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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

hatte, kam ihrem Bräutigam, der unwillig den Beamten winkte, zuvor. ‚Was thaten Sie?‘ fragte sie mild.

‚Ich nahm ein paar Semmeln; meine Mutter ist krank, ich hatte keinen Pfennig, sie zu bezahlen – ich wollte es später thun – man borgt uns nicht mehr und sie hungert!‘

‚Wo wohnt Ihre Mutter?‘

‚Am Kirchhofe!‘ stammelte er, jetzt zur Besinnung kommend.

Mein Prinzeßchen sprach mit ihrem Prinzen, der mit dem Bürgermeister. ‚Die Noth ist groß, Durchlaucht. Es ist wohl richtig; sie werden unterstützt; der Junge hat das Gymnasium frei, ist einer der besten Schüler, sucht auch noch zu verdienen nebenbei – aber –‘

Die Prinzeß saß ganz blaß unter dem blauen Schirmchen; dann flüsterte sie ein paar Worte, und im nächsten Augenblicke rollte der Wagen über den Marktplatz dem Kirchhofe zu – Ihr kennt ja doch Alle den Herrn Doktor Reynand?“

„Ja! Ja!“

„Das war der Semmeldieb – die Fürstin ließ ihn erziehen.“

„Aber gestohlen hat er doch!“ meinte Olga trocken, „das vermag ihm Niemand abzunehmen. Ich fasse es nicht, wie kann man weiterleben so – –“

„Ja,“ sagte Frau Doktor weich, „gestohlen hatte er, aber Gott wird milder gedacht haben als Du.“

„Ich wäre lieber verhungert,“ beharrte das junge Mädchen. „Stehlen ist so gemein.“

„Ja, Du selbst, aber die kranke Mutter?“

In diesem Augenblicke klang ein leises Aechzen durch den Raum, und schwer lag Jascha’s Kopf an meiner Schulter.

„Um Himmelswillen, Jascha!“ schrie ich und faßte sie um. „Frau Doktor, Jascha ist ohnmächtig!“

(Schluß folgt.)




Die Dresdener Oper.
Von Franz Koppel-Ellfeld.

In seinem Buche „Das norddeutsche Theater“ äußert Laube, wo jetzt ein neues Theater gebaut werde, da lasse man sich verführen, den „Tempel“ mit allem möglichen Aufwand aufzurichten und Unsummen in ein Haus zu stecken, in welchem schließlich nur die Oper am Platze sei, deren bekannte Kostspieligkeit ohnehin über kurz oder lang die Theaterleitung zum Bankerott führen müsse. Es sei überhaupt eine Verirrung, monumentale Theatergebäude zu errichten, da doch allen an die Stirn geschrieben stehe, daß sie heute oder morgen abbrennen müssen. Ja, daß dabei nicht einmal die steinernen Umfassungsmauern stehen zu bleiben brauchen, das haben die zerbröckelten Trümmer des alten schönen Dresdener Hauses zum Schrecken Aller dargethan. Nach Laube’s Ansicht hätte man also nach dem Brand, der im September 1869 das Dresdener Hoftheater, „eine der vollendetsten Schöpfungen der neuern Kunstgeschichte“, vernichtete, am besten daran gethan, von einem ähnlichen Theaterneubau gänzlich abzusehen. Die öffentliche Meinung aber und maßgebende Kreise entschieden bekanntlich dahin, daß Gottfried Semper berufen werde, sich durch einen zweiten möglichst ähnlichen Theaterbau auf demselben Platze in Dresden zu verewigen. Der Meister jedoch wollte nicht zum Plagiator an sich selbst werden und, theils den gesteigerten Luxus moderner Ausstattung berücksichtigend, theils unausgeführte Entwürfe für ein Opernhaus in Rio de Janeiro und ein Wagner-Theater zu München als praktische Vorstudien benutzend, stellte Semper einen neuen Kunsttempel hin, mit dem sich wenig Theater vergleichen können, sowohl was Pracht und Herrlichkeit, Phantasie und edle Formengebung des Aeußern, als auch was die Poesie und dekorative Feierlichkeit der Innenräume anlangt.

