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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Schmähungen schleudert. Ihm sind Schiller und Goethe „irreleitende Abschreiber, welche sich die Achtung der von ihnen zur Kunstsimpelei verführten Nation erschwindelt haben“. (!) Schiller hat „Ziel und Endzweck des Dramas vollständig verkannt“. (!) Goethe ist frivol; bei seinen weiblichen Gestalten denkt man an Voltaire’s Faungesicht; Goethe’s „Faust“ ist „ein kopfloses Durcheinander“. „Diesen Faust soll der Teufel holen!“ „Schiller’s Muse hätte eine Kur im Tollhause durchmachen müssen.“ (!) Wahrlich, eine beneidenswerthe Selbständigkeit des Urtheils! Und wer ist der unerschrockene Kritiker? Ein bayerischer Dichter Namens Hans Pöhnl, dessen Volksbühnenspiel „Gismunda“ am Münchener Hoftheater in Scene ging und wegen seiner kindischen Fibelverse in allen tragischen Scenen eine wachsende Heiterkeit erweckte und einen großen Lacherfolg davontrug. Daß ein solches Stück vom Münchener Hoftheater gegeben werden konnte, das muß allerdings ganz unbegreiflich erscheinen, eben so wie das unverfrorene Urtheil über unsere großen Dichter, wie es ähnlich kaum jemals zu Tage gefördert wurde. †      

„Nase und Schule.“ In dem Artikel über den chronischen Nasenkatarrh (vgl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1887, S. 442) hat Dr. Fritsche darauf hingewiesen, daß Krankheiten der Nase die geistige Thätigkeit beeinträchtigen können. Dieses Thema wurde auch auf der letzten Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte behandelt. Herr Guye aus Amsterdam bereicherte dabei die Wissenschaft um ein neues gelehrtes Wort: „Aprosexia“, was auf deutsch die Unfähigkeit, seine Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Gegenstand zu lenken, bedeutet. Daß dieselbe sehr oft mit Krankheiten der Nase zusammenhängt, ist wiederholt beobachtet worden; besonders schlagend ist aber das folgende von Guye mitgetheilte Beispiel. Ein siebenjähriger Knabe konnte in der Schule in einem ganzen Jahre nicht mehr als die drei ersten Buchstaben des Alphabets erlernen. Nach einmaliger Operation einer Geschwulst in der Nase lernte er in einer Woche das ganze Alphabet. Guye legt nun in Folge seiner Erfahrungen den Pädagogen besonders ans Herz, bei jedem hinter den Anderen zurückbleibenden Schüler auf den Zustand der Nase und insbesondere auf die Form des Athmens ihre Aufmerksamkeit zu richten. Die Thatsache, daß die sogenannte „Aprosexia“ oft auch mit der sogenannten „Faulheit“ zusammenhängt, wird durch die an und für sich beachtenswerthen Guye’schen Ausführungen natürlich in keiner Weise erschüttert, und man sollte darum in der Schule künftig nicht zu viel auf die Nase schieben! *      

Die alte Sage vom Zauberer Merlin hat in Deutschland besonders der „romantischen Dichterschule“ und ihren Anhängern Stoff zu dichterischen Gebilden gegeben. In den meisten dieser Dichtungen charakterisirt sich Merlin als ein verzauberter, in die Tiefen des Waldes verbannter Naturgeist. Der echte Merlin aber, der bretonische Barde und Zauberer, trägt eine wesentlich andere Physiognomie. Er ist nach den alten bretonischen Volksliedern ein Sohn Lucifer’s, der zur Welt gekommen ist, um die Welt der Hölle zurückzuerobern, und nichts liegt ihm ferner als zarte Gefühle über den stillen Frieden der Waldwelt. Den echten, bretonischen Merlin hat jetzt Rudolf von Gottschall in seiner neuesten gewaltigen, epischen Dichtung: „Merlin’s Wanderungen“ (Breslau, S. Schottlaender) von Neuem heraufbeschworen, um ihn eine neue Erdenfahrt vollführen zu lassen. Gottschall’s neuestes Werk ist ein Gedankenpoem von hoher, künstlerischer Vollendung. Auf den Wanderungen, welche Merlin mit den Genien der Hölle, Hochmuth, Stolz, Wollust, Neid, Geiz, Schwelgerei und Trägheit, unternimmt, reißt er mit unentwegter Hand den Schleier vom Antlitz unserer Zeit und zeigt uns in farbenprächtigen, formschönen Schilderungen, die eben so menschlich wahr wie dichterisch edel sind, die „Krankheiten des Jahrhunderts“.

