Blicken streifte er die Suppenschüssel; dann zwinkerte er den Teller des Pointner’s an und spöttelte: „Aber nobel ißt der Herr Schwager – akrat wie a Kindbetterin.“

„Johohoho,“ lachte Stoffel, während er für sich einen dreifüßigen Stuhl herbeizog. „Wann ich wieder amal auf d’ Welt komm’, werd’ ich auch a Großbauer und laß mir alle Tag’ ’was Extrigs kochen.“

„Jetzt red’ net so dumm, sondern hock’ Dich nieder und iß,“ schalt der Pointner, während er einen zornigen Seitenblick auf Gregor warf.

Und Karli fragte:

„Was is denn? Wo is denn der Götz?“

„Der wird schon noch a Bißl ausbleiben. Den Schimmel hat er nachfüttern müssen,“ antwortete Stoffel. Dabei griff er schon mit der Linken nach der größten Kartoffel, die er in seiner Nähe zu finden wußte. Durch einen Druck des Daumens öffnete er die Schale, stach mit der Rechten einen Theil der weißen, dampfenden Frucht auf den Löffel und fuhr damit in die Suppenschüssel.

Schweigend thaten es ihm die Andern nach. Die meiste Eile, satt zu werden, schien Gregor zu haben. Dabei blitzten seine Augen immer wieder nach der Stubenthür.

Niemand achtete auf ihn, außer Kuni, in deren Zügen eine seltsame Erregung zitterte. Sie verwandte fast keinen Blick von seinem Gesichte. Er merkte wohl, daß sie ihn beobachtete; doch schien er sich blutwenig um die halb ängstliche, halb drohende Sprache zu kümmern, die ihre Augen redeten. Jetzt sah sie ein böses Lächeln um seine dünnen Lippen zucken, hörte zugleich einen schweren Schritt im Flur – und aus ihrem Munde rang sich ein dumpfer, heiserer Laut, als hätte ihr plötzlich eine unsichtbare Hand die Kehle zusammengeschnürt.

Die Thür öffnete sich, und Götz betrat die Stube.

(Fortsetzung folgt.)




Vom Nordpol bis zum Aequator.
Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Edmund Alfred Brehm.
Land und Leute zwischen den Stromschnellen des Nil.
(Schluß.)

Sechs neu erbaute Boote liegen an der südlichen Grenze der dritten Stromschnellengruppe, angepflöckt am Ufer des Stromes; die zu ihnen gehörige Mannschaft ruht auf sandigen Stellen zwischen schwarzen Felsblöcken, woselbst sie die Nacht verbracht hat. Es ist noch früh am Morgen und still im Lager; der Strom allein redet seine rauschende Sprache in der Oede. Der aufdämmernde Tag weckt die Schläfer; einer nach dem anderen steigt zum Strom hernieder und verrichtet die gesetzlichen Waschungen zum Gebete des Frühroths. Nachdem das „Vorgeschriebene“ und das „Hinzugefügte“ des Gebetes gesprochen worden ist, erquickt sich allmänniglich an einem kargen Imbisse; hierauf eilt Alt und Jung zu einem Scheich- oder Heiligengrabe, dessen weiße Kuppel zwischen lichtgrünen Mimosen aus einem dunklen Thale hervorschimmert, um hier, unter Vorantritt des ältesten Reïs oder Schiffsführers, welcher die Stelle des Imâm vertritt, ein besonderes Gebet um glückliche Fahrt zu verrichten. Zu den Booten zurückgekehrt, wirft man schließlich noch, uralter, heidnischer Sitte folgend, einige Datteln, gleichsam als Opfergabe, in den Strom.

Nunmehr endlich befehligt jeder Schiffsführer seine Mannschaft auf ihre Posten. „Löst das Haftseil“. „Rudert, Ihr Männer, rudert, rudert im Namen Gottes des Allbarmherzigen!“ hallt sein Befehl. Hierauf beginnt er, singend den ewig wiederkehrenden Nachklang eines Gedichtes anzustimmen; einer der Ruderer nimmt die Weise auf und singt eine der Strophen des Liedes nach der anderen; alle übrigen begleiten ihn mit den taktmäßig vorgetragenen Worten: „Hilf uns, hilf uns, o Mohammed, hilf uns, Gottgesandter und Prophet.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_799.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)