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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Das Eulenhaus.
Hinterlassener Roman von E. Marlitt.
Vollendet von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Vor alten Zeiten waren die liegenden Gründe des weiten Paulinenthales und die von da bergaufkletternden mächtigen Waldungen in einer Hand vereint gewesen. Die Gerold von Altenstein hatten unumschränkt geherrscht über Leben und Tod jeglicher Kreatur, die in meilenweiter Runde sich rührte und regte, über das Bäuerlein hinter dem Pfluge, das Wild im Walde, das schuppige Leben in Fluß und Teich. Später, vor mehr als zweihundert Jahren, hatte ein aus langer, blutiger Fehde glücklich heimgekehrter Herr Benno von Gerold um eines nachgeborenen Spätlings seines Stammes willen das Gut Altenstein zwischen diesem und seinem Erstgeborenen getheilt – so war die Linie Gerold-Neuhaus entstanden. – Lange Zeit hindurch war sie die weniger begüterte und in geringerem Ansehen stehende verblieben; dann aber hatten verschiedene Male reiche Erbinnen in das Haus geheirathet, und einzelne Träger des Namens hatten sich im Kriege hervorgethan. Ihre Nachkommen fußten auf den Verdiensten der tapferen Haudegen; sie rückten, Stufe um Stufe, allmählich in die höchsten Hofämter ein, und schließlich gipfelte dieses Emporklimmen in der Vermählung des Jüngsten und Schönsten mit einer Prinzessin des regierenden Hauses.

Fräulein Beate von Gerold hatte mithin Recht, so sicher und zuversichtlich in ihrer schönen Equipage heimzufahren; denn sie war die einzige Schwester jenes „Jüngsten und Schönsten“ und verwaltete, so jung sie auch noch war, in seiner Abwesenheit als bevollmächtigte Herrin das alte Stammgut. Und das Verwalten, das Wirthschaften verstand sie aus dem Grunde, wie alle ihre Vorgängerinnen es verstanden hatten. Selbst Hand und Fuß rühren, den Morgenschlaf bekämpfen und mit hellem, scharfem Blick bis in den dunkelsten Winkel des Hauses hinein scheinbar allgegenwärtig zu sein: das war zu allen Zeiten der Wahlspruch in der Hausfrauenstube zu Neuhaus gewesen. Die Leute im Dorfe sagten, es sei noch gar nicht so lange her, daß das alte Erbspinnrad mit seinem hohl ausgetretenen Trittbrett und dem „flinkernden Wockenband“ Tag für Tag im Winter am Stubenfenster geschnurrt und draußen vor dem Hause das selbstgesponnene Leinen zur Sommerzeit auf dem


Blick in den Lichthof des Zeughauses in Berlin.
Originalzeichnung von L. Dettmann.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_021.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)