Er schildert uns, wie die Sündenkönigin des Genusses ihr Gift den höchsten Kreisen wie den niedern Schichten des Volkes einflößt, wie der Hochmuth, Stolz und Zorn die Nationen gegen einander im wilden Kampf empören, wie Neid und Geiz das wahre menschliche Glück verkümmern. Aber als echter Dichter weiß Gottschall diesen Nachtseiten unseres Lebens auch einzelne lichte Momente entgegenzustellen, die schließlich den trüben Erscheinungen in poetischer, versöhnender Weise das Gegengewicht halten. Dahin gehört die schlichte, erhebende Episode der kleinen Näherin „Nanette“, die der Tugend getreu bleibt; dahin gehört der Künstler, der mitten in dem Strudel des Lebens das Panier der idealen Kunst hoch hält. Zu den imposantesten Schilderungen der Dichtung gehört die poetische Rückschau auf den deutsch-französischen Krieg, in welcher der Dichter die Schlachtgemälde mit einem markigen, gluthvollen Kolorit versieht. Jedenfalls charakterisirt sich das Epos in einer Zeit, wo gerade auf epischem Gebiet die Wasserfarben allzu sehr Mode sind, als eine hervorragende geistvolle Schöpfung, die den Leser wie ein echtes Kunstwerk magisch fesselt. Hermann Pilz.     

Unerwartete Bescherung. (Vergl. die Kunstbeilage.) Das Christkind bereitet Freude in Stadt und Land. Doch größere Freude als uns die Scene auf dem reizenden Blume-Siebert’schen Bild zeigt, wird es wohl selten bereitet haben. Da sitzt das Mädchen mit der Feder in der Hand, um an den Geliebten zu schreiben; „an den Husarengefreiten …!“ so lautet die Aufschrift des Packets, das den Brief begleiten soll. Da werden der anmuthigen Briefschreiberin plötzlich die Augen zugehalten: ihr fröhliches Lächeln zeigt, daß sie bereits die volle beglückende Gewißheit darüber hat, wer solchen Scherzes sich erdreistet. In der That, der Husarengefreite ist unbemerkt ins Zimmer getreten; er hat ein Recht, ihr die Augen zuzuhalten … sie braucht ja die Zeilen nicht mehr zu sehen, die sie schreibt – Brief und Packetsendung sind ja überflüssig geworden; der Gefreite hat Urlaub erhalten und bringt der Geliebten das schönste Christgeschenk – sich selbst. Der Ausdruck des höchsten Glückes auf den Gesichtern des militärischen Romeo und seiner ländlichen Julie verklärt das ganze schlichte Zimmer des Bauernmädchens mit seinen weihnachtlichen Vorbereitungen – und ein Wiederschein davon ruht auf dem Gesichte der Mutter, die an der Thür steht, die Säbeltasche und den Säbel des Husaren haltend, denn sie war im Einverständniß mit dem Ankömmling und der klirrende Säbel sollte die Ueberraschung nicht stören. Der Maler hat uns eine reizende Idylle vorgeführt, an welcher das freudenspendende Christkind selbst seine Freude haben muß. †      


Allerlei Kurzweil.


Bilder-Räthsel.


Auflösung des magischen Quadrats auf S. 804.


Auflösung des Bilder-Räthsels auf S. 804.
Wenn Du des Morgens erwachst, übersinne den Tag.


Kleiner Briefkasten.

(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)

B. in K. Belehrung über die Frage, bei wie viel Grad Wärme ein Bad kalt oder sehr kalt bezeichnet wird, finden Sie in dem Artikel „Ueber den Schlaf und die Verhütung der Schlaflosigkeit“ von Dr. Kühner in diesem Jahrgang S. 74 der „Gartenlaube“. Der Verfasser hat inzwischen, veranlaßt durch vielfachen Wunsch der Leser der „Gartenlaube“, verschiedene Normalthermometer konstruirt, auf welchen die für verschiedene Bäder maßgebende Temperatur verzeichnet ist. Sehr praktisch für jeden Haushalt ist namentlich das in einem uns vorliegenden Cirkular unter Nr. 4 aufgeführte Thermometer, welches nicht nur Angaben über die übliche und allgemeine Verwendung der Wärme und Kälte beim Baden, sondern auch solche der zuträglichen Zimmertemperatur, der normalen Blutwärme und der Fiebertemperaturen enthält. Die Fabrikation dieser Thermometer hat Karl Grendel in Oberneubrunn (Thüringen) übernommen.

