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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Saarbrücken und der Oelbaum kein Oelbaum des Friedens für den Verbannten von Chislehurst. Im Hintergrunde des Platzes ragt eine hohe Maststange empor, an deren Spitze ein napoleonischer Kaiseraar sitzt, ehemals prächtig vergoldet, jetzt glanzlos und schäbig; früher hatte er noch zwei gleiche Genossen auf hohen Stangen; doch die Republikaner schlugen eines Tages das kaiserliche Geflügel herab.

Das Haus selbst hat drei Stockwerke, die in der Raumeintheilung freigebig angelegt sind. Die Fenster sind hoch und breit; die Färbung der sechs Fenster breiten Hauptfaçade ist durch eine zwischen gelb und grau schwankende Tünche sehr unentschieden; unter den Fenstern hat der Regen Fransenbehänge von langen schwarzgrauen Streifen über die Mauer gezogen. Die Jalousien sind lichtgrau gestrichen, „kaiseraugengrau“, sagte man unter Napoleon III., wie ehemals „kaiseraugenblau“ unter Joseph II. Die Thüren und Fenster im Erdgeschoß sind schwarz wie in einem Trauerhause, und das ist es ja oft genug gewesen. Eine ungeheure viereckige Marmortafel über der einfachen Hausthür kündet die Bedeutung des Hauses in großen goldenen Buchstaben an.

Mit einem einzigen Schritt durchmißt man von der Schwelle aus den ganzen Hausflur des Advokaten Karl Bonaparte und betritt die Treppe, die, aus schiefergrauen Steinstufen gebildet, in zwei Absätzen zum ersten Stock hinaufführt. Hier finden sich acht Gemächer: die Wohn- und Staatszimmer der großen Advokatenfamilie von Ajaccio; doch sind dieselben jetzt in etwas verwahrlostem Zustande. Die Tapeten, welche der schlimme Jerome einst bekritzelt, sind schon längst fort, ebenso wie die Schulbücher, aus denen Napoleon die erste Kunde von Alexander dem Großen und Julias Cäsar erhalten. Die Wände der meisten Zimmer sind heute weißgetüncht oder mit bescheidenen Streifenmustern versehen, sogar das berühmte blaue Zimmer, in dem der große Kaiser geboren wurde. Alle Räume, mit Ausnahme des großen Tanzsaales, sind gleichmäßig mit rothen Thonfliesen gepflastert; der Hausrath deutet theils auf die geschnörkelte Zeit des Rokoko, theils auf die Epoche von der großen Revolution bis zum ersten Kaiserreich. In den Damastüberzügen der Stühle und Sofas haben die Motten wenig, die Engländer aber desto ärger gehaust. Fetzenweise ist dieser historische Damast nach England gewandert, so daß eine Menge Sessel kahl dastehen und ein Theil bereits neue Ueberzüge erhalten hat; denn der echte britische Mann kann keinen Napoleon I. leiden, doch die Ueberzüge seiner Sessel nimmt er gern mit.

Von den Räumen des Hauses ist außer dem Geburtszimmer Napoleon’s der kleine Salon bemerkenswerth mit seinen halbblinden Spiegeln, dem Plafond mit den zwei Gesetzestafeln mit Wage und Richtschwertern zwischen Wolken, einem vielfarbigen Hausrath, gelbem Sofa, kirschrothen Sesseln, einigen total geschundenen Stühlen, und einem Piano von vier Oktaven, einem alten, wackligen, wurmstichigen Kasten mit abgeschlagenen Ecken und einem altkorsischen Podagra in allen Beinen. Dies ist das Piano der Madame Letizia, der Mutter der Könige. Der große Saal, der in seinen beiden Langseiten je sechs Fenster hat, ist im Laufe der Zeit bald Tanzsaal, bald Kaserne gewesen, letzteres zur Zeit der großen Revolution, als der junge Feuerkopf Napoleon sich mit Freunden und der Familie im Hause verschanzte und mit den Waffen in der Hand den Todfeinden seines Hauses, den Pozzo di Borgo und Peraldi, Trotz bot.

Bilder, Angedenken, Reliquien aus beiden Kaiserreichen finden sich im ganzen Hause verwahrt, das jetzt allerdings nur noch den Eindruck eines großen Reliquienschreins macht, nachdem die Cäsaren, die ihm entstammten, von der Bildfläche der Weltgeschichte verschwunden sind. †     


Vor Weihnachten. Nach dem Oelgemälde von C. G. Hellqvist.