Als dieses Haus am 2. Februar 1878 eröffnet wurde, sah Jedermann, obgleich oder gerade weil ein Schauspiel (Goethe’s „Iphigenie“) gegeben wurde, daß es ein Opernhaus sei. Soweit hat Laube auch in diesem Fall Recht behalten. Unter den Fachnotabilitäten, die am Eröffnungsabend die Würde und Schönheit der beiden Treppenhäuser und des dazwischenliegenden Foyers bewunderten, ragte die hohe Gestalt des Herrn von Hülsen hervor, der bei aller ihm eigenen vornehmen Zurückhaltung nicht umhin konnte, vernehmlich zu äußern: „Dies Haus wäre sogar für Berlin zu prächtig. Das wird Ihr König auf die Dauer gar nicht aushalten.“

Der verstorbene Berliner Generalintendant war ein kluger Hof- und Geschäftsmann, aber er hat sich gründlich geirrt: er hat den zu jedem Opfer allezeit bereiten Kunstsinn König Albert’s gröblich unterschätzt. Auf denselben gestützt, blüht das Dresdener Hoftheater nun schon seit einem Jahrzehnt in seinem Prachtbau. Das heißt, ein kunstgedeihliches Leben führt eigentlich nur die Oper; das Schauspiel gastirt so zu sagen nur im „großen Haus“ – und befindet sich wohler im Neustädter Hoftheater. Die Dresdener Oper aber, die sich zu verschiedenen Zeiten eines Weltrufes erfreute, verdient ihn heute so gut wie irgend jemals. In der Geschichte der Oper (die nach Riehl’s geistreichem Ausdrucke eine „Kriegsgeschichte“ ist) spielt Dresden überhaupt eine erste Rolle. Von Haus aus ist die Oper allerdings italienisch; sie ist ein Kind, man kann sagen ein Findelkind der Renaissance. In jenen schönheitstrunkenen Tagen legten sich nämlich die platonischen Fanatiker zu Florenz, welche dem ganzen klassischen Alterthum eine Auferstehung wünschten, die Frage vor: wie wurde denn in der antiken Tragödie eigentlich vorgetragen? Es wurde nicht gesungen, es wurde nicht gesprochen: es wurde eben recitirt. Diese Recitation suchten sie nun in Florenz mit allen Hilfsmitteln des Rhythmus und der Harmonie nachzuahmen und gelangten auf diese Weise zum dramatischen Recitativ; noch einen Schritt weiter – und nicht das antike Drama, sondern die moderne Oper war entdeckt. Es war sogar eigentlich schon die Richtung eingeschlagen, die zu Gluck’s und Wagner’s Musikdramen führen mußte.

Zunächst aber war nur ein ästhetischer Wechselbalg, die Oper, in die Welt gesetzt, und bald sollten alle Höfe des Abendlands an den gesungenen Schau- und Prunkstücken die finanzwidrigste Freude haben.

Die erste Oper war die „Dafne“ des Jac. Peri, welche 1596 im Palazzo Corsi zu Florenz aufgeführt wurde. Der erste Schritt, den sie in die Welt that, war von Florenz nach Elbflorenz. Daß sie zufällig zuerst bei einem Hoffest in Torgau (1627) zur Aufführung kam, ist nebensächlich; der kurfürstlich sächsische Kapellmeister Heinrich Schütz hatte die italienische Pflanze nach Sachsen importirt. Die Kurfürsten hatten immer auf eine gute Kapelle gehalten. Schon hundert Jahre früher hatte Kurfürst Moritz den Sing- und Musikmeister Johann Walther, einen Freund Luther’s, nach Dresden berufen zur „Aufrichtung einer ehrlichen großen Singerei“. Der Anlauf war gut gemeint; aber schon unter dem eben genannten Schütz gerieth die aus den ursprünglichen „Zinkenbläsern und Chitarristen“ zum großen Orchester sich entwickelnde sächsische Kapelle in das italienische Fahrwasser, in welchem übrigens das ganze Rokoko-Dresden sich bewegte. Der Stil der venetianischen Musikschule wurde herrschend, und war die „Dafne“ noch in deutscher Bearbeitung (von Opitz) gegeben worden, so hielt nunmehr die italienische Hofoper mit italienischem Text ihren Einzug; ja man ließ jetzt nur wälsche Sänger und Sängerinnen für vieles Geld und gute Worte oder Orden von jenseit der Alpen in das „barbarische“ Deutschland engagiren. Das nicht große, aber unerhört prächtige Dresden war damals eine Weltstadt, wenigstens eine Stadt der großen Welt und seine italienische Hofoper hatte einen Weltruf.

Das erste Opernhaus am Taschenberg mußte unter Friedrich August II. einem luxuriösen Prachtbau Platz machen, in welchem der berühmteste Komponist damaliger Zeit, der geniale Hasse, den Taktstock schwang. Dresden wimmelte von italienischen Sängern, und eine Diva wie Faustina, Hasse’s vergötterte Gattin, bezog 12 000 Thaler Gage, der erste Kastrat nicht viel weniger; für die Ausstattung einer Oper wurden 50 000 Thaler (sage Thaler) ausgegeben, und dabei gab es kein Eintrittsgeld; der Landesherr zahlte Alles aus seiner Tasche; Publikum und Kritik existirte nicht. Zu jeder Vorstellung wurden Hoffähige oder elegante Abenteurer,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 867. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_867.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2023)