R. H. in Karlsruhe. Ernst Eckstein’s beliebter Roman: „Die Claudier“ (Leipzig, Karl Reißner) ist in wohlfeiler Ausgabe in einem Bande erschienen. Der Preis ist statt 15 Mark jetzt nur 8 Mark. Es ist das überhaupt die neunte Auflage des vielgelesenen Werkes.

R. P. in Dresden. Die neue Volapüksprache findet auch scharfe Kritiker, so Henne am Rhyn in „Unsere Zeit“ und Pfarrer Joseph Stempfl in seiner Schrift: „Ausstellungen an der Volapük“ (Kosel’sche Buchhandlung in Kempten), worin verschiedene Mängel der neuen Weltsprache dargelegt werden.

B. in K. Die Illustration „Raubritter Hans Schüttensamen wird gefangen nach Nürnberg gebracht“ (vergl. „Gartenlaube“ S. 776 u. 777) ist seiner Zeit auf unserm Prospekt für das Jahr 1887 als Probebild erschienen, keineswegs aber in einem anderen Blatte, wie Sie meinen.

Argia Z. in Triest. Ueber die Bedingungen, unter welchen Ihnen die Uebersetzung der betr. Novellen eingeräumt werden kann, werden Sie genaue Auskunft erhalten, sobald Sie Ihre volle Adresse uns angegeben haben.

W. in St. Petersburg. Den Bericht über russische Suppen haben wir der kleinen Schrift des als Kulturhistoriker bekannten Ed. Schranka entnommen. Wenn Sie andere Recepte uns schicken wollen, so wird es uns willkommen sein.

P. R. in Karlsruhe. Sie meinen, Monaco sei der einzige Ort, wo noch das öffentliche Glücksspiel im Großen getrieben werde? Nach neuern Nachrichten hat sich auch in Montreux in der Schweiz das Hazardspiel eingebürgert und zwar in Gestalt des Baccarat, welches mit Billardkugeln gespielt wird, die in die 23 Vertiefungen eines am unteren Ende des Billards angebrachten blechernen Aufsatzes fallen, indem sie an die Bande gespielt werden und von dieser zurückprallen. Es handelt sich dabei um „grade“ oder „ungrade“ mit Bezug auf die Nummern der Vertiefungen: je nachdem das Eine oder das Andere festgesetzt ist, kassirt der Banquier die auf dem grünen Streifen des Billardrandes aufgesetzten Summen ein, wenn die Kugel fehlging.


Inhalt: Heilige Nacht. Gedicht von Otto Sievers. Mit Illustration. S. 821. – Die Geheimräthin. Novelle von Hieronymus Lorm (Schluß). S. 822. – Ein Hochverrathsproceß in Kanada. Von Hans Blum (Schluß). S. 826. – Weihnachten eines Seekadetten. Von Helene Pichler. S. 828. Mit Illustrationen S. 828 und 829. – Der Unfried. Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer (Fortsetzung). S. 831. – Der Frieden. Gedicht von Rudolf v. Gottschall. Mit Illustration. S 833. – Das erste Jahr im neuen Haushalt. Eine Geschichte in Briefen. Von R. Artaria. XIII. S. 835 – Das große Fest der Liebe. Von Hermann Heiberg. Mit Illustration. S. 836 – Weihnacht. Gedicht von W. Heimburg. Mit Illustration. S. 837. – Weihnachtsbüchertisch für die Jugend. Von Dietrich Theden S. 837. – Blätter und Blüthen: Das Geburtshaus Napoleon’s I. S. 838. – Weihnachtssingen in Luzern. S. 839. Mit Illustration S. 824 und 825. – Ein Pamphlet über Schiller und Goethe. S. 839. – Vor Weihnachten. Illustration. S. 839. – „Nase und Schule“. S. 840. – Die alte Sage vom Zauberer Merlin. Von Hermann Pilz. S. 840. – Unerwartete Bescherung. S. 840. – Allerlei Kurzweil: Bilder-Räthsel. S. 840. – Auflösung des magischen Quadrats auf S. 804. S. 840. – Auflösung des Bilder-Räthsels auf S. 804. S. 840. – Kleiner Briefkasten. S. 840.


manicula Hierzu die Kunstbeilage: „Unerwartete Bescherung“, Weihnachtsgruß der „Gartenlaube“ an ihre Leser.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 840. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_840.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)