Weihnachtssingen in Luzern. (Mit Illustration S. 824 und 825.) Für die Gemälde-Ausstellung im Krystallpalast zu London, welche zu Ehren des Herrscherjubiläums der Königin Viktoria veranstaltet war, wurde eine große goldene Jubiläumsmedaille geprägt, um damit das beste seit 1879 gemalte Bild, abgesehen von Nationalität, Stoff und Schule, zu krönen. Diese hervorragende Auszeichnung wurde dem Gemälde von Hans Bachmann „Das Weihnachtssingen“, welches unsere Holzschnittreproduktion vorzüglich wiedergiebt, mit vollem Recht zuerkannt. Der junge Meister entnahm den Stoff zu demselben dem Leben seiner schweizerischen Heimath. Es stellt nämlich einen alten Brauch im Kanton Luzern dar. Alljährlich in der Zeit von Weihnachten bis Dreikönigen zieht dort der Schulmeister, der zugleich die Stelle des Organisten bekleidet, mit den Kirchensängern und Musikern, die er zum Theil aus seiner Schuljugend bildet, von Gehöft zu Gehöft, frohe Weihnachtslieder zum Vortrag bringend. Diese klingen gewöhnlich in den Neujahrswunsch aus:

„Wir kommen hier an,
Zu wünschen Euch an,
Ein gutes glückselig
Gesund auch und fröhlich
Ein gutes Neujahr!
Gott mache es wahr!“

Von den durch solchen Gesang geehrten Hausbewohnern werden dann die Musiker und Sänger beschenkt und bewirthet, wobei in der Regel die gemüthlichste Geselligkeit mit Tanz und Jubel sich entwickelt.

Diesen sinnigen Brauch hat Bachmann in seinem Bilde sehr anschaulich geschildert; man sieht, daß er Land und Leute gründlich studirt hat; denn beide hat er mit treuer Wiedergabe der eigenartig frischen Alpennatur zur Darstellung gebracht. Und zugleich trägt das Gemälde den Stempel des echten Kunstwerks, da es neben der strengen Wahrheit auch eine poetische Auffassungsweise bekundet, welche dem Vorgange eine tiefere Weihe verleiht. Mit der feierlichen Fröhlichkeit der an der Thür des Gehöfts Versammelten klingt die Abendstimmung des klaren Wintertags bei aufgehendem Mond harmonisch zusammen.

Hans Bachmann wurde 1852 in Winikon, Kanton Luzern, geboren. Um sich zum Maler auszubilden, besuchte er zunächst die Kunstakademie zu Düsseldorf; dann wurde er Privatschüler von Eduard von Gebhardt und später von Karl Hoff. In seinen ersten Bildern war namentlich der Einfluß des letzteren Lehrers bemerkbar. Doch bald strebte der junge Künstler mit allen Kräften danach, sich zu einer besonderen Eigenart durchzuringen. Da zwang ihn eine tückische Krankheit, ein paar Jahre in seiner Heimath zuzubringen. Und hier nun, mit der Wiederherstellung seiner Gesundheit, fand er auch den rechten Boden für seine künstlerische Schaffenskraft. Er kehrte nach Düsseldorf zurück mit einem reichen Material, mit einer Menge origineller Naturstudien, die von dem gediegenen Ernst einer schlichten, aber durchaus gesunden Auffassungsweise beredtes Zeugniß ablegten. Sein nächstes Bild, ein Begräbnißzug in den Alpen, „Zur letzten Ruhe“ betitelt, bekundete demgemäß eine volle kräftige Individualität und erhielt auf der internationalen Ausstellung in Antwerpen eine wohlverdiente ehrenvolle Erwähnung. Der Künstler war zum selbständigen Manne gereift. Sein neuestes Bild, das in London prämirt worden ist, zeigt einen wesentlichen Fortschritt auf dem klar erkannten Wege, und so darf von dem strebsam schaffenden Vertreter eines echt künstlerischen Naturalismus für die Zukunft noch Bedeutendes erwartet werden.

Ein Pamphlet auf Schiller und Goethe. Daß unsere großen klassischen Dichter zu jeder Zeit ihre Gegner hatten, ist wohlbekannt: in der Regel war nur der Eine oder Andere von ihnen den gestrengen Kritikern unsympathisch; sie wurden nicht Beide zugleich in einen gemeinsamen Sündenfall verwickelt. So war Wolfgang Menzel ein warmer Verehrer Schiller’s, während er Goethe aufs Schärfste verurtheilte; höchstens die ultramontanen Tendenzschriftsteller wandten sich gegen Beide mit gleicher Verketzerung. Jetzt aber ist ein dramatischer Dichter erstanden, der in der Vorrede zu seinem Drama auf die weimarischen Dioskuren die heftigsten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 839. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_839